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Gazprom und Nord Stream 1: Russland dreht den Gashahn zu – was bedeutet das?


Gazprom drosselt Lieferungen
Warum Russland nun den Gashahn zudreht – und was das bedeutet


Aktualisiert am 16.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Mit diesen Exporten finanziert der russische Präsident seinen Angriffskrieg in der Ukraine. (Quelle: t-online)

Russland täuscht den Lieferstopp an: Über die Pipeline Nord Stream 1 kommt nun deutlich weniger Gas als üblich. Müssen wir uns auf Gasmangel einstellen und was würde das für Wirtschaft und Verbraucher bedeuten?

Russland dreht am Gashahn: Am Dienstag kündigte der wichtige Exporteur an, die Gasmengen, die über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland fließen, um 40 Prozent zu reduzieren. Von der Nacht zu Donnerstag an sollten täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung gepumpt werden. Als Grund nannte der Kreml Wartungsarbeiten und Verzögerungen bei Reparaturen der Firma Siemens an einem Gasverdichteraggregat – wie sich später herausstellte, ist die Firma Siemens Energy gemeint. .

Doch für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist dieser Grund nur vorgeschoben. Es entstehe viel mehr der Eindruck, "dass das, was gestern passiert ist, eine politische Entscheidung ist, keine technisch begründbare Entscheidung".

Zwar sind Wartungsarbeiten und damit verbundene Drosselungen an der Pipeline nichts Ungewöhnliches, die nächsten Arbeiten waren aber erst zum Sommer geplant. Doch die weitere Drosselung scheint Habecks Eindruck recht zu geben. Am Mittwoch reduzierte Russland die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 noch weiter.

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Was bedeutet das für die Wirtschaft? Könnte Putin als nächsten Schritt womöglich die Lieferungen vollends einstellen und warum bekommt die Gazprom Germania überhaupt noch Steuergelder vom deutschen Staat? t-online klärt die wichtigsten Fragen.

Droht jetzt ein Gasstopp?

Das ist nicht auszuschließen. Russland beteuerte zwar vor wenigen Tagen noch, dass es kein Interesse daran habe, die Lieferungen in andere Länder einzustellen oder zu verringern – mit der Drosselung der deutschen Importe hat der Kreml aber gegen diese Aussage kurz darauf verstoßen. Auf Russland ist daher als Wirtschaftspartner kein Verlass.

Die Drosselung könnte also nur der Vorgeschmack sein. "Es ist noch nicht vorbei", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Blick auf mögliche Einschränkungen von Energielieferungen durch Russland. Das fange vielleicht gerade erst an.

Der Ökonom Jens Südekum, hält es für möglich, dass Russland mit dem Schritt nur den Druck auf den Westen erhöhen will. "Putin zündelt immer wieder", so Südekum. "Er will Unruhe in der deutschen Volkswirtschaft stiften – und mit solchen taktischen Manövern gelingt ihm das auch."

Experte: Müssen uns ernsthaft mit Gaslieferstopp beschäftigen

Lange Zeit wog sich die deutsche Wirtschaft in der Sicherheit, dass es gar nicht im Interesse des Kremls sei, Deutschland als großen Importeur russischen Gases den Hahn abzudrehen. Schließlich ist der Energieexport einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Russland und Gas einer der wenigen Rohstoffe, die bisher nicht im Fokus der Sanktionen stehen. Doch das könnte ein Trugschluss sein.

"Dank der hohen Preise für Gas hat sich Putin zuletzt die Taschen so voll gemacht, dass er sich einen vorzeitigen Stopp der Gaslieferungen leisten kann", sagte Südekum. "Wir müssen uns ernsthaft damit beschäftigen, dass Russland uns bald endgültig den Gashahn zudreht."

Könnten die Gaspreise weiter steigen?

Ja, die Drosselung der Liefermenge beim russischen Gas lässt ähnliche Sorgen wie bei einem Lieferstopp aufkommen. Steigende Preise, Engpässe, Probleme für die Wirtschaft. Tatsächlich hat allein die Ankündigung zu einem Preissprung im Großhandel geführt.

Teure Gaspreise wirken sich zudem auch auf die Strompreise aus, da ein Teil des Strommixes Gas für die Erzeugung braucht. Über die Pipeline Nord Stream 1 kommt der größte Teil des russischen Gases nach Deutschland.

Höhere Energiepreise könnten die Inflation weiter antreiben

Aktuell ist die Energieversorgung in Deutschland gesichert, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), am Mittwoch den Fernsehsendern RTL/ntv. Die Frage ist allerdings, zu welchem Preis.

In der Politik steigt daher bereits die Sorge, dass die Verbraucher die Drosselung besonders spüren könnten. "Wir brauchen jetzt konsequente staatliche Preiskontrollen, sodass diese Verknappung nicht die Mitnahmementalität der Gasversorger beflügelt", forderte etwa Linksfraktionschef Dietmar Bartsch.

Ein Anstieg der Energiepreise würde zudem die Inflation weiter in die Höhe treiben, das könnte in der Konsequenz auch die Kosten in anderen Lebensbereichen steigern. Entscheidend für die weitere Entwicklung dürfte dabei sein, wie lange Russland nur die gedrosselte Menge an Gas an Deutschland exportiert – oder gar die Lieferungen ganz einstellt. Das hätte spürbare Folgen für Verbraucher und Wirtschaft.

Was heißt die Gazprom-Ankündigung für die Wirtschaft?

Nichts Gutes. Zwar sind wir noch weg von einem vollständigen Gasstopp (siehe oben). Der würde laut Ökonomen des Münchner Ifo-Instituts Deutschland in eine Rezession stürzen – und zwar im kommenden Frühjahr. Der Grund: Sollten die Gasspeicher nicht vor dem Winter ausreichend gefüllt werden, wären voraussichtlich Anfang kommenden Jahres die Speicher leer; der Bund müsste entscheiden, wer noch Gas erhält und wer nicht mehr.

Doch auch die Folgen der reduzierten Lieferungen könnten drastisch sein, schätzt Ifo-Experte Timo Wollmershäuser. "Es steht und fällt mit der Frage, wie lange Gazprom weniger Gas liefert", sagte er bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. "Wenn es so bliebe wie aktuell, dann würden wir im Winter in Bedrängnis kommen." Das aber ließe sich derzeit nur spekulieren.

Bei 40 Prozent weniger Gas aus Russland würde zwar keine Rezession drohen wie bei einem vollständigen Gasstopp. Doch es wäre genug, um die Industrie unter Druck zu setzen, so Wollmershäuser weiter.

Umfrage: Firmen drosseln bereits Produktion

Tatsächlich hat die Gaskrise einer Studie zufolge einen Teil der deutschen Unternehmen auch ohne Gaslieferstopp bereits erreicht. Bei einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Mai berichteten 14 Prozent von fast 2.000 Betrieben von einem Rückgang der Produktion als Folge des Ukraine-Krieges, wie aus der in der Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst" veröffentlichten Studie hervorgeht.

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Die Risiken eines Gasembargos für die deutsche Wirtschaft wären nach Einschätzung der Autoren hoch. Die meisten Betriebe (58 Prozent) könnten das benötigte Erdgas kurzfristig nicht ersetzen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Was bedeutet es für Verbraucher?

Bei Verbrauchern gilt etwas Ähnliches wie bei den Folgen für die Wirtschaft: Es kommt darauf an, wie lange die reduzierten Gaslieferungen anhalten – und wie weit sich die Speicher vor dem nächsten Winter füllen lassen. Zwar gilt: Privathaushalte sind bei einem Gasstopp besonders geschützt und werden entsprechend priorisiert behandelt.

Sollten aber Teile der Industrie heruntergefahren werden müssen, könnte das selbstverständlich Folgen für Verbraucher haben – beispielsweise in Form von Kurzarbeit, oder schlicht fehlenden Produkten im Supermarkt. Bei einer Gaskrise müssten sie aber auch selbst mit Einschränkungen rechnen.

Die genauen Folgen lassen sich aktuell noch nicht abschätzen. Dafür sind viel zu viele Faktoren schlicht unbekannt. Allein: Die Preise für Verbraucher könnten wieder steigen. Selbst wenn die reduzierten Lieferungen nur wenige Tage oder Wochen anhalten.

Bereits die Ankündigung des russischen Staatskonzerns Gazprom sowie eine Explosion im zweitgrößten US-Exportterminal für Flüssiggas hätten die Großhandelspreise steigen lassen, erläuterte ein Verivox-Sprecher am Mittwoch. "Eine Folge dieser Entwicklung sind höhere Gaspreise für private Verbraucher."

Für Endverbraucher habe es in diesem Jahr schon fast 1.100 Preiserhöhungen durch örtliche Versorger gegeben, teilte das Vergleichsportal weiter mit. Im Durchschnitt hätten die Erhöhungen 34 Prozent betragen. Bei einem Einfamilienhaus mit 20.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch bedeute dies rechnerisch ein Plus von rund 560 Euro.

Warum stützt der Bund Gazprom Germania?

Verkürzt gesagt: weil die frühere Tochter des russischen Gazprom-Konzerns entscheidend ist für die Gasversorgung in Deutschland – und ansonsten wohl eine Pleite der Firma gedroht hätte. Daher will der Bund Gazprom Germania zinsgünstig Geld leihen. Laut Angaben aus Regierungskreisen geht es um eine Summe zwischen neun und zehn Milliarden Euro.

Die Gazprom Germania sei ein Schlüsselunternehmen für die Gasversorgung in Deutschland, erklärte die Bundesregierung am Dienstag. "Mit diesem Vorgehen behält die Bundesregierung den Einfluss auf diesen Teil der kritischen Energieinfrastruktur und verhindert eine Gefährdung der Energiesicherheit."

Anfang April hat der Bund das Unternehmen unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Hintergrund für den Schritt war der geplante "undurchsichtige Verkauf" des Unternehmens an eine russische Gesellschaft. Zu Gazprom Germania gehört auch der Gashändler Wingas, der unter anderem Stadtwerke und Industriebetriebe beliefert.

Russland hatte aber Mitte Mai Sanktionen gegen die Gazprom Germania und nahezu alle Tochterfirmen verhängt und so eine "finanzielle Schieflage" des Unternehmens verursacht, wie es seitens der Bundesregierung hieß. Infolge der Sanktionen seien Gaslieferungen ausgefallen. Dadurch seien Ersatzbeschaffungen zu aktuell sehr hohen Marktpreisen notwendig geworden – die Gaspreise sind auch infolge des Ukraine-Kriegs stark gestiegen.

Regierung benennt Gazprom Germania um

Dies habe die finanzielle Lage der Gazprom Germania so sehr verschlechtert, dass die Liquidität mit einem KfW-Darlehen abgesichert werden müsse. Damit wolle die Bundesregierung eine Insolvenz der Firma abwenden und Folgeeffekte im Markt verhindern. Das Geld diene dazu, die Liquidität zu sichern und Gas zu beschaffen.

Die Gazprom Germania wird zudem in "Securing Energy for Europe GmbH" umbenannt – als Signal für die Bedeutung für die Energieversorgung in Europa. Außerdem hieß es, die Bundesregierung prüfe Möglichkeiten, das Darlehen in Eigenkapital umzuwandeln. Das würde bedeuten, dass der Staat beim Unternehmen einsteigt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Pressekonferenz des Ifo-Instituts
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