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Olympia 2021 in Tokio | Robert Harting exklusiv: "Ich wollte das nicht mehr"


Vor dem Start in Tokio
Ich wollte das nicht mehr

MeinungVon Robert Harting

Aktualisiert am 22.07.2021Lesedauer: 3 Min.
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Die Olympischen Spiele in Tokio: t-online-Kolumnist Robert Harting glaubt daran, dass es große Überraschungen geben könnte.Vergrößern des Bildes
Die Olympischen Spiele in Tokio: t-online-Kolumnist Robert Harting glaubt, dass es große Überraschungen geben könnte. (Quelle: t-online/imago-images-bilder)

Trotz der Pandemie starten die Olympischen Spiele in Tokio. Ein Ausnahme-Event, das an den Nerven der Athleten zerren wird. Worauf kommt es in diesem Jahr besonders an?

Die Normalität, wie wir sie kennen, wurde durch Corona zerstört. Aber auch andere Ereignisse in den letzten Monaten, Wochen oder Tagen haben dazu beigetragen. Was bei der Flut in West- und Süddeutschland geschehen ist, ist erschreckend. Es ist keine leichte Zeit für uns.

Umso schöner finde ich es, dass die Olympischen Spiele uns nun wieder ein Stück Normalität zurückgeben. Daher will ich meinen Dank und meinen Respekt an die Athletinnen und Athleten aussprechen, die für Deutschland in Tokio sind.


Denn nicht nur für uns, auch für sie waren die vergangenen anderthalb Jahre abartig. Und gerade jetzt, wo sie sich auf dem emotionalen Höhepunkt ihrer Sportlerkarrieren beweisen müssen, laufen sie Gefahr, nicht im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten zu sein.

Was nämlich alle vergessen: Die Sportlerinnen und Sportler müssen mit dem gleichen Echo leben wie in Nicht-Corona-Zeiten. Sie werden von Fans, Medien, ihrem Umfeld und Förderstrukturen genauso bewertet wie immer. Dabei fehlen ihnen einige Prozente zum Maximum. Sie haben in Tokio und schon davor leistungshemmenden Stress durch die Hygienekonzepte. Durch Apps und Dokumente, die sie installieren oder ausfüllen müssen. Durch zusätzliche Regeln, die sie nicht verletzen dürfen. Und dann treten sie auch noch ohne Fans in den Arenen an, die ihnen normalerweise Kraft und Motivation spenden.

Den Topathleten werden fünf bis zehn Prozent fehlen

Den Topathleten werden in der Regel fünf bis zehn Prozent zur maximalen Leistungsfähigkeit fehlen. Beim Durchschnitt werden es sogar 20 bis 25 Prozent sein. Um das auszugleichen, müssen die Sportler mental über sich hinauswachsen. Nur wie, ohne die bereits genannten Energiefelder?

Sie als Leser können das ja mal auf Ihren eigenen Alltag projizieren. Denken Sie an die Zeit zwischen März 2020 und April 2021 zurück. Wir hatten alle weniger Kraft und Entspannung. Denn uns fehlte oft der Ausgleich. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Spitzenleistung abrufen, für die Sie existenziell bewertet werden. Das ist hart.

Ich muss da nur mal an meine aktive Zeit zurückdenken. Olympia war immer meine persönliche Grenze. Das haben viele nicht gesehen. Mental war ich am Limit, mehr ging nicht. Dabei hatte ich den Vorteil, dass ich mich ohne Corona voll auf den Wettbewerb konzentrieren konnte und Zuschauer im Stadion waren, die mich pushten.

Aber die Wochen vor den Olympischen Spielen haben mich zerstört. Schon die kleinsten Dinge im Alltag haben mich gestresst. Vieles war eine Belastung – Gedanken darüber, welches Frühstück ich esse, wie vielen Menschen ich die Hand schütteln muss und selbst der normale Gang in den Supermarkt. Ich wollte das nicht mehr. Ich wollte mich am liebsten in einem Kraftraum einschließen und meine Leistung bringen.

Das war extremer Druck, und wir sind dafür eigentlich nicht gemacht. Das genießt keiner. Wir sind immer noch Menschen und keine Maschinen, aber das alltägliche Menschsein war bei mir nicht leistungsfördernd. Das Menschsein fördert nicht die Leistung, es mindert sie.

Aber das identitäre Sportlerziel Olympia zieht einen magisch in seine Richtung. Egal ob man das will oder nicht. Die einen zerbrechen daran, die anderen glauben jeden Tag mehr an sich. Dieses Event gibt dir eine einmalige Energie, mit der es möglich ist, all diesen Stress aus den Vorwochen zu verarbeiten.

Robert Harting ist eins der bekanntesten Gesichter der deutschen Leichtathletikgeschichte. Der gebürtige Cottbuser ist mehrfacher Welt- und Europameister im Diskuswurf und krönte seine Karriere mit dem Olympiasieg in London 2012. Heute berät der 36-Jährige Unternehmen und Athleten mit seiner datengetriebenen Sportwerbeagentur "brandstalentsrights".

Die besondere Energie gibt es dieses Jahr nicht

Aber genau diese besondere Energie gibt es dieses Jahr nicht.

Nehmen wir zum Beispiel mal Johannes Vetter, den international besten Speerwerfer. Normalerweise wirft er über 90 Meter weit und ist auch zu Recht einer der Favoriten in Tokio. Aber es kann sein, dass er gestört, in seiner Leistung beeinträchtigt wird und diese 90 Meter nicht erreicht.


Und ein Konkurrent aus Trinidad & Tobago hat diesen Stress nicht und wird plötzlich Erster. Solche Szenarien bestimmen die olympischen Ergebnisse.

Es kann das Turnier der Überraschungen werden. Denn der Sportler, der in dieser extremen Drucksituation unter den aktuellen Wettkampfbedingungen gut ist, ist nicht der Standard-Sportler. Es wird komplett neu durchgemischt. Athleten aus der zweiten Reihe werden zu Leistungsträgern und Leistungsträger zu Athleten aus der zweiten Reihe.

Ich glaube, dass wir in Tokio sehr spannende und unberechenbare Spiele erleben werden.

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