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"Tatort: Wegwerfmädchen": So viel Gewalt ist gar nicht nötig


Expertin zum "Tatort: Das goldene Band"
"So viel Gewalt ist gar nicht nötig"

Aktualisiert am 17.12.2012Lesedauer: 3 Min.
Furtwängler im Doppel-"Tatort: Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band"Vergrößern des BildesFurtwängler im Doppel-"Tatort: Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band" (Quelle: NDR/Gordon Muehle)
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Erschreckende Bilanz für TV-Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler). Im Doppel-"Tatort" um Frauenhandel (Teil eins lief am 9. Dezember) wurden die meisten der Mädchen aus Weißrussland nach brutalen Misshandlungen umgebracht: auf einer Müllhalde "entsorgt" oder in einen Container gesteckt, wo sie erfroren. Nur die Zwangsprostituierte Larissa konnte gerettet und zur Aussage bewegt werden. Wir wollten wissen, wie viel Wahrheit in den Krimis steckte? Expertin Elvira Niesner von der Frankfurter Fachberatung für Migrantinnen "FIM"* hat geantwortet.

t-online.de: Sehr geehrte Frau Niesner, wie realistisch waren die "Tatorte" um Frauenhandel?

Sehr zutreffend wurde das Misstrauen der Zwangsprostituierten Larissa gegenüber der Polizei dargestellt. Einzuwenden ist, dass Weißrussland derzeit kaum Herkunftsland von Opfern ist, sondern eher die neuen EU-Länder Rumänien und Bulgarien. Zudem fielen die kriminellen Aspekte in den Filmen überzogen aus. So ist Gewalt in dieser Dichte und in diesem extremen Ausmaß in der Realität nicht nötig, um die Frauen in der Prostitution zu halten.

t-online.de: ...soll heißen?

Die Frauen sind für die Täter leichte Opfer, denn sie sind jung, unerfahren, haben manchmal keine Schule besucht und viel Gewalt als Kind erlebt, sie sprechen häufig kein Deutsch, sind an ihre "Freundesnetzwerke“ aus Händlern, Zuhältern oder Verwandten gebunden und können wegen der hohen Fluktuation in den Bordellen keine eigenen Kontakte aufbauen.

t-online.de: Sind Ihnen ähnliche Fälle bekannt, bei denen Frauen wie in den Krimis an Mitglieder der feinen Gesellschaft vermittelt oder nach ihrem Missbrauch einfach aus dem Weg geräumt wurden?

Wir wissen nur, dass auch gut situierte Männer in solche Clubs gehen und dass dann auch Kontakte zu Opfern des Menschenhandels bestehen können. Vereinzelt wurden von solchen Freiern auch schon Hinweise über Opfer an uns herangetragen.

t-online.de: Lindholm konnte Larissa nur zu einer Zeugenaussage bewegen, nachdem sie deren Sohn aus Weißrussland in die sichere Obhut seiner Mutter nach Hannover gebracht hatte. Müssen die Frauen um die Sicherheit ihrer Familie bangen, wenn sie sich an die Polizei oder an eine Organisation wie der Ihren wenden?

Ja, das ist realistisch, denn die Frauen und ihre Familien werden bedroht und haben oft sehr große Angst.

t-online.de: Im Film wurden die Mädchen mit einem falschen Model-Versprechen nach Deutschland gelockt. Welche anderen Motive treiben Frauen sonst noch in die Fänge von Schlepperbanden?

Den Frauen wird versprochen, als Bedienung, Bardame, Tänzerin, Friseurin oder ähnliches arbeiten zu können. Frauen werden auch "verliebt gemacht'" und gehen aus "Liebe" zu ihrem Zuhälter anschaffen, den sie als ihren Freund begreifen. Aber es gibt auch Opfer von Menschenhandel, die zuvor wussten, dass sie als Prostituierte arbeiten werden, die jedoch über die Bedingungen getäuscht wurden - zum Beispiel hinsichtlich der Anzahl der Freier oder dem Geld, das sie an ihre Zuhälter bezahlen müssen, oftmals auch in Form von Schulden, die ihnen angedichtet werden. Alle diese Frauen kommen aus ärmlichen Verhältnissen, sie wollen arbeiten, Geld verdienen, sich und ihre Familie ernähren. Im Herkunftsland fehlt ihnen jegliche berufliche Perspektive.

t-online.de: Lindholms Polizei-Boss hat immer wieder darauf verwiesen, nicht genug Personal für die abschließende Ermittlung des Verbrechens zu haben. Haben die Macher des Films damit übertrieben oder ein realistisches Bild der Situation in den zuständigen Behörden gezeichnet?

Grundsätzlich ist die Ermittlung bei Menschenhandel wegen der komplexen Thematik sehr personalintensiv. In vielen Bereichen und Regionen ist es realistisch, dass die Polizei nicht genügend qualifiziertes Personal dafür hat. Wir haben auch noch ein Stadt-Land-Gefälle, wobei es in ländlichen Regionen, in denen es auch bordellartige Einrichtungen gibt, noch viel schlechter aussieht.

t-online.de: Was raten Sie den Frauen, die in eine ähnliche Situation geraten sind und wie werden sie im Fall ihrer Aussage geschützt?

Natürlich raten wir diesen Frauen, sich in ein sogenanntes Opfer-Zeugenschutzprogramm für Opfer von Menschenhandel in Deutschland zu begeben. In diesem Bereich ist im letzten Jahrzehnt in den meisten Bundesländern Kapazität und Qualität entwickelt worden. In Deutschland ist häufig eine Fachberatungsstelle wie die "FIM" in den Opferschutz eingebunden, bei Minderjährigen natürlich auch das Jugendamt. Denn die Polizei kann den Opferschutz allein mit Hilfe von Dolmetscherinnen nicht qualifiziert leisten.

*FIM e.V. - Beratungs- und Informationszentrum
für Migrantinnen und ihre Familien
www.fim-frauenrecht.de
www.stoppt.zwangsprostitution.de

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