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Biathlon | Ex-DSV-Star Simon Schempp: "Bei mir ist das Licht ausgegangen"


Ex-Biathlet Simon Schempp
"Ein Weltcupsieg ist emotionaler als ein Sieg bei Olympia"

  • Jannik Meyer
InterviewVon Jannik Meyer

Aktualisiert am 26.11.2021Lesedauer: 7 Min.
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Sah keine Hoffnung mehr auf Besserung während seiner Karriere: Ex-Biathlet Simon Schempp.Vergrößern des Bildes
Sah keine Hoffnung mehr auf Besserung während seiner Karriere: Ex-Biathlet Simon Schempp. (Quelle: VIADATA/imago-images-bilder)

Am Samstag startet der Biathlon-Weltcup in die neue Saison. Nicht mehr dabei ist Simon Schempp. Im Interview mit t-online spricht er über sein Karriereende, die kommende Saison und die Olympischen Spiele in China.

Es kam überraschend. Ende Januar 2021 verkündete Simon Schempp seinen Rückzug aus dem Biathlon. Olympiazweiter, Weltmeister im Massensprint – Schempp blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück.

Seit seinem Karriereende hat er die Zeit genutzt, um eine Biografie zu schreiben. Am 14. Dezember kommt Schempps Buch "Zieleinlauf" in den Handel. Vor der Veröffentlichung sprach der Weltmeister exklusiv mit t-online. Im Interview spricht er über seine Karriere, über seine Meinung zu den Olympischen Spielen im Februar 2022 in Peking – und über die Zukunft des Biathlons.

t-online: Herr Schempp, Sie haben im vergangenen Januar relativ überraschend ihre Karriere beendet. Was ist das Skurrilste, das Sie im Biathlon-Zirkus erlebt haben?

Simon Schempp (33): Die verrückteste Geschichte habe ich in Finnland erlebt. Nach der Weltmeisterschaft 2015 in Kontiolahti musste ich nach Russland reisen. Weil es der letzte Weltcup der Saison war, war eine meiner Taschen aber leider mit einem Betreuer schon auf dem Weg nach Deutschland – und ausgerechnet dort war mein Reisepass mit dem Visum für Russland drin. Deshalb bin ich nicht in den Flieger nach Russland gekommen, musste nach Deutschland fliegen, um den Pass zu holen. Mit zwei Tagen Verspätung kam ich dann in Russland an, wurde zu allem Überfluss zwei Tage danach auch noch krank und konnte nur einen statt der drei Wettkämpfe dort bestreiten.

Und was ist der größte Moment, den Sie im Biathlon erlebt haben?

Das war mein Weltmeistertitel im Massenstart in Hochfilzen.

Warum?

Erst habe ich eine riesengroße Freude und dann eine Erleichterung verspürt. Erleichterung deswegen, weil ich in den vier Jahren zuvor immer im Gesamtweltcup unter den ersten drei zum Saisonhöhepunkt gefahren bin. Eine Einzelmedaille hatte ich bis dato aber noch nicht gewonnen. In Hochfilzen habe ich mich dann für den Aufwand belohnt und am letzten Tag der Weltmeisterschaft die Medaille geholt. Das war ein hervorragendes Gefühl.

2018 wurden Sie bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang nach Fotofinish haarscharf Zweiter hinter dem Franzosen Martin Fourcade. Wurmt es Sie, dass Sie nie olympisches Gold gewonnen haben?

Das war schon ärgerlich. Zuvor konnte ich einige Zielsprints knapp für mich entscheiden. Leider Gottes war das bei meinem wichtigsten nicht der Fall. Aber ich war mit dem besten Biathleten der Welt auf der Zielgeraden und habe es dann nicht geschafft, den Olympiasieg zu holen. Trotzdem ist auch Platz zwei bei Olympia für mich ein großer Erfolg.

In Ihrem Buch "Zieleinlauf" schreibt ausgerechnet Martin Fourcade das Vorwort. Wie kam es dazu?

Obwohl wir sportlich große Rivalen waren, ist Martin ein guter Freund von mir. Ich habe ihn während unserer Karriere auch in Frankreich besucht und mit ihm einige Tage trainiert. Wir haben nicht nur die Rivalität gesehen, sondern auch den Menschen dahinter. Ich habe wahnsinnig großen Respekt davor, was Martin geleistet hat. Deswegen habe ich ihn gefragt, ob er es sich vorstellen könnte, das Vorwort für mein Buch zu schreiben. Er hat keine Sekunde gezögert und gesagt, dass es eine Ehre für ihn wäre.

Fourcade war schon im letzten Winter nach seinem Karriereende nicht mehr dabei. Inwieweit fehlt er dem Biathlon?

Er hat ein ganzes Jahrzehnt geprägt und den Sport auf ein anderes Niveau gehoben. Martin ist das Paradebeispiel dafür, konstant Weltklasseleistungen abzuliefern. Natürlich fehlt er dem Sport. Trotzdem dreht sich die Biathlon-Uhr weiter.

Mittlerweile sind einige Monate seit Ihrem Karriereende vergangen. Wie geht es Ihnen damit?

Das war nach wie vor absolut die richtige Entscheidung. Der Alltag eines Hochleistungssportlers fehlt mir nicht mehr. Immer auf körperliche Höchstleistung getrieben zu sein, ist auf Dauer wahnsinnig anstrengend und sehr zehrend. Ich schaue glücklich auf meine Karriere zurück und freue mich nun auf das, was jetzt kommt.

Womit verbringen Sie jetzt Ihre Zeit?

Ich habe ein duales Studium angefangen, das mir sehr viel Spaß macht. Außerdem habe ich mir neue Ziele gesetzt.

Welche?

Ich habe seit einigen Monaten eine Anstellung im Finanzbereich beim Deutschen Skiverband. Ich habe im Frühjahr in verschiedenen Bereichen das eine oder andere Praktikum absolviert und gemerkt: Ich möchte definitiv auch weiterhin etwas mit Sport machen, da hängt mein Herz dran, da fühle ich mich wohl und zu Hause! Ich möchte nun aber auch den Sport von einer anderen Seite kennenlernen und mich dort weiterentwickeln.

Wie Sie bereits angesprochen haben, liefen Ihre letzten Jahre nicht optimal. Was macht es mit einem Athleten, wenn er sich monatelang auf die Saison vorbereitet und dann läuft sie schlecht?

Im Endeffekt sind acht Monate Vorbereitung dahin, wenn die Saison nicht läuft. Für mich war es schon schwer, das zu verarbeiten. Aber als Spitzensportler geht es in der Karriere nicht immer nur nach oben. Gerade im Biathlon kann es sehr schnell passieren, dass man auch mal mehrere schlechte Rennen dabeihat. Wenn du aber jahrelang in der Weltspitze bist und dann auf einmal im Niemandsland versinkst, ist das hart zu akzeptieren. Es ist nicht mein Anspruch, ohne Ambitionen irgendwo nur dabei zu sein. Dafür habe ich schon zu viele Erfolge gefeiert. Als der Glaube an das Erreichen von Weltklasseleistungen nicht mehr da war, kam die konsequente Entscheidung: das Karriereende.

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Im Februar stehen die Olympischen Spiele in Peking an. Warum haben Sie sich dazu entschieden, ausgerechnet im Jahr vor Olympia aufzuhören?

In erster Linie liegt es daran, dass ich zwei sehr schwere Jahre hinter mir habe. Bei mir ist das Licht am Ende des Tunnels ausgegangen. Ich war nicht mehr zu den Leistungen fähig, die ich mal gebracht habe und die mich nur dann auch zufriedengestellt hätten.

Hatten Sie vielleicht auch keine Lust auf Spiele unter Corona-Bedingungen?

(Lacht.) Ich sage mal so: Als ich jung war, habe ich mir Olympische Spiele definitiv anders vorgestellt, als sie meistens bei meinen Teilnahmen waren. Ich war dreimal dabei, habe aber nur einmal ein richtiges Fest miterlebt. Im Weltcup-Zirkus haben wir normalerweise viele Tausend Zuschauer und die Stadien sind ausverkauft. Bei den Spielen in Vancouver 2010 oder Pyeongchang 2018 waren dagegen teilweise weniger Zuschauer als bei einer deutschen Meisterschaft. Da überlegt man schon, ob die Austragungsorte glücklich gewählt sind.

Ich gehe davon aus, dass Peking auch nicht groß anders sein wird – dazu kommt auch noch die Corona-Situation, welche das Ganze erschwert. Ein Sieg bei einem Weltcup-Wochenende in Antholz, Ruhpolding oder Hochfilzen ist rein von der Stimmung wesentlich emotionaler als ein Sieg bei Olympia. Dadurch hat sich während meiner Karriere die Sichtweise auf Olympia verschoben.

Was halten Sie von Peking als Austragungsort – einer Stadt ohne Wintersporttradition?

Glücklich bin ich darüber nicht. Olympia gehört in Regionen, in denen der Wintersport gelebt wird. Und das ist sicherlich nicht in China. Die Spiele 2026 in Cortina (in Italien, Anm. d. Red.) werden sicherlich ganz andere Festspiele werden. Da ist der Wintersport zu Hause.

Kommen wir zur neuen Weltcup-Saison. Gibt es nach dem Karriereende von Ihnen und Arnd Peiffer noch deutsche Biathleten, die um einen Sieg mitlaufen können?

Zusammen haben Arnd und ich 23 Einzelsiege eingefahren. Alle anderen Starter, die jetzt noch im deutschen Weltcup-Team sind, haben zusammen vier Siege. Um Platz eins zu laufen, ist schon etwas anderes, als in die Top 10 zu kommen. Von einigen Siegen würde ich erst einmal nicht ausgehen. Wenn aber beispielsweise Benedikt Doll am Schießstand die Leistung bringt, ist er zu absoluten Topplatzierungen fähig.

Philipp Nawrath könnte für Überraschungen sorgen. Ich glaube jedoch, dass es vermessen wäre, konstante Topleistungen vom deutschen Team zu erwarten. Ich lasse mich aber gerne positiv überraschen und drücke die Daumen.

Hat das deutsche Biathlon ein Nachwuchsproblem?

Es ist ja offensichtlich, dass in den letzten Jahren aus dem Nachwuchs nicht allzu viel hochkam. Heute gelten die 26- bis 28-Jährigen noch als jung, vor einigen Jahren waren das noch die etablierten und älteren Athleten. Es müssen jetzt schlaue Entscheidungen getroffen werden, um junge Athletinnen und Athleten wesentlich schneller an den Weltcup heranzuführen. Genauso muss das Bewusstsein in die Köpfe der Sportler, dass es absolut machbar ist und auch das Ziel sein muss, mit 22 oder 23 Jahren Bestandteil des Weltcup-Teams zu sein. Dies in den nächsten Jahren aufzuholen, bedeutet viel Arbeit, ist aber nicht aussichtslos.

Bei den Frauen ist Franziska Preuß dabei, Ihre Partnerin. Was trauen Sie ihr zu?

Ich hoffe Ähnliches wie im letzten Jahr, als sie Gesamtweltcup-Dritte wurde. Wenn Franzi verletzungsfrei und von Krankheiten verschont bleibt, dann können wir einiges von ihr erwarten. Sie hat sich das Ziel gesetzt, wieder im Gesamtweltcup weit vorne zu landen.

Zum Schluss: Was glauben Sie, wie sieht Biathlon in 15 Jahren aus?

Um das internationale Biathlon braucht man sich keine Sorgen zu machen. Wir haben eine unglaublich spannende Sportart, die wahnsinnig viel hergibt. Ich hoffe, dass die momentanen Disziplinen bestehen bleiben und man nicht auf "Teufel komm raus" irgendwelche neuen Disziplinen erfindet. Das wertet die Sportart ab. Die Notwendigkeit ist nicht da, neue Disziplinen zu schaffen.

Also finden Sie nicht, dass die Sportart spektakulärer werden muss?

Nein, denn wir haben sehr spannende Disziplinen. Es muss immer noch so sein, dass derjenige, der die beste Form hat, gewinnt. Je schießlastiger der Sport wird, desto größer ist die Chance, dass jemand gewinnt, der keine gute Form hat. Und das darf nicht passieren, denn wir sind eine Ausdauersportart. Sobald der Ausdauerpart nicht mehr im Vordergrund steht, verfehlt man den Sinn des Biathlons.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Simon Schempp
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