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Deutschlands Abhängigkeit von China: Am seidenen Faden


Umsteuern der Weltwirtschaft
Das wird für uns alle teuer

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 12.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ein chinesisches Stahlwerk (Symbolbild): Deutschlands Wirtschaft ist stark auf den Handel mit China angewiesen.Vergrößern des Bildes
Ein chinesisches Stahlwerk (Symbolbild): Deutschlands Wirtschaft ist stark auf den Handel mit China angewiesen. (Quelle: Kevin Frayer/getty-images-bilder)

Nicht nur die Abhängigkeit von Russland, auch die Beziehungen zwischen der deutschen und der chinesischen Wirtschaft stehen unter Vorbehalt. Doch hier wird es so richtig schwierig.

Neue und schärfere Sanktionen gehören zu den wenigen Waffen, die der Westen im Kampf gegen Russland hat. Doch neuen und schärferen Bestrafungen steht die Abhängigkeit vieler europäischer Staaten – beileibe nicht nur Deutschlands – von russischen Gas- und Öllieferungen im Wege.

Nicht nur deshalb lohnt es sich, über Abhängigkeit neu nachzudenken, nicht nur, was Russland betrifft. Vor allem die von China ist noch größer. Und noch gefährlicher. Denn die Globalisierung legt gerade den Rückwärtsgang ein, und Deutschland hat sich stärker als alle anderen auf die internationalen Handels- und Produktionsverflechtungen verlassen.

Schon nach der Finanzkrise begann ein Trend, der erst jetzt für alle offensichtlich wird. Statt immer engerer Handelsbeziehungen und immer größerer Arbeitsteilung bleibt das Wachstum des Welthandels hinter dem der Weltwirtschaft zurück.

Abhängigkeiten treten zutage

Dieser Trend wurde in der Corona-Krise schockartig verschärft, als Lieferketten zusammenbrachen, Häfen geschlossen wurden und vor allem Chinas No-Covid-Politik wochenlang Fabrikationen in aller Welt stilllegte. Jetzt bekommt die Sache noch einen neuen Schub. Längst sprechen Experten von einer neuen Form der "Deglobalisierung".

Man will nicht mehr abhängig sein. Wie stark staatliche Souveränität durch ökonomische Realitäten eingeschränkt wird, erfahren die Europäer gerade besonders bitter. Nicht mehr die Volkswirtschaften des Westens scheinen die Maßstäbe des Wandels zu setzen, sondern die autokratischen Systeme des Ostens. Die Zweifel wachsen, ob die bisherige globale Wirtschaftsordnung, von der Deutschland besonders profitiert hat, nach einem Ende des Krieges wieder errichtet werden kann und soll.

Nicht nur geopolitische Gründe sprechen dagegen. Das Bemühen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union kommt dazu, globale Standards für Umweltschutz, Menschen- und Arbeitnehmerrechte und für gute Unternehmensführung durchzusetzen:

Deutschland ist eine der offensten Volkswirtschaften der Welt

Auch das dürfte mittelfristig für Veränderungen in den Strukturen des Im- und Exports, der Lieferketten und der Handelsbeziehungen im Allgemeinen sorgen. Ein "Klima-Klub", wie ihn Bundeskanzler Olaf Scholz gründen will, ist nichts anderes als eine Koalition der Willigen für einen zollfreien Handel für Güter mit hohen Klimastandards.

Deutschlands Unternehmen aber haben im 21. Jahrhundert ihre Wirtschaftsbeziehungen mit kritischen Ländern stark ausgebaut. Mit einer Außenhandelsquote von rund 67 Prozent (2020) gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland unter den G7-Staaten die offenste Volkswirtschaft. Lange war das ein Grund zur Freude. Deutschlands Wirtschaft und Wohlstand wuchsen kräftig. Dass das Land damit besonders anfällig für externe Schocks wurde, wird erst heute in aller Schärfe klar.

Zwei Drittel seiner Rohstoffe und Vorprodukte bezieht Deutschland aus Ländern, in denen entweder das politische System nicht stabil ist, Menschen- und Arbeitnehmerrechte nicht zuverlässig respektiert werden, Umweltstandards nicht gelten, oder die Gefahr besteht, dass die Erlöse zur Finanzierung von Kriegen im Inneren verwendet werden.

China macht sich frei vom Westen

Vor allem China, Deutschlands wichtigster Handelspartner, wird immer kritischer gesehen. Viele deutsche Unternehmen hätten sich in eine Art freiwillige Gefangenschaft begeben, warnt das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. 2020 wurden rund acht Prozent der deutschen Direktinvestitionen in China realisiert, um die Jahrtausendwende waren es gerade mal ein Prozent.

2.300 deutsche Unternehmen haben Tochterunternehmen oder Niederlassungen in China – je größer die Firmen, desto intensiver die Zusammenarbeit. Der Fahrzeugkonzern Daimler machte 2020 mehr als ein Drittel seines Umsatzes in China, Volkswagen lässt hier bisher sogar mehr als 40 Prozent seiner Produktion herstellen.

China hat längst begonnen, seine Abhängigkeit vom Import westlicher Technologie zu reduzieren: Die Strategie "Made in China 2025" lenkt seit Jahren Investitionen in Bereiche und Branchen, in denen China besonders schnell unabhängig sein will. Die USA betreiben die Entflechtung der amerikanischen von der chinesischen Wirtschaft offensiv.

Die neue Seidenstraße droht unter Ukraine-Krieg zu leiden

Und die deutsche Wirtschaft? Auch sie steuert langsam um. Immer mehr Unternehmen berichten davon, wie schwer es ist, Mitarbeiter für einen längeren Aufenthalt in China zu begeistern. Die Corona-Politik der chinesischen Regierung erscheint vielen als persönliches Risiko, die autoritäre Beschränkung des Internets und der Meinungsfreiheit, die allgegenwärtige Überwachung hält die Beschäftigten davon ab, sich für ein paar Jahre in China zu verpflichten.

Dazu kommt, dass es immer schwieriger wird, Ware aus China pünktlich nach Europa zu bringen – und umgekehrt. Zwar ist die Bahnstrecke Peking-Moskau-Duisburg im neuen Sanktionspaket Europas gegen Russland noch ausgespart – doch andere Wege durch Russland werden jetzt sanktioniert. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die neue Seidenstraße Chinas in die Wirren des russischen Überfalls auf die Ukraine gerät.

Mittel- und langfristig werden die deutschen und europäischen Firmen ihre Lieferketten widerstandsfähiger machen. Sie investieren jetzt in lokale Netzwerke. Statt beispielsweise die Akkus für Maschinen wie bisher komplett aus China zu beziehen, werden Produktionen an anderen Montageorten und Absatzmärkten aufgebaut. Europäische Industriechampions zu fördern, ist eine weitere Antwort.

Diese Strategien sind jedoch vor allem eins: teurer als bisher. Wer jetzt vor den Wohlstandsverlusten solcher Strategien warnt, hat recht.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt:

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