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Berlinale: Antisemitismus-Eklat – Instagram-Posting doch kein Hackerangriff?


Neue Details zum Berlinale-Skandal
War der Instagram-Hack wirklich einer?


27.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian: Verabschiedet sich die scheidende Festivalleitung der Berlinale mit einem Skandal?Vergrößern des Bildes
Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian: Verabschiedet sich die scheidende Festivalleitung der Berlinale mit einem Skandal? (Quelle: IMAGO/Konzept und Bild)

Die Berlinale 2024 verabschiedete sich mit einem Antisemitismus-Eklat auf der Bühne und im Netz. Doch ist das Festival auf Instagram wirklich gehackt worden?

Es ist ein Schlachtruf, und er steht für das Ziel der Palästinenser, die Juden aus Israel zu vertreiben: "From the river to the sea" ("vom Fluss bis an das Meer"). Ausgerechnet dieser Spruch stand in einem Posting des Instagram-Accounts der Berlinale, versehen mit dem Bären-Logo der Berlinale. Es war nicht das einzige anti-israelische Posting, das zum Ende der Berlinale über den Kanal veröffentlicht wurde, aber das problematischste.

Die Berlinale distanzierte sich umgehend davon. Der Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion Panorama sei "kurzzeitig gehackt" worden. Die Posts seien sofort gelöscht und eine Untersuchung angestoßen worden. Es handle sich um einen "kriminellen Akt", den man aufs Schärfste verurteile, untersuche und angezeigt habe.

Doch an dieser Version kommen nun Zweifel auf. Nach Recherchen von t-online organisierten sich Berlinale-Mitarbeiter und -Auftragnehmer, um das Festival zu einer stärker pro-palästinensischen Haltung zu bewegen. Entstanden so auch die Postings im Instagram-Kanal?

Die Posting-Affäre kommt für die Berlinale zur Unzeit; das Festival ist auch wegen seiner Abschlussveranstaltung in die Kritik geraten. Dort hatten sich am Samstagabend etliche Preisträger einseitig israelfeindlich geäußert, beklatscht vom Publikum.

Fragt man bei der Berlinale gezielt zur Posting-Affäre nach, kommt nur eine allgemeine Pressemitteilung. Sie verrät nichts über die Umstände des vorgeblichen Hacks, welche Hinweise es darauf gibt – und ob das Festival eine naheliegendere Erklärung ausschließen kann. Die wäre: Eigene Mitarbeiter könnten das Posting abgesetzt oder die Zugangsdaten weitergegeben haben.

Nach Informationen von t-online hat ein Berlinale-Mitarbeiter, der offenbar mit der Betreuung des entsprechenden Kanals betraut war, bereits vor Beginn der Berlinale einen Aufruf von Berlinale-Beschäftigten für eine stärkere pro-palästinensische Ausrichtung des Festivals unterzeichnet. Der offene Brief ist in einem Instagram-Account von "Berlinale Workers Voice" verbreitet worden.

Dort hieß es: "Eine internationale Plattform wie die Berlinale und wir in unseren Rollen als Programmgestalter, Berater, Moderatoren (...) sowie weitere Berlinale-Mitarbeiter können und sollten unseren Unmut über die aktuellen Angriffe auf das palästinensische Leben zum Ausdruck bringen." Die Unterzeichner sind sehr international. Drei gaben als Jobbeschreibung "Social Media" an, einer bezeichnet sich als "Protocol Officer" und "Social Media Manager bei Panorama".

"Was muss passieren, damit die Berlinale aufsteht?"

Kurz vor Ende der Berlinale hatte sich die Gruppe mit einer anderen namens "Filmworks4pal", die während der Berlinale demonstriert hatte, für ein Foto mit dem Spruch "Say it! Ceasefire now" aufgestellt, was übersetzt so viel heißt wie: "Sprecht es aus: Waffenstillstand jetzt!" Der Text dazu: "Was muss passieren, damit die Berlinale gegen den Genozid aufsteht?" Auf Anfrage von t-online antworteten weder die Betreiber des Accounts der "Berlinale Workers Voice" noch der Mann, der angibt, Manager des "Panorama"-Accounts gewesen zu sein. Auch die Berlinale beantwortete keine Fragen zu ihm.

Professionelle Instagram-Accounts, die mit mehreren Konten verknüpft werden, zeigen jedenfalls sofort an, wenn Unautorisierte Zugriff bekommen. Dies wird dann als "unbekannte Anmeldung" deklariert. Sollte dies der Fall gewesen sein, wüsste es die Berlinale, auch Ort und Zeit des Zugriffs zu solchen Vorgängen sind ermittelbar. Doch auch Fragen dazu lässt die Berlinale unbeantwortet. Dabei könnte sie den Verdacht damit entkräften.

Szenekenner Michael Simon de Normier hält es für "denkbar", dass Berlinale-Mitarbeiter hinter dem Posting stecken und der Account nicht gehackt wurde. Der Regisseur und Filmemacher hatte den für fünf Oscars nominierten Film "Der Vorleser" mitproduziert und hat in Berlin nach dem 7. Oktober die Solidaritätsaktion "Berlin Welcomes Jews" (Berlin heißt Juden willkommen) mit Davidstern-Aufklebern begonnen.

Eine starke pro-palästinensische Haltung und eine solche Aktion würde ihn nicht überraschen: "Warum sollte das auf einer Arbeitsebene anders sein als in der Kulturszene insgesamt, in der das sehr verbreitet ist?" Die Intendanz habe diese Haltung auch mit der Besetzung der internationalen Jury gezeigt. "Man will politisch sein, das bedeutet meist, kontrovers sein zu wollen", so de Normier. "Und kontrovers bedeutet in Deutschland möglichst israelkritisch."

Er verweist darauf, dass die Berlinale für kurze Zeit von einem kleinen Team auf viele Hundert Köpfe anwachse. Bei der Rekrutierung von Helfern seien die Netzwerke "in Teilen inzestuös". Es könne vielen auch gleichgültig sein, ob sie es sich durch eine Aktion am Ende mit der Berlinale verscherzten. "Und unter den Beteiligten sind einige wirklich Überzeugte, letztlich Gesinnungstäter mit viel Chuzpe und mindestens so mutig wie ich."

Er sei mit seinem Eintreten für Juden selbst in gewisser Weise Gesinnungstäter, sagt de Normier, "aber mit mir kann man reden. Nur wenn von 'Genozid' geredet und Israel das Existenzrecht abgesprochen wird, hört es für mich auf. Antisemitismus ist auch keine Meinung, sondern Rassismus, und da hat die Berlinale völlig versäumt, eine Brandmauer einzuziehen."

Nicht nur Hack wäre strafbar

Das Posting hat inzwischen sogar Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kommentiert: "Eine Belohnung und Billigung von Straftaten ist strafbar", betonte der Minister – da geht es um Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs, der etwa auch greift, wenn Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine Zuspruch bekommt.

Im Raum steht auch ein Paragraf, den viele Menschen vor allem mit dem Zeigen des Hitlergrußes in Verbindung bringen – Artikel 86a: Es geht um die Verwendung von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen oder die Verbreitung der Kennzeichen solcher Organisationen. Das umfasst auch Parolen verbotener Organisationen. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke etwa ist wegen des Ausrufs "Alles für Deutschland" angeklagt. Bei dem Spruch "From the river to the sea" gibt es aber noch keine einheitliche Linie. Die Generalstaatsanwaltschaft hat bereits am Montag aufgrund des Postings Ermittlung wegen des Vorwurfs in dem Paragrafen eingeleitet.

Bei Fragen zur Anzeige, die die Berlinale nach ihren Angaben wegen der Postings beim LKA erstattet hat, verweist die Polizei an die Staatsanwaltschaft. Diese erklärt auf Anfrage, ihr liege noch nichts dazu vor. Wenn die Anzeige über das Landeskriminalamt gestellt wurde, erreicht diese die Staatsanwaltschaft allerdings auch nicht sofort.

Sollte der Account tatsächlich "gehackt" worden sein und sich jemand illegal den Zugriff verschafft haben, könnte es sich um das strafbare "Ausspähen von Daten" handeln, erläutert der Anwalt Oliver Löffel, dessen Wirtschaftskanzlei Löffel-Abrar viele Fälle im Bereich Social Media und Internetrecht führt. "Mit dem Einloggen in den Account werden dem Täter auch gespeicherte Nutzerdaten angezeigt", sagt er t-online. "Eine solche Ausspähung der Daten kann strafbar sein."

Doch eine Strafbarkeit kann auch bereits vorliegen, wenn ein Mitarbeiter Zugangsdaten und Zugriffsrechte missbraucht, um den Spruch in dem Account zu posten und dabei Daten verändert, so Löffel. Dann greife Paragraf 303a, Datenveränderung: "Der Accountinhaber dürfte sich nicht damit einverstanden erklärt haben, dass es durch die Überlassung der Zugangsdaten innerhalb seines Accounts zu seiner solchen Veränderung der Daten kommt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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