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Altersvorsorge: "Die Rente im Grundgesetz zu verankern, ist völlig weltfremd"


Staatliche Altersvorsorge
"Die Rente im Grundgesetz zu verankern, ist völlig weltfremd"


22.06.2021Lesedauer: 3 Min.
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Eine Rentnerin an der Kieler Förde (Symbolbild): Die Rente ist ein Wahlkampfschlager.Vergrößern des Bildes
Eine Rentnerin an der Kieler Förde (Symbolbild): Die Rente ist ein Wahlkampfschlager. (Quelle: imago-images-bilder)

Gehört die Rente ins Grundgesetz? Politiker aus den Bundestagsfraktionen sind skeptisch, was den Vorschlag von Ifo-Chef Clemens Fuest angeht. Dafür gibt es Gründe.

Neue Staatsfonds, Aktienrente, stabiles Beitragsniveau: Die Rente wird eines der heißesten Themen im aufziehenden Bundestagswahlkampf – mal wieder. Nicht erst, seit Norbert Blüm 1986 "Die Rente ist sicher" plakatieren ließ, ist das Gerangel um die staatlichen Altersbezüge zwischen den Parteien groß.

Doch sollte das eigentlich so sein? Ist die Rente nicht viel zu wichtig, um sie zum Ball für parteitaktische Spielchen werden zu lassen, ein Gefäß, in das die Politiker immer wieder neue Wahlgeschenke gießen können?

Diese Frage hat jetzt der einflussreiche Ökonom Clemens Fuest aufgeworfen. Im Interview mit t-online sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts: "Deutschland braucht eine längerfristige, regelgebundene Rentenpolitik, die Distanz von der Tagespolitik und von Wahlkämpfen hat."

Gemeinsame Marschrichtung in der Rentenpolitik

Alle Bürger würden davon profitieren, wenn sie wüssten, dass das Rentensystem verlässlich funktioniert, unabhängig davon, wer gerade das Land regierte. "So würden die Parteien auch nicht so leicht der Versuchung erliegen, kurzfristige Wahlgeschenke zu verteilen", so Fuest.

Seine Idee: Die Parteien sollten sich auf eine gemeinsame Marschrichtung bei der Rentenpolitik einigen, zum Beispiel das Renteneintrittsalter an die statistische Lebenserwartung zu koppeln. Alternativ könnten auch Experten abseits der Politik die Gestaltung der Rentenpolitik übernehmen. "Die dritte, sehr restriktive Möglichkeit wäre, dem ganzen Thema Verfassungsrang zu verleihen", so Fuest. "Man könnte eine Art Nachhaltigkeitsvorgabe für die Rente im Grundgesetz verankern, ähnlich wie bei der Schuldenbremse."

Ein Vorschlag, der für viel Aufsehen sorgt. Gehört die Rente wirklich ins Grundgesetz? t-online hat das Politiker aller Parteien im Bundestag gefragt – und ist dabei auf ein geteiltes Echo gestoßen.

"Ich bin da ehrlicherweise sehr skeptisch"

Katja Mast etwa, SPD-Fraktionsvize im Bundestag, hält nur wenig von der Idee. "Bevor ich einen Vorschlag zu einer Grundgesetzänderung beurteile, braucht es mehr als eine gut klingende Überschrift", sagte sie t-online. "Sinnvoller als eine Debatte um die Grundgesetzänderung finde ich die Vorschläge zur Rentengarantie und die Zusage an die junge Generation, dass sie sich auf die gesetzliche Rentenversicherung auch in Zukunft verlassen kann." SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte im Interview mit t-online eine Rentengarantie abgegeben und auch erklärt, wie er das finanzieren will.

Auch Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, ist nur wenig begeistert von Fuests Vorstoß. "Ich bin da ehrlicherweise sehr skeptisch", sagte er. Die Rentenversicherung sei "per se auf Nachhaltigkeit und Stabilität" angelegt. "Wir sollten nicht dahinkommen, dass permanent reflexhaft Grundgesetzänderungen gefordert und damit der Politik sämtliche Entscheidungsspielräume genommen werden."

FDP: Generationenvertrag ins Grundgesetz

Doch es gibt auch andere Stimmen, etwa jene des FDP-Fraktionsvizes Michael Theurer. Er kritisiert SPD und Union dafür, dass die Groko-Parteien zuletzt nie der Versuchung widerstehen konnten, "in der Hoffnung auf Wählerstimmen aus der großen Bevölkerungsgruppe der Rentner am Rentensystem herumzupfuschen".

Entsprechend pflichtet er Ifo-Chef Fuest bei. "Um das Rentensystem zukunftssicher und enkelfit zu machen, brauchen wir einen parteiübergreifenden Rentenkonsens", so Theurer. "Die großen Leitlinien der Rentenpolitik erfordern einen Generationenvertrag, der am besten wie die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert werden sollte."

"Rente ist schon in der Verfassung"

Auch die rentenpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Ulrike Schielke-Ziesing, hält die Idee eines überparteilichen Renten-Konsenses für richtig, sagt: "Ja, Clemens Fuest hat recht: die Rentenpolitik muss langfristig angelegt und unabhängig von der Tagespolitik sein." Dafür aber würde eine Expertenkommission ausreichen, um langfristige Ziele und Maßnahmen festzustecken und laufend zu überprüfen. "Die Aufnahme einer Nachhaltigkeitsvorgabe ins Grundgesetz halte ich für überzogen. Das Grundgesetz ist gut so, wie es ist."

Bei der Linksfraktion dagegen ist man sowohl gegen die Grundgesetzänderung als auch gegen ein Expertengremium. Rentenpolitiker Matthias W. Birkwald kritisierte Fuest auf t-online-Anfrage: "Jetzt auch bei der Rentenpolitik von 'Nachhaltigkeit' zu sprechen, ist unsinnig, weil hier die Gefahr besteht, dass Junge gegen Alte ausgespielt werden. Und ins Grundgesetz muss die Rente auch nicht, schließlich leiten sich faire staatliche Bezüge im Alter bereits aus der Würde des Menschen und dem Sozialstaatsprinzip ab. Beide sind bereits Teil der Verfassung."

Grundgesetzänderung bedarf Zwei-Drittel-Mehrheit

Ähnlich sieht es Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Herr Fuest scheint ein eigentümliches Verständnis von der Politik zu haben", sagt er. "Es ist bedauerlich, dass er die Prozesse der demokratischen Willensbildung ignoriert."

Was Kurth damit meint: Die Rentenpolitik unterliege Bewertungsmaßstäben, die sich ständig änderten. "Die Rente im Grundgesetz zu verankern, ist deshalb völlig weltfremd", so Kurth zu t-online.

Für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag sowie im Bundesrat notwendig. Ob der Skepsis seitens der meisten Parteien dürfte eine entsprechende Anpassung des Grundgesetzes folglich unwahrscheinlich bleiben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Clemens Fuest
  • Gespräch mit Markus Kurth
  • Gespräch mit Matthias W. Birkwald
  • Statements von Katja Mast, Thorsten Frei, Michael Theurer und Ulrike Schielke-Ziesing
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