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"Tatort" aus Berlin: Wenn falsche Moral zum Dogma wird


Der "Tatort" aus der Hauptstadt
Wenn falsche Moral zum Dogma wird

von Verena Maria Dittrich

Aktualisiert am 10.12.2017Lesedauer: 3 Min.
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Die Kommissare Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) haben es dieses Mal mit vier verbrannten Leichen zu tun.Vergrößern des Bildes
Die Kommissare Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) haben es dieses Mal mit vier verbrannten Leichen zu tun. (Quelle: rbb/Gordon Muehle)

Vier verbrannte Leichen, ein ominöser Arzt einer "Kinderwunsch-Klinik", ein Mann, der glaubt, eine Weltverschwörung aufzudecken und ein Ermittlerteam, das unterschiedlicher nicht sein kann. Wenn nichts passt: Das ist Berlin.

Der sechste Fall des Berliner "Tatort"-Duos Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) beleuchtet schwer zugängliche Orte der Hauptstadt, wie auch schwer zugängliche Orte des menschlichen Geistes. Berlin wirkt dabei dunkel, von unzähligen schäbigen Tunneln und U-Bahn-Schächten durchzogen. Ein Eigenbrötler (seltsam anmutig Christoph Bach), er nennt sich selbst Harbinger, lebt und arbeitet hier, unter der brodelnden, pulsierenden Metropole. Der Harbinger ist im Grunde seines Wesens ein guter Mensch, er will helfen. Doch eine schizophrene Psychose macht in anfällig für Wahnvorstellungen und Manipulationen.

Der Arzt einer "Kinderwunsch-Klinik" (Trystan Pütter) nutzt diesen Umstand zu seinen Gunsten, denn er will Gott spielen und entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Es gilt, seine Einzigartigkeit zu wahren und auch den guten Ruf seines Erbes zu beschützen. Der Harbinger wird zum Instrument eines Mörders und so zum Sinnbild einer Gesellschaft, die angetrieben von falschen Versprechen und verdrehten moralischen Dogmen ihren Überzeugungen zuwiderhandelt.

Jeder hat seine eigene Wahrheit

Auch die Mutter des mordenden Arztes (Almut Zilcher) spielte mit ihrer Lebensgefährtin (Eleonore Weisgerber) vor über zwei Jahrzehnten die Schöpferrolle, indem sie ihren Sohn via künstliche Befruchtung zeugten. Dabei war es der Reproduktionsmedizinerin nicht genug, nur ihr eigenes Kind zu erschaffen. Ohne das Wissen der von ihr behandelten Frauen setzte sie ihre eigenen Eizellen in die Körper ihrer Patientinnen ein. Und so erzeugte sie, aus rein biologischer Sicht, diverse eigene Nachfahren.

Um das Ansehen der Klinik zu schützen und die Besonderheit zu wahren, eines der ersten Retortenbabys der Achtzigerjahre zu sein, wird ihr aus Liebe erzeugtes Kind zum Mörder seiner Halbgeschwister. Der Arzt bastelt sich, wie seine Mütter damals, seine eigene Wahrheit. Er glaubt, das einzig Richtige zu tun - ebenso wie der Harbinger in seiner von Wahnsinn geprägten Welt.

Die Parameter von Gut und Böse werden so lange verschoben, bis sie der eigenen Moralvorstellung entsprechen. Auch die beiden Ermittler Rubin und Karow sind hier keine Ausnahme. Was Karow an Empathie vermissen lässt, hat Rubin im Überfluss. Helfen kann es beiden nicht. Rubins Familie zerfällt Stück für Stück und Karow versucht, seine Isolation als Lebensmotto zu tarnen. Alle scheitern an ihren eigenen Wahrheiten.

In diesem Punkt bilden die Charaktere des neuen Berlin-"Tatort" einen Mikrokosmos, der als Spiegel der Welt herhalten kann. Milliarden Menschen streben in unterschiedliche Richtungen und jeder Einzelne denkt, er hätte den Masterplan gefunden.

Die Klarheit des Wahnsinnigen

So ist es nur konsequent, wenn am Schluss die Schöpfung ihren Schöpfer zu Fall bringt. Der Vergleich mit Frankenstein mag hinken, trifft es aber dennoch irgendwie. Die Reproduktionsmedizinerin, die ihre Art der Fortpflanzung als Hilfe verstehen will, stürzt über ihren Sprössling, den Arzt, der sich der unnatürlichen Auslese verschrieben hat. Dieser wiederum findet sein biblisches Ende im Harbinger, der mit der Erkenntnis vom Arzt nur benutzt worden zu sein, seinen Herrn und sich selber mit Benzin übergießt und anzündet.

Der vermeintlich Kranke richtet über den vermeintlich Gesunden. Die Tat hat Aussagekraft. Es ist die Klarheit des Wahnsinnigen, der ihn die moralisch vertretbare aber rechtlich falsche Entscheidung treffen lässt. Die Berliner Kommissare verkommen bei diesem Schuldspruch nur zu Statisten. Es ist die Rolle, die die meisten einnehmen, wenn in der Welt sogenanntes Recht und die daraus angeblich resultierende Ordnung durchgesetzt werden.

Wenn Moral zu einem verdrehten Dogma verkommt, ist die Entscheidung über richtig oder falsch unmöglich. Wenn jeder Mensch auf seine Weise recht hat, was bedeutet dann Wahrheit?

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