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Literatur - Lohnende Wiederentdeckung: Irmgard Keun


Literatur
Lohnende Wiederentdeckung: Irmgard Keun

Von dpa
30.01.2018Lesedauer: 4 Min.
Die Werkausgabe zu Irmgard Keun.Vergrößern des BildesDie Werkausgabe zu Irmgard Keun. (Quelle: Wallstein-Verlag./dpa)
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Berlin (dpa) - Eine junge Stenotypistin aus gutbürgerlichem Haus wird Schauspielerin, schließlich Bestsellerautorin und schreibt Anfang der 30er Jahre einen der meistgelesenen zeitgenössischen Romane der Weimarer Republik.

"Das kunstseidene Mädchen" machte Irmgard Keun nach ihrem Anfangserfolg "Gilgi - eine von uns" endgültig berühmt. Diese Autorin gilt es heute wiederzuentdecken, nachdem sie in den Nachkriegsjahren weitgehend in Vergessenheit geraten war und Ende der 70er Jahre wenige Jahre vor ihrem Tod ein Comeback erlebte mit Bewunderern wie Elfriede Jelinek.

Und von wegen "unmoderne Autorin": "Wenn ich das Wort 'Weltanschauung' höre, weiß ich, daß Krach kommt", schrieb Keun 1937. Jetzt gibt erstmals eine kommentierte Werkausgabe in drei Bänden Einblick in das Gesamtwerk der Autorin (Irmgard Keun: Das Werk, Wallstein Verlag).

Schon in ihrem ersten Erfolgsroman von 1931 über die aufstrebende "Gilgi - eine von uns" machte die damals erst 26-jährige Keun als nüchtern-ironische Beobachterin des Alltags der sogenannten kleinen Leute auf sich aufmerksam. Es ist die "Geschichte einer ebenso entschlossenen wie leidvollen Emanzipation" einer jungen Frau in den Wirren der Weimarer Republik, wie die Herausgeber der Werkausgabe, Heinrich Detering und Beate Kennedy, in ihren umfangreichen und informativen Kommentaren betonen.

Sozialkritik nicht ohne Humor, in Deutschland keine Selbstverständlichkeit, in einem Land, in dem laut Kurt Tucholsky ganz schnell "halb Deutschland auf dem Sofa sitzt und beleidigt ist". Und jetzt "eine schreibende Frau mit Humor, Hurra!" jubelte seinerzeit Tucholsky etwas männlich-gönnerhaft. "Aus dieser Frau kann einmal was werden!" Hans Fallada nennt "Gilgi" ein "herrlich tapferes, ehrliches Buch". Ein neuer selbstbewusster Frauentyp trat auf die Bühne. Die "neue Sachlichkeit" in der Kunst der Weimarer Republik meldete sich nun auch in der Literatur zu Wort.

Mit dem 1932 erschienenen Roman "Das kunstseidene Mädchen" gelang Keun noch kurz vor dem Machtantritt Hitlers der endgültige Durchbruch. Es ist die Ich-Erzählung der blutjungen Sekretärin Doris, die aus engen Verhältnissen in die damalige Reichshauptstadt Berlin flüchtet, um Anschluss an die "Glamourwelt" und vielleicht auch die große Liebe zu finden und etwas, "was nicht immer gleich entzwei geht". "Kleine Frau, was nun?" fragt sich der Leser in Anlehnung an den berühmten Roman von Hans Fallada ("Kleiner Mann, was nun?"). Keuns Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und auch mehrfach verfilmt, unter anderem mit Ernst Busch, Giuletta Masina, Gert Fröbe, Gustav Knuth oder Desirée Nosbusch.

Der auch internationale Erfolg Keuns hielt die Nationalsozialisten nicht davon ab, die "Asphaltliteratur", wie sie es nannten, zu verbannen. Keun kämpfte noch erfolglos um die Aufnahme in die "Reichsschrifttumkammer" als Voraussetzung für ihre weitere Arbeit in Deutschland. Depressionen und "das verfluchte Saufen" (Keun) machten sich bemerkbar. Sie ging 1936 vorübergehend außer Landes (die Kriegsjahre verbrachte sie mit falschem Pass wieder in Deutschland). 1937 erschien in Amsterdam der Roman "Nach Mitternacht", 1981 von Wolf Gremm verfilmt (mit Desirée Nosbusch und Irmgard Keun selbst als "alte Dame im Café" - Keun starb ein Jahr später in Köln).

Keun sprach selbst von einem "Anti-Nazi-Roman". Und in der Tat nimmt Keun darin, wie die Herausgeber der Werkausgabe betonen, ähnlich wie etwa Bertolt Brecht in seiner 1935 begonnenen dramatischen Szenenfolge "Furcht und Elend des Dritten Reiches" den "alltäglichen Nazismus im bürgerlichen Milieu" in den Blick. Damit habe Keun als eine der ersten die neuen Realitäten im NS-Staat samt Alltags- und Medienjargon geschildert und sogar teilweise indirekt analysiert. Ursula Krechel hebt in ihrem Essay zur Werkausgabe die Hellsichtigkeit Keuns hervor, ihren "entblößenden Blick auf den alltäglichen Faschismus". Sie beschreibe (schon damals!), "wie Elemente des Kleinbürgertums und autoritäre Strukturen genuin im Faschismus aufgehen".

Im belgischen Exil lernte Keun einen illustren Kreis von Schriftstellerkollegen wie Stefan Zweig ("Schachnovelle"), den "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch und Joseph Roth ("Radetzkymarsch"), mit dem sie zeitweise liiert war, kennen (Roth starb 1939). Aber auch "einfache Emigranten" wie den Berliner Arzt, der jetzt in einer Fischhandlung arbeitete, lernte sie kennen. "Er fühlte sich alt und müde und im Tiefsten verstört und unfähig zu begreifen, was mit ihm geschehen war. Politik hatte er nie verstanden." Oder da war der "kleine Emigranten-Junge vom Wedding". Ob er Heimweh nach Berlin habe, fragte ihn Keun einmal. "Det is mir egal, wo ick bin, ick spiel überall mit alle Kinder, ick muß nur immer wieder bei meine Mutter sein, weil die mir kocht."

Die kleinen Porträtskizzen in ihren "Bildern aus der Emigration" gehören zu den eindrucksvollsten Kapiteln der Werkausgabe. "Man war als Emigrant nicht gern gesehen", erinnerte sich Keun später. "Leute, die sich mit ihrer Regierung nicht vertragen können, werden vielfach als etwas anrüchig empfunden...Man war in fremden Ländern geduldet, mitunter gern, mitunter ungern. Das hing in der Hauptsache davon ab, ob man Geld hatte und wieviel."

Nach 1945 war Keun weiterhin produktiv, ohne den Erfolg ihrer Vorkriegsjahre wieder zu erreichen. Erst Ende der 70er Jahre, also wenige Jahre vor ihrem Tod, gab es noch einmal ein vorübergehendes Comeback, das Keun mit dieser Werkausgabe, die laut Verlag alle erhaltenen Texte Keuns von der Weimarer Republik bis in die 60er Jahre enthält, wieder zu gönnen wäre. Verdient hätte sie es. Erstaunlich ist der erschwingliche Preis dieser dreibändigen Ausgabe mit immerhin über 2000 Seiten, was, wie der Verlag ausdrücklich betont, nur durch die Kooperation mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung möglich geworden sei.

Irmgard Keun: Das Werk, herausgegeben im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung von Heinrich Detering und Beate Kennedy. Mit einem Essay von Ursula Krechel. Wallstein Verlag, Göttingen. 3 Bände im Schuber, 2044 Seiten, 39,00 Euro, ISBN 978-3-8353-1781-9.

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