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Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Migrationsexperte zum Ampel-Plan


IW-Experte über Ampelgesetz
"Darin steckt eine große Fehlsteuerung"

InterviewVon Frederike Holewik

18.11.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Eine VW-Mitarbeiterin montiert ein E-Auto (Symbolbild): "Der Ansatz ist zwar komplett richtig, aber das allein wird nicht reichen", sagt Experte Geis-Thöne über das neue Gesetz. (Quelle: IMAGO/Uwe Meinhold/imago images)

Die deutsche Wirtschaft leidet unter akutem Fachkräftemangel. Ein Ökonom erklärt, ob ein neues Gesetz zur Migration die Lösung bringt.

Ob im Handwerk, in Kliniken oder Kindertagesstätten: Überall in Deutschland werden Fachkräfte händeringend gesucht. Die Bundesregierung will zur Lösung des Problems verstärkt auf Zuwanderung von qualifizierten Personen aus dem Ausland setzen. Dazu tritt am Samstag das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft.

Im Interview mit t-online erklärt Wido Geis-Thöne, Experte für Migrationsfragen am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), welche Änderungen in dem Gesetz stecken, warum er Fehlanreize befürchtet und warum deutsche Politiker das kanadische System nicht verstanden haben.

t-online: Ab dem 18. November gibt es die neue Blaue Karte. Was verbirgt sich dahinter?

Wido Geis-Thöne: Die Blaue Karte ist ein Aufenthaltstitel für ausländische Fachkräfte. Bislang gab es sie nur für Akademiker. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird der Kreis auf Migranten mit anderen beruflichen Qualifikationen ausgeweitet. Das Besondere an der Blauen Karte ist, dass die zu erfüllenden Voraussetzungen sehr transparent geregelt sind.

Welche Voraussetzungen sind das?

Migranten, die eine Blaue Karte beantragen, müssen ein Anstellungsverhältnis in Deutschland nachweisen. Ein Mindestgehalt von 43.800 Euro im Jahr ist Pflicht, ebenso wie eine entsprechende Berufsausbildung. Dabei gibt es Sonderregelungen, etwa für IT-Spezialisten.

Kann dieses Gesetz das deutsche Fachkräfteproblem lösen?

Definitiv nein. Der Ansatz ist zwar komplett richtig, aber das allein wird nicht reichen. Wir brauchen deutlich mehr Zuwanderung, denn unsere Gesellschaft wird immer älter. In Deutschland gibt es zu wenige junge Menschen, die auf den Arbeitsmarkt nachrücken können. Da hilft vor allem Zuwanderung aus außereuropäischen Staaten, denn die anderen EU-Staaten sind auch vom demografischen Wandel betroffen. Darüber hinaus brauchen wir auch bessere Bedingungen für Mütter, die wieder oder mehr arbeiten wollen. Das Gleiche gilt für ältere Menschen, die über das Renteneintrittsalter hinaus am Erwerbsleben teilhaben wollen.

Der Druck, Fachpersonal nach Deutschland zu holen, ist hoch. 1,73 Millionen Stellen sind aktuell unbesetzt. Vor allem in der Pflege werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Doch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe hält wenig vom neuen Gesetz. Stattdessen brauche es bessere Rahmenbedingungen. Wie sehen Sie das?

Im Pflegebereich sind mehrere Aspekte besonders schwierig: Zum einen sind die Ausbildungswege in diesem Bereich je nach Herkunftsland sehr unterschiedlich. In manchen Ländern gibt es eine Ausbildung, in anderen Ländern ist die Pflege akademisiert und dann gibt es natürlich auch Personen, die ohne formale Ausbildung in diesem Bereich arbeiten. Das etwa durch Nachqualifizierung anzugleichen, ist nicht einfach. Dann kommt hinzu, dass Deutschland in anderen Ländern nicht einfach Personen abwerben darf, die für die medizinische Versorgung vor Ort benötigt werden. Es braucht Ausbildungspartnerschaften und keine reinen Abwerbekampagnen.

Das Gesetz sieht auch vor, dass Asylbewerber einen Antrag stellen können, um in die Erwerbsmigration zu wechseln. Ist das nicht ein sinnvoller Schritt?

Der sogenannte Spurwechsel sieht auf den ersten Blick gut aus. Auf den zweiten Blick steckt darin eine große Fehlsteuerung.

Inwiefern?

Beim Spurwechsel können Asylbewerber, zumeist mit geringen Aussichten auf eine Bewilligung von Asyl, in die Erwerbsmigration wechseln. Darüber erhalten sie dann einen Aufenthaltstitel, sofern sie einen Job in Deutschland nachweisen können. Wer regulär als Fachkraft nach Deutschland kommen will und mit einem Schengen-Visum zum Auswahlgespräch eingereist ist, muss hingegen wieder in sein Heimatland zurück, um eine Blaue Karte oder einen anderen Aufenthaltstitel zu beantragen. Selbst bei einer schnellen Jobzusage dauert es dann meist Monate, bis diese tatsächlich vergeben werden. Da setzt die Möglichkeit zum Spurwechsel eindeutig falsche Anreize. In anderen Ländern funktionieren die Verfahren viel besser.

Ein oft als Vorbild herangezogenes Land ist Kanada. Inwiefern ist das deutsche Gesetz von Kanada inspiriert?

Sicherlich haben deutsche Politiker nach Kanada geschaut. Aber ich befürchte, sie haben das dortige System nicht richtig verstanden. Denn in Kanada gibt es ein Punktesystem für Einwanderer, das Personen mit besonders guten Integrationschancen für einen auf Dauer ausgelegten Zuzug auswählt. Arbeit ist dabei nur einer von mehreren Faktoren. In Deutschland hingegen geht es vorrangig darum, aktuell offene Stellen zu besetzen. Die sogenannte Chancenkarte ist dementsprechend auch nur eine Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche für ein Jahr. Auch die Abläufe sind in Kanada deutlich einfacher gestaltet.

Umfangreiche Bürokratie ist schon lange ein Hauptkritikpunkt an der deutschen Migrationspolitik. Wird das mit diesem Gesetz besser?

Teilweise. An einigen Stellen wurde Bürokratie abgebaut, etwa bei den Nachweispflichten für eine qualifikationsadäquate Beschäftigung. Doch an eine der Hauptursachen für den hohen Verwaltungsaufwand traut sich das Gesetz nicht heran. Während etwa in Kanada für die Beantragung und die Bewilligung eine Behörde zuständig ist, müssen Fachkräfte, die nach Deutschland wollen, sich erst mit der Botschaft in ihrem Heimatland auseinandersetzen. Später müssen sie sich dann noch mit den Ausländerbehörden in Deutschland auseinandersetzen, die wiederum in den Händen der Städte und Kommunen sind. Auch wenn das jetzt kontraintuitiv klingen mag, komme ich daher zu dem Schluss: Das Gesetz hätte mehr Zeit gebraucht.

Wieso?

Das bisherige Gesetz stammt aus dem Jahr 2020. Darin wurden bereits Sonderregelungen für IT-Kräfte festgelegt. Doch durch Corona waren die Grenzen lange dicht und die Zahl der einwandernden Fachkräfte entsprechend sehr niedrig. Deshalb gibt es noch kaum Erfahrungswerte, wie gut die bisherigen Regelungen funktionieren und wo es konkreten Verbesserungsbedarf gibt.

Herr Geis-Thöne, herzlichen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Fespräch mit Wido Geis-Thöne (IW)
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