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Oliver Kalkofe: "Fernsehen gefährdet Ihre Gesundheit"


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Oliver Kalkofe: "Fernsehen gefährdet Ihre Gesundheit"

t-online, Lars Schmidt

11.10.2012Lesedauer: 7 Min.
Oliver KalkofeVergrößern des BildesOliver Kalkofe (Quelle: dapd)
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Er ist böse und er ist bissig, aber das ist auch kein Wunder. Denn was Oliver Kalkofe in seiner Funktion als TV-Kritiker alles gucken muss, kann einen depressiv und krank machen. Am 12. Oktober kommt seine legendäre Sendung "Kalkofes Mattscheibe" zurück ins Fernsehen. Im Interview mit t-online.de sprach der 47-Jährige über die Schwierigkeit, Scripted Reality zu parodieren, Markus Lanz' "Wetten, dass..?"-Debüt und den Grund für das Ende von Sat.1.

t-online.de: Nach vierjähriger Unterbrechung kommt „Kalkofes Mattscheibe“ am 12.10. beim Sender Tele5 wieder zurück ins Fernsehen. Welche TV-Formate und -Gesichter haben Sie dafür aufs Korn genommen?

Oliver Kalkofe: Es gibt ja gar nicht mehr so viele bekannte Gesichter, die man sich vornehmen kann. Das Programm wird geprägt durch Sendungen, die niemand auseinanderhalten kann - ob das jetzt „Verdachtsfälle“, „Betrugsfälle“, „Durchfälle“, „Mitten im Leben“ oder „Pures Leben“ heißt. Man nimmt immer mehr Laiendarsteller, und Bekloppte spielen Bescheuerte nach. Oder man führt Menschen vor. Das prägt zurzeit das Fernsehbild und das ist sehr bitter und nicht mehr witzig. Mich persönlich macht das wütend. Ich hätte lieber wieder klare Opfer wie früher: einen Achim Mentzel, einen Karl Moik. Das sind Profis. Wenn die sich zum Affen machen, kann man denen auch einen überbraten. Aber heutzutage verstecken sich die Verantwortlichen hinter Off-Kommentaren und sind gar nicht greifbar.

t-online.de: Macht das Ihren Job schwerer?

Oliver Kalkofe: Auf jeden Fall. Früher kam der, der vor der Kamera stand, mit dem Anspruch zu unterhalten. Und wenn der dann blöd war, konnte man sich über ihn lustig machen. Aber wenn jetzt Leute gefilmt werden, die nicht wissen, was man mit ihnen macht, dann geht das so nicht. Denn diese Leute sind Opfer. Um die Verbrecher, die man nicht sieht, zu entlarven, bedarf es neuer Herangehensweisen. Und das ist echt schwierig.

t-online.de: Tele5 - Ihre neue TV-Heimat - ist ein sehr kleiner Sender. Haben sich größere Kanäle nicht getraut, Ihre Sendung ins Programm zu nehmen, weil die dann ständig selbst als Zielscheibe Ihres Spotts zu sehen wären?

Oliver Kalkofe: Die „Mattscheibe“ abzulehnen war keine inhaltliche Entscheidung. Die Sendung hat Geld gekostet. Nicht mal viel. Aber sie ist eben eine richtig produzierte Sendung - so mit Studio, Kamera und Kostümen. Und für ein Drittel dieses Geldes kann man auch ein Programm machen. Das ist dann zwar Scheiße, aber bringt am Ende ein Plus. Denn momentan werden die TV-Inhalte nicht mehr von Redakteuren, sondern von Kontrolleuren gemacht. Wir waren uns schon mit vielen Sendern einig. Doch jedes Mal kam ein Controler um die Ecke und dann war’s das. Das ist traurig und frustrierend, aber leider Alltag.

t-online.de: Wie viele Stunden schauen Sie täglich fern, um sich Inspirationen für die „Mattscheibe“ zu holen?

Oliver Kalkofe: Nicht täglich, aber wenn dann acht bis zwölf Stunden am Stück. Und das ist richtige Folter.

t-online.de: Wie halten Sie das überhaupt geistig und körperlich aus?

Oliver Kalkofe: Es ist hart. Wenn man das ein paar Tage macht, muss man aufpassen, dass man nicht depressiv wird.

t-online.de: Kriegt man da keine Albträume?

Oliver Kalkofe: Nach einiger Zeit ja. Es fängt immer lustig an. Der erste Tag macht Spaß. Da lache ich noch. Aber dann wird’s immer schlimmer. Am Anfang denkt man noch, der Wahnsinn ist die Ausnahme, doch dann merkt man, er ist die Regel. Wie im Horrorfilm: Den ersten Zombie erledigt man noch. Den zweiten auch. Doch dann öffnet man die Tür und sieht, es stehen 10.000 draußen, man ist umzingelt und es gibt keine Hoffnung. Und so ist es beim TV-Programm auch.

t-online.de: Was ist Ihr Ausgleich dazu? Sport? Gutes Buch? Alkohol?

Oliver Kalkofe: Früher hat häufig Alkohol geholfen. Ich habe während langer Fernsehnächte schon das eine oder andere Glas Rotwein getrunken. Heute versuche ich das zu vermeiden und beim Schreiben meiner Kritiken nüchtern zu bleiben. Ab und zu mache ich Sport, weil ich merkte, ich komme körperlich nicht mehr gegen das Fernsehen an. Man muss noch weglaufen können und braucht einen wachen Geist, um sich gegen das Fernsehen zu wehren, auch wenn man sich am liebsten nur besaufen möchte!

t-online.de: Also nüchtern bleiben, um die Kontrolle zu behalten?

Oliver Kalkofe: Genau. Die Sender wollen uns einlullen, wir sollen gar nicht mehr denk- und kritikfähig sein, dann könnten wir uns ja vielleicht wehren. Wenn man immer länger mit dummen Sendungen, die einem auch noch als Realität verkauft werden, eingelullt wird, schaltet sich das Denken irgendwann automatisch ab. Und wenn man immer nur Scheiße hört und sieht, kommt sie irgendwann aus einem selber raus.

t-online.de: Trotz Ihrer bissiger TV-Kritiken durften Sie einen Fernsehpreis übergeben. Spricht Sie da hinter den Kulissen eigentlich mal jemand an, den Sie verrissen haben, weil er sich zu ungerecht behandelt fühlt?

Oliver Kalkofe: Komischerweise fast gar nicht. Es gibt eher Zuspruch. Ich mache die Promis ja auch nicht fertig, ich kritisiere höflich und konstruktiv... also fast jedenfalls.

t-online.de: Dieses Jahr brachte einige personelle Veränderungen im deutschen TV: Die wichtigste - Markus Lanz übernimmt „Wetten, dass..?“. Wie lautet ihre Meinung zu dieser Entscheidung?

Oliver Kalkofe: Irgendwann war man ja nur noch froh, dass es überhaupt irgendjemand macht. Ich hätte mir zwar noch mehr Mut bei der Wahl gewünscht - aber naja - es ist eben das ZDF. Markus Lanz hat keinen leichten Job. Er kann eigentlich nur verlieren, weil jeder auf ihn schauen und auf noch so kleine Fehler warten wird. Ich finde es erst mal sehr mutig, dass er sich darauf einlässt und hoffe man besinnt sich wieder auf die eigentlichen Stärken der Sendung.

t-online.de: Wie fanden sie die erste Wettshow mit Lanz?

Oliver Kalkofe: Ich glaube, inzwischen hat schon jeder Mensch in Deutschland seine Meinung dazu veröffentlicht. Kurz gesagt: Für eine erste Sendung war es wirklich mehr als okay. Je länger die Show dauerte, desto lockerer wurde Lanz. In die Hose ging es immer, wenn er oder das ZDF versuchten, gewollt lustig zu sein. Gut wurde es immer, wenn etwas Unerwartetes geschah. Ich hätte mir vom ZDF mehr Mut zur Innovation gewünscht, aber ich fand die erste Folge wesentlich gelungener und unterhaltsamer als die ersten drei Folgen "Supertalent".

t-online.de: Thomas Gottschalk ging nach seinem Scheitern in der ARD zum RTL-„Supertalent“ und viele fragten sich, warum tut er sich das an?

Oliver Kalkofe: Beim „Supertalent“ wird leider nur die gleiche Formel wieder und wieder ausgemolken, da hilft auch kein Gottschalk in der Jury. Es ist im Grunde stinklangweilig. Es ist nur noch eine Revue-Show mit größtenteils eingekauften Leuten. Und Gottschalk bringt leider überhaupt keine neue Farbe ins Spiel. Sein Wechsel zeigt nur: Für ein bisschen Geld und Aufmerksamkeit machen wir letztlich fast alles. Das Traurige ist aber, dass die Sendung keinen Deut besser geworden ist, es gibt keinerlei Chemie zwischen den "Show-Titanen". Wäre die Show durch Gottschalk wenigstens etwas lustiger oder unterhaltsamer geworden, würde man nicht mehr darüber diskutieren.

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t-online.de: Harald Schmidt ist wegen schlechter Quoten von Sat.1 gefeuert worden und nun beim Bezahlsender Sky, wo er quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit sendet. Traurig, oder?

Oliver Kalkofe: Das ist extrem traurig. Nicht nur für ihn. Am beschämendsten ist es allerdings für Sat.1. Schmidt war eins der letzten Gesichter, das der Sender noch hatte, und diesen unglaublichen Wert hat man dort - allen miesen Quoten zum Trotz - nicht erkannt. Es war schon ein Fehler, als sie ihn zur ARD gingen ließen. Dann holen sie ihn zurück und schmeißen ihn gleich wieder raus, weil die Zahlen nicht gut genug waren. Das war unendlich dumm und läutete den Beginn des Endes von Sat.1 ein. Aber so tickt das Fernsehen zurzeit.

t-online.de: Speziell die TV-Quotenerhebung ist Ihnen ein Graus. Warum halten Sie diese für überholt?

Oliver Kalkofe: Das Problem ist, diese Quote ist nur ein Schätzwert. Gemessen in knapp 6.000 Wohnzimmern und dann hochgerechnet. Aber jeder, der es heute nicht mehr nötig hat, schaut live nicht fern. Man nimmt auf Festplatte auf, guckt DVDs oder online in der Mediathek. Dass eine Sendung oder auch nur ein Teil einer Sendung über das Internet weiterverbreitet wird, wird überhaupt nicht berücksichtigt. Die Mediennutzung ist doch inzwischen eine ganz andere als vor 20 Jahren. Aber solange wir dieser Quotenerhebung Rechnung tragen, können wir nichts Gutes entstehen lassen, denn wir laufen einem Gespenst hinterher.

t-online.de: Was war das Schlimmste und das Schönste, was Sie in diesem Jahr im TV gesehen haben?

Oliver Kalkofe: Eine der schlimmsten Szenen war diese dicke Frau, die spielen muss, dass sie fett, fresssüchtig und geizig ist und deswegen auf dem Rücken ihrer Tante in einen Müllcontainer klettert, weggeworfenes Essen herausholt und in der Tonne mit der Hand Torte fressen muss. Das ist nur einer von vielen grauenhaften Momenten und in meiner ersten „Mattscheibe“ am 12. Oktober zu sehen.

t-online.de: Das lief wo?

Oliver Kalkofe: „Pures Leben“ in Sat.1. Wer geistig und körperlich gesund ist, kennt solche Sendungen kaum, aber jeder der mal krank im Bett liegen musste und auf das Fernsehen als Unterhaltungsquelle angewiesen war, der weiß wovon ich spreche. Wer krank ist und sich das tägliche Nachmittagsprogramm angucken muss, der wird nicht mehr gesund. An positiven Dingen fällt mir anhand dessen, was ich bislang gesichtet habe, leider fast gar nichts ein.

t-online.de: Wir können also festhalten: Fernsehen gefährdet Ihre Gesundheit.

Oliver Kalkofe: Ja. Müsste eigentlich als Warnhinweis gedruckt werden. Früher habe ich als kleinen Scherz „Fernsehen macht doof“ auf meine Autogrammkarten geschrieben. Aber damals war das Fernsehen zwar doof, aber eher so lieb-doof. Heute ist es böse-doof. Wir werden mit Kübeln voller Doofheit überschüttet und man will uns zeigen, alle um uns herum sind noch viel doofer. Ich kann heute - und das ist erschütternd - die Volksmusikanten fast verstehen, die lieber darüber singen, dass über jedes Bacherl auch ein Brückerl geht.

t-online.de: Angenommen, ein Sender bietet Ihnen an, eine große Abendshow zu entwickeln. Wie würde die dann aussehen?

Oliver Kalkofe: Ich würde mich fragen, was hat mir früher an TV-Shows Spaß gemacht und dann - was gibt es noch nicht.

t-online.de: So ähnlich wie Stefan Raab es macht?

Oliver Kalkofe: Ja. So wenig mir „TV total“ gefällt, umso mehr muss ich den Hut vor „Schlag den Raab“ ziehen. Das war eine Super-Idee. Und so einfach. Auch Joko und Klaas mit ihrem Battle finde ich klasse. Solche Ideen muss man haben. Aber nicht die 500. Quizshow und immer nur Varianten des ewig Gleichen. So würde ich an die Frage herangehen. Also: Was gibt es momentan nicht? Die Sender machen stattdessen: Was haben denn gerade die andern? Und machen es dann nach…

t-online.de: Vielen Dank für das Gespräch.

TV-Tipp: "Kalkofes Mattscheibe", ab 12.10.2012 immer freitags um 20.00 Uhr bei Tele5.

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