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Bahnstreik: Geht es um die Arbeiter – oder um GDL-Chef Claus Weselsky?


Gewerkschaftsboss im Bahnstreik
"Das dürfte seine letzte Schlacht sein"


10.01.2024Lesedauer: 1 Min.
Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

GDL-Demo in Köln (Archivbild): Mitglieder der Lokführer-Gewerkschaft protestieren mit Masken des Vorsitzenden Weselsky.Vergrößern des Bildes
GDL-Demo in Köln (Archivbild): Mitglieder der Lokführer-Gewerkschaft protestieren mit Masken des Vorsitzenden Weselsky. (Quelle: Christoph Reichwein/dpa)

Der Streik der Bahngewerkschaft GDL geht in die nächste Runde. Gewerkschaftschef Weselsky knickt nicht vor der Bahn ein. Geht es ihm um die Arbeiter – oder um sein Vermächtnis?

Seit Mittwochmorgen streikt die Bahngewerkschaft GDL erneut für bessere Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder – schon zum dritten Mal in dieser Tarifrunde. Und wieder einmal führt der Streik zu einer gesellschaftlichen Debatte darüber, was im Arbeitskampf erlaubt ist. Im Zentrum dieser Debatte steht der Chef der GDL. Claus Weselsky führt die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn mit harter Hand.

Dabei stellt sich die Frage: Kämpft Weselsky tatsächlich für die Bahnangestellten?

Pro
Tobias EßerRedakteur Politik, Wirtschaft, Gesellschaft

Ja, Claus Weselsky kämpft für die Arbeiterklasse

Claus Weselsky hat genau verstanden, worum es bei einem Streik geht. Damit der Arbeitskampf erfolgreich ist, muss er den kapitalistischen Unternehmen wehtun. Genau dieses Credo verfolgt Weselsky – und zwar mit der Prämisse, das bestmögliche Ergebnis für die Gewerkschafter herauszuholen.

So ein Streik ist manchmal unbequem. Und man kann natürlich kritisieren, dass darunter auch Pendlerinnen, Pendler und andere Bahnreisende leiden. Aber es ist doch immer noch so, wie es Rosa Luxemburg schon vor mehr als 100 Jahren beschrieben hat: "Wir leben in einer Zeit, wo auf dem Boden des Parlaments keine Vorteile für das Proletariat mehr errungen werden können. Deshalb muss die Masse selbst auf dem Schauplatz erscheinen."

Und die Masse erscheint, angeführt von Claus Weselsky. Er hat es geschafft, seine Gewerkschaft für die Relevanz des standhaften Kampfes um gerechtere Arbeitsbedingungen zu sensibilisieren.

Die Gesellschaft in Deutschland sollte dankbarer dafür sein, dass es Gewerkschaftsbosse wie Weselsky gibt. Unsere Streikkultur ist nicht mit der unserer europäischen Nachbarstaaten zu vergleichen.

Schauen wir doch einmal nach Frankreich: Als Präsident Macron dort im vergangenen Jahr eine Erhöhung des Rentenalters durchdrücken wollte, gingen Hunderttausende auf die Straßen und legten das öffentliche Leben lahm.

Als Sicherheitsmängel 2023 eines der schwersten Zugunglücke der griechischen Geschichte verursachten, riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf – und Zehntausende legten die Arbeit nieder.

Die Menschen in Deutschland sollten von dieser Streikkultur lernen. Claus Weselsky hat verstanden, wie wichtig der Arbeitskampf ist. Und das ist – leider – ein Alleinstellungsmerkmal des vermutlich erfolgreichsten deutschen Gewerkschaftsbosses. Natürlich baut er damit im Hinblick auf seinen baldigen Rücktritt auch ein Vermächtnis auf. Aber dieses Vermächtnis ist nun mal, dass er stets das Maximale für die Arbeiterklasse herausgeholt hat.

Kontra
Frederike HolewikWirtschaftsredakteurin

Nein, Claus Weselsky macht zwar einen guten Job – aber vor allem für sich

Claus Weselsky nervt. So empfinden dieser Tage wieder viele Deutsche, wenn wegen des GDL-Streiks die geplante Reise verschoben oder ein anderer Weg zur Arbeit gefunden werden muss. Als Gewerkschaftsboss ist Weselsky diese Wut gewöhnt.

Immer wieder verweist er zwar in Interviews darauf, dass der Ärger eigentlich der Bahn und vor allem dem Vorstand gelten müsste. Doch über die Jahre scheint er akzeptiert zu haben, dass viele negative Emotionen an ihm und seiner Person hängen bleiben.

Er trägt es mit Fassung. Deswegen würde Weselsky aber nicht auf drastische Formulierungen und harsche Vorwürfe verzichten, für die er bekannt ist. Den Bahn-Vorsitzenden Martin Seiler nennt er nur den "Lügenbaron", die Pressestelle der Bahn ist in seinem Vokabular die "Propagandaabteilung".

Mit seinen Aufgaben als Verhandlungsführer haben diese Verbalattacken nur bedingt zu tun, denn Verhandeln fällt schwer, wenn man sein Gegenüber in aller Öffentlichkeit beleidigt. Wobei Weselskys Auftreten allerdings wunderbar hilft: Aufmerksamkeit zu bekommen, vor allem für sich selbst. Denn über die Forderungen seiner Gewerkschaft wird bedeutend weniger diskutiert als über die Entgleisungen des Gewerkschaftsbosses.

In der Öffentlichkeit ist er – positiv wie negativ – mit der GDL verbunden, er ist Mr. Bahnstreik. Das hat System. Das Image vom harten Hund braucht er, denn bei der Bahn buhlen gleich zwei Gewerkschaften um neue Mitglieder. Die GDL ist deutlich kleiner als die Konkurrenzgewerkschaft EVG, gilt aber vor allem wegen Weselsky als bissiger. Für ihn geht es deshalb in jeder Verhandlungsrunde nicht nur um den nächsten Tarifabschluss, sondern um die Daseinsberechtigung der GDL und seine Position.

Zuletzt sprach er davon, mit seinen Eisenbahnern im "Krieg" zu sein, und – um in seinem Sprachbild zu bleiben – der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung dürfte seine letzte Schlacht sein. Denn nach 16 Jahren im Amt wird er 2024 seinen Posten abgeben. Leise will er diesen nicht räumen, das wäre auch nicht seine Art.

Der aktuelle Bahnstreik nutzt somit vor allem Weselsky selbst, denn der Ausgang entscheidet darüber, unter welcher Überschrift er in die Geschichtsbücher eingehen wird.

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Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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