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Olympia 2021: Michael Groß über das Chaos beim DSV


Schwimmlegende Groß
"Den Wecker stelle ich mir für die Olympischen Spiele nicht"

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InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 27.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Michael Groß: Der 57-Jährige holte als aktiver Schwimmer dreimal Olympiagold und zahlreiche WM-Titel.Vergrößern des Bildes
Michael Groß: Der 57-Jährige holte als aktiver Schwimmer dreimal Olympiagold und zahlreiche WM-Titel. (Quelle: Laci Pereny/Peter Kolb/imago-images-bilder)

In den 1980ern schrieb Michael Groß Geschichte und holte drei Olympiasiege. Seitdem warten die deutschen Schwimmer auf Gold. Hier spricht der "Albatros" über die Spiele in Tokio, Trendsportarten und sein heutiges Leben.

Seit Michael Groß' Olympiasieg 1988 in Seoul über 200 Meter Schmetterling hat kein deutscher Beckenschwimmer mehr olympisches Gold geholt. Florian Wellbrock will diese Durststrecke bei den Spielen in Tokio beenden. Groß würde das sehr freuen, er möchte jedoch keinen Druck aufbauen.

t-online: Herr Groß, wofür schalten Sie bei den Spielen in Tokio den Fernseher ein und wofür stellen Sie sich vielleicht sogar den Wecker?

Michael Groß: Den Wecker stelle ich mir für die Olympischen Spiele gar nicht. Das liegt daran, dass ich beruflich aktuell sehr beansprucht bin und nicht nachts noch Fernsehen gucken kann – auch wenn da gerade Schwimmen ist. Aber ich gucke mir natürlich die Zusammenfassungen an. Ansonsten bin ich jemand, der auch schon zu aktiven Zeiten immer mal rechts und links geguckt hat. In diesem Jahr finde ich besonders die neuen Sportarten spannend – beispielsweise Skateboarden. Ich schaue auch häufiger die X-Games. Was die Skater und Mountainbiker da machen, ist wirklich gigantisch.

Mit Sportarten wie Skateboarden will das IOC eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Ist das die Zukunft der Spiele?

Die Olympischen Spiele haben ihr Programm immer verändert. Es gibt wenige klassische olympische Sportarten. Früher waren beispielsweise Golfen und Polospielen angesagt. So haben die Spiele vor über 100 Jahren begonnen. Deshalb ist es relativ normal, dass immer wieder Sportarten dazukommen und andere verschwinden. Ich finde es vollkommen richtig, dass man Sportarten wie nun Skateboarden oder auch 1998 Snowboarden dazunimmt. Ich bezweifle nämlich, dass jeder Spaß daran hat, sich ausschließlich die klassischen olympischen Sportarten anzuschauen. Dazu zähle ich übrigens auch Schwimmen. Ein Run im Skateboarden ist oft spannender, als sich Leute anzugucken, die schlicht hin- und herschwimmen. Oder andere, die auf Skiern immer wieder gleich den gleichen Hang runterfahren.

Schauen Sie sich dann eher Skateboarden als beispielsweise Freiwasserschwimmen an?

Beim Freiwasserschwimmen guckt man sich doch meistens nur die spannenden Rennelemente an. Um sich das länger anzuschauen, muss man schon ein ziemlicher Enthusiast sein. Genauso wie übrigens bei der Tour de France. Wer guckt sich schon sechs Stunden Radfahren an? Natürlich sind das tolle Sportarten und sie haben zu Recht ihr Publikum, doch in der Snowboard-Halfpipe, beim Skateboarden oder Surfen ist das Überraschungsmoment einfach viel größer. Das muss man einfach nüchtern so sagen. Da kann auch der größte Star mal einen schlechten Turn haben. Aber ich schaue vielleicht Freiwasserschwimmen in Tokio, wenn Florian Wellbrock startet.

Wellbrock schickt sich an, der erste deutsche Schwimm-Olympiasieger seit Ihnen 1988 in Seoul zu werden. Wie sehen Sie seine Chancen?

Das ist Kaffeesatzleserei. Denn gerade bei diesen besonderen Spielen ist doch alles total offen. Wie kommt der einzelne Athlet mit den Bedingungen aufgrund der Corona-Regeln zurecht? Welche Einschränkungen es gibt bezüglich des Trainings? Und dazu noch die fehlenden Zuschauer. Das ist letztendlich eine ziemlich große Blackbox, und es wird bestimmt ziemlich große Überraschungen geben – und zwar in alle Richtungen.

Aber aufgrund der Ergebnisse zuletzt ist Wellbrock schon eine Menge zuzutrauen, oder?

Ich möchte auf keinen Fall künstlich von außen Druck aufbauen. Florian und alle anderen im deutschen Team wissen um ihre Stärken. Gerade bei diesen Spielen ist es wichtiger denn je, seine Vorbereitung und Form ins Wasser zu bekommen – und das ist bei den Rahmenbedingungen alles andere als einfach.


Wellbrock hat im Vorfeld der Spiele gesagt, dass er sich Ihre Rennen von 1984 zur Motivation angeschaut habe. Würde es Sie besonders freuen, wenn er es schaffen würde?

Mich würde es generell freuen, wenn die deutschen Schwimmer wieder eine Medaille gewinnen. Denn das war bei den letzten zwei Spielen nicht der Fall. Natürlich würde es mich ganz besonders freuen, wenn mal wieder ein deutscher Schwimmer Olympiasieger wird. Aber wer das sein wird und wann – da habe ich keine Ahnung.

Sie haben 2011 Ihr erstes Buch veröffentlicht, das "Siegen kann jeder: Jeden Tag die richtigen Fragen stellen" heißt. Welche Fragen muss sich denn der DSV stellen, damit es mit dem Siegen wieder klappt?

Da möchte ich aktuell wirklich nichts zu sagen. Aktuell geht es erst einmal um die Athleten in Tokio. Sie sind wichtig. Alles Weitere wird man danach sehen.

Im April waren Sie als DSV-Sportdirektor im Gespräch. Präsident Marco Troll sagte aber ab, weil er eine "interne Lösung" bevorzugte. Waren Sie danach enttäuscht?

Nein, das war ein ganz normaler Vorgang. Trainer und Athleten hatten den Vorschlag gemacht, dass ich das machen soll, um die damaligen Schwierigkeiten zu lösen. Der DSV-Präsident und das Präsidium haben sich für eine andere Lösung entschieden. Fertig.

Können Sie sich weiter ein Engagement beim DSV – zum Beispiel in beratender Funktion – vorstellen?

Die Frage stellt sich überhaupt nicht. Und sie hat sich bis April auch nicht gestellt. Dann kam besagter Vorschlag und ich habe mich aufgrund der außergewöhnlichen Situation in der Corona-Pandemie damit beschäftigt – und nicht aufgrund der Vorgänge beim DSV. Nur weil der DSV mal wieder Chaos veranstaltet hat, hätte ich das nicht gemacht, sondern aus anderen Gründen. Kurz vor den Olympischen Spielen den Sportdirektor zu feuern, ist natürlich eine – neutral betrachtet – mutige Entscheidung. Aber mir wäre es nicht nur um die Tokio-Mannschaft gegangen, sondern um das gesamte Schwimmen, welches in der Pandemie flächendeckend brach lag und teilweise immer noch liegt. Mir ging es darum, das wieder in Schwung zu kriegen.

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Mit Schwimmen als Leistungssport haben Sie vergleichsweise früh aufgehört – mit 26 Jahren und nur anderthalb Jahre vor den Spielen 1992 in Barcelona. Warum?

Weil ich alles erlebt hatte. Sportlich hatte ich mit meinen Olympiasiegen 1984 und 1988 eh schon alles erreicht und dann kam 1991 noch der Weltmeistertitel mit der gesamtdeutschen Mannschaft dazu. Das war übrigens die erste nach der Wiedervereinigung überhaupt. Ich hatte einfach neue Ziele und Projekte – und die anderthalb Jahre wären einfach Quälerei geworden. In Sport, Kultur und generell in vielen Dingen, die extrem von Emotionalität und Engagement leben, wird vieles zur Quälerei, wenn man alles erlebt hat und kein Feuer mehr da ist. Das gilt auch im Beruf, aber in abgeschwächter Form.

Apropos Beruf: Sie haben danach Ihren Doktor in Philologie gemacht, waren als Journalist tätig, haben eine Agentur gegründet und sind mittlerweile Unternehmensberater und Coach für Führungskräfte. Ihr Unternehmen heißt "Groß & Cie". Was machen Sie genau?

In dieser Woche bin ich beispielsweise bei Führungskräftetagungen beschäftigt – und zwar endlich wieder live vor Ort. Das ist mittlerweile wieder bis zu einer gewissen Anzahl von Leuten möglich, wenn der Raum groß genug ist. Es geht hauptsächlich darum, Veränderungsprozesse in Unternehmen zu planen und umzusetzen. Das macht wirklich Spaß, weil ich meine Ausbildung, meine Profession und meine Vorlieben einbringen kann. Deshalb habe ich auch einige Fach- und Sachbücher geschrieben. Aktuell gemeinsam mit meiner Frau, die Coach ist, "Das Beste liegt vor uns".

Wir zeigen, wie viel Freude es machen kann, sich zu verändern und permanent weiterzuentwickeln. Das gilt auch für einen 57 Jahre alten Menschen wie mich. Nur weil man über 50 ist, heißt das zum Beispiel nicht, dass man die Digitalisierung nicht mitgestalten kann. Dazu braucht es ein wenig Offenheit, um sich zu sagen: "Ich mache einfach mal die Tür auf, gehe voran und sammele meine Erfahrungen. Mein ganzes vorheriges Know-how ist dadurch nicht verloren, sondern ich ergänze es." Und das mache ich auch – beispielsweise durch hybride Moderationen in der Corona-Zeit.

Was heißt das genau?

Bei einer Tagung oder einem Workshop sind einige Leute live vor Ort und andere online zugeschaltet. Das macht allen riesig Spaß – ist für mich als Moderator zugleich ziemlich anstrengend. Wenn Sie das einen Tag lang machen, sind Sie abends schon geschafft, weil es eine hohe Konzentration erfordert und man viel improvisieren muss.

Wie sieht so etwas denn konkret aus?

Ich nehme mal ein Beispiel, das ich mit einer großen Bank realisiert habe: In einem Konferenzbereich vor Ort sitzt ein Kernteam von zehn Leuten. Online werden dann noch mal 190 dazugeschaltet – in kleineren Gruppen oder einzeln. Ich betreue den Prozess, moderiere und leite die Leute an – beispielsweise über ein virtuelles Whiteboard. Es gibt auch virtuelle Abstimmungen. Und so können Veränderungsprozesse in Unternehmen angestoßen werden. Natürlich brauche ich die Corona-Zeit nicht noch mal, aber diese hybride Form hat sich erst deshalb für mich erschlossen. Sonst hätte ich das so nicht gemacht. Und da helfen mir die Erfahrungen aus dem Sport, sich spontan auf neue Situationen einzustellen.

Ein Beispiel: 1985 bei der Schwimm-EM in Sofia gab es über Nacht eine Algenplage. Das ganze Becken war plötzlich eine große grüne Suppe. Weil diese gesundheitlich unbedenklich war, sind wir an dem Tag dennoch darin geschwommen. Man hat nur fast nichts gesehen. Beim Kraulen musste man an der Wende den Kopf heben – und diejenigen, die sich daran am schnellsten angepasst haben, waren erfolgreich. So bin ich damals quasi mit Wasserballtechnik Europameister geworden. Solche Erfahrungen prägen und helfen mir noch heute in meinem Job.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Michael Groß
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