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Coronavirus – Hygieniker erklärt: Hier ist die Corona-Gefahr besonders groß


Hygieniker über Corona-Maßnahmen
"Entscheidend für die Infektion ist die Infektionsdosis"

  • Melanie Rannow
InterviewVon Melanie Rannow

Aktualisiert am 17.08.2020Lesedauer: 7 Min.
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Hände waschen: 30 Sekunden dauert eine gründliche Reinigung.Vergrößern des Bildes
Hände waschen: 30 Sekunden dauert eine gründliche Reinigung. (Quelle: rclassenlayouts/getty-images-bilder)

Die Schulen öffnen, viele Menschen gehen wieder ins Büro – und genießen den Sommerabend im Biergarten. Ein Hygieniker erklärt, wo das Infektionsrisiko am höchsten ist.

Dr. Peter Walger ist Intensivmediziner und Infektiologe in Bonn und Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Im Interview mit t-online.de spricht er über die Rolle der Hygieniker in der Corona-Pandemie.

Walger erklärt außerdem, wie groß das Infektionsrisiko in verschiedenen Bereichen des Lebens ausfällt – etwa im Supermarkt, am Arbeitsplatz oder im Restaurant – und mit welchen Hygieneregeln wir uns am besten vor dem Coronavirus schützen können.

t-online.de: Durch die Corona-Pandemie haben sich viele neue Herausforderungen ergeben − auch bei unserem Umgang mit der Hygiene. Wie hat sich die Arbeit der Hygieniker seitdem verändert?

Dr. Peter Walger: Wir haben seit Jahren einen Pandemie-Plan in den Schubladen liegen gehabt, den niemand so recht ernst genommen hat. Der wirkliche Ernstfall, also eine uns alle bedrohende Pandemie, war immer weit weg. Bei den Infektionen der letzten Jahre mit Pandemie-Potential, wie SARS-1, Vogel- oder Schweinegrippe, ist alles noch mal gut gegangen – zumindest für uns in Europa. Wirkliche Konsequenzen wurden aber nicht gezogen.

Insofern mussten die Hygieniker, vor allem die Krankenhaushygieniker, zunächst einmal die fehlenden Vorbereitungen austragen. Dazu zählte der Mangel an medizinischer Schutzausrüstung, insbesondere an Atemschutzmasken und Schutzkitteln, und an Desinfektionsmitteln. Die größte Herausforderung bestand aber sicher in der Organisation und im Management der Krankenversorgung, der Sicherung des Infektionsschutzes für Personal und Patienten und der Unkenntnis der Bedrohlichkeit von SARS-CoV-2.

Wie haben die Krankenhäuser darauf reagiert?

Die Krankenhäuser mussten dreigeteilt werden – Coronafrei, Coronaverdacht und Coronagesichert. Dazu kam der Ausbau der Intensivkapazitäten, um der drohenden Überlastung Herr zu werden. Diese Herkulesaufgaben forderten den maximalen Einsatz aller Beteiligten, insbesondere auch der Hygieniker.

Dabei konnte man in Deutschland in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen auf die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene zurückgreifen und sie auch für andere Bereiche nutzbar machen. Die gesetzliche Mandatierung und Verbindlichkeit dieser Empfehlungen und der hohe Umsetzungsgrad in unserem Land waren ein unschätzbarer Vorteil gegenüber vielen anderen Ländern.

(Quelle: Peter Walger/privat)


Dr. Peter Walger ist Intensivmediziner und Infektiologe in Bonn und Vorstandssprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).

Im Fokus der Öffentlichkeit stehen meist Virologen oder Epidemiologen, die ihre Einschätzungen zu Hygienemaßnahmen abgeben. Finden Sie, dass Hygienefachärzte bislang zu wenig gefragt und auch von der Politik involviert wurden?

Für die Anfangsphase der Pandemie trifft das sicher zu. Viele Aspekte des Infektionsschutzes sind von Experten kommentiert worden, deren Haupttätigkeit in labormedizinischer-wissenschaftlicher Arbeit besteht. Sie waren weder in den praktischen Infektionsschutz noch in den klinischen Alltag der Patientenversorgung involviert. Das hat zum Beispiel die unzureichenden Stellungnahmen zum Maskenschutz, aber auch die rein virologisch-wissenschaftlichen Aspekte der Übertragungsrisiken geprägt.

Die medizinische Hygiene hatte Mühe, etabliertes Expertenwissen zu verbreiten und zur Grundlage des praktischen Krisenmanagements zu machen. Allein die unzähligen Talkshows mit den meinungsbildenden Virologen haben den Eindruck der Einseitigkeit und der Ausblendung des breiten Expertenspektrums geprägt. Es hat Wochen gebraucht, bis sich einige gesicherte Kenntnisse der Hygieniker in praktischen Empfehlungen durchsetzten. Zum Beispiel, dass Masken – vom Typ des chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes, aber auch die Alltagsmasken – auch den Träger vor Infektionen schützen, die wesentlich durch Tröpfchen übertragen werden.

Wie schätzen Sie die Kenntnisse zu Aerosolen als Übertragungsweg ein?

Bis heute gelingt es nicht, die Aerosol-Debatte aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm mit den Jahrzehnte alten Erfahrungen und Erkenntnissen der Hygiene zu verknüpfen. Entscheidend für die Infektion ist die Infektionsdosis, die der Empfänger aufnimmt und nicht die Virusmenge beim infizierten Aerosol/Tröpfchen-Ausscheider.

Wer heute weiterhin die Aerosole als wesentlichen Übertragungsweg propagiert und die extremen Besonderheiten der Tönnies‘schen Fleischverarbeitung auch auf Schulinnenräume oder Restaurants anwenden will, und nicht gleichzeitig den medizinischen Aerosolschutz durch Tragen von Atemschutzmasken des Typs FFP-2 oder FFP-3 empfiehlt, beweist eher Praxisferne und fehlendes Hygienewissen.

Wurden Sie vom Gesundheitsministerium um Rat gefragt oder bei Beratungen zu Hygienekonzepten einbezogen?

Natürlich hat es auf allen Ebenen Kontakte mit politischen Entscheidungsträgern bis hinein in die Expertenrunde der Bundeskanzlerin und in Beratungen des Bundesgesundheitsministers gegeben. Allein die von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene initiierte und zusammen mit den pädiatrischen Fachgesellschaften erarbeitete Stellungnahme zur Öffnung der Kitas und Schulen hat eine breite Diskussion und viele Beratungsgespräche mit den Landeskultusministerien bewirkt und das politische Handeln beeinflusst.

Aber auch der verantwortliche Umgang mit der Aerosol-Debatte wird ernsthaft auf verschiedenen Ebenen durch Hygieniker beeinflusst. Da man im Nachhinein immer schlauer ist, wäre aktuell sicher wichtiger, die Erfahrungen der ersten sechs Monate des Pandemie-Managements kritisch aufzuarbeiten und sich für die Wiederzunahme der Infektionen im Herbst und Winter zu wappnen. Eine Lehre, die man sicher ziehen kann: Die Expertenrunden, die den Politikern beratend zur Seite stehen, sollten breiter aufgestellt werden. Insbesondere die Hygiene, aber auch die klinische Infektiologie, müssen stärker vertreten sein.

Wie sieht für Sie gründliches Händewaschen aus? Stimmt die Vorgabe, dass man dabei zwei Mal "Happy birthday" singen soll?

Das Lied ist eine Hilfe, sich die Hände ausreichend lange zu waschen. Da jeder das Lied kennt, kann jeder mal üben, wie lange das Singen dauert – also wie lange zweimal 15 Sekunden tatsächlich sind. Das Waschen sollte mit Seife erfolgen, Desinfektionsmittel als Alternative sind da sinnvoll und auch von der WHO empfohlen, wo Wasser, Seife und Handtuch nicht zur Verfügung stehen.

Was machen Sie, wenn Sie einkaufen gehen? Empfehlen Sie Desinfektionsmittel oder das Tragen von Einweghandschuhen?

Das Coronavirus SARS-CoV-2 wird insbesondere durch die Aufnahme von Tröpfchen und gegebenenfalls Aerosolen in den Mund-Nasen-Rachen-Bereich übertragen. Die Hände haben beim Berühren von Nase, Mund oder Augen allenfalls eine untergeordnete Bedeutung und dienen da nur als mögliche Transportmittel. Das würden sie mit oder ohne Handschuhe tun. Wer vermeidet, sich ins Gesicht zu fassen, braucht unmittelbar weder Waschen, Desinfizieren noch Handschuhe. Das Händewaschen am Ende des Einkaufens ist daher völlig ausreichend. Viele Geschäfte bieten inzwischen Händedesinfektionsmittel-Spender an. Gegen deren Gebrauch ist natürlich nichts einzuwenden.

Wie sieht es am Arbeitsplatz aus? In Großraumbüros etwa treffen viele Menschen aufeinander und häufig wird ein Arbeitsplatz von mehreren Personen benutzt. Welche Hygiene-Standards sollten dort gelten?

Am Arbeitsplatz gelten die AHA-Regeln wie überall dort, wo viele Menschen in Innenräumen aufeinandertreffen: Abstand, Hygiene (Händewaschen), Atemschutz (Alltagsmasken). Zusätzlich muss für regelmäßiges Lüften gesorgt werden oder bei einer Klimaanlagenversorgung für einen ausreichenden Frischluftanteil.

Die Aerosol-Ausbreitung als Übertragungsrisiko kann nach den Analysen der Fleischverarbeitungshallen bei Tönnies immer dann vermutet werden, wenn sehr viele Menschen auf engem Raum durch lautes Sprechen sowie Schreien und schwerer körperlicher Arbeit viele Tröpfchen-Aerosol-Gemische produzieren. Diese verteilen sich durch Klimaanlagen ohne Frischluftanteil eher horizontal und können nicht verdünnt oder abgeführt werden. Im Zweifel sind Räume, die nicht gelüftet werden können, nicht für größere Menschenansammlungen geeignet.

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Restaurants und Biergärten sind unter Auflagen wieder geöffnet. Wie groß ist die Gefahr, sich über ein Trinkglas oder Geschirr mit dem Coronavirus anzustecken?

Die Übertragung durch Essen oder Trinken oder durch möglicherweise kontaminiertes Geschirr oder Besteck kann ausgeschlossen werden. SARS-CoV-2 wie auch andere Viren, die Atemwegserkrankungen verursachen, müssen in die Lunge oder auf die Schleimhäute (Mund, Nase, Rachen) gelangen, um eine Infektion verursachen zu können. Dabei kommt es auch auf die ausreichende Menge an Viren an. Diese nötige Infektionsdosis wird durch Essen- und Trink-Kontakte nicht erreicht.

In vielen Bundesländern ist die Schule wieder gestartet. Wie hoch schätzen Sie das Infektionsrisiko von Lehrern und Schülern ein?

Die aktuellen Daten bestätigen einen Trend, der seit Monaten erkennbar ist und der mittlerweile eine hohe Evidenz zeigt: Kinder und Jugendliche, zumindest bis etwa 14 Jahre, spielen keine wesentliche Rolle in der Dynamik der Pandemie. Sie werden seltener infiziert, weniger krank und auch schwere oder sogar tödliche Verläufe sind extrem selten. Zusätzlich bestätigen sehr viele Studien ein geringeres Übertragungsrisiko dieser Altersgruppen. Entsprechend geringer ist das Risiko für Lehrer und Betreuer, sich im Unterricht anzustecken.

Die DGKH hat zusammen mit den pädiatrischen Fachgesellschaften eine umfangreiche und praxisorientierte Stellungnahme zur Öffnung von Kitas und Schulen veröffentlicht, in der diese Daten ausführlich begründet werden. Hiernach haben Lehrer in Schulen und das Personal in Kitas nach aktueller Einschätzung der Autoren nur ein geringes Ansteckungsrisiko durch Kontakte zu potenziell infizierten Kindern. Vorausgesetzt, sie halten die Hygienemaßnahmen ein. Dieses Risiko ist im Vergleich zu dem Risiko einer Ansteckung durch Kontakte zu erwachsenen Infizierten in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich nicht erhöht.

Befürworten Sie eine Maskenpflicht im Unterricht?

Zur Frage der Masken wird ein nach Alter und Infektionsrisiko abgestuftes Vorgehen vorgeschlagen. Mit steigenden Infektionszahlen in der Umgebung, aber erst recht bei nachgewiesenen Übertragungen innerhalb der Schule müssen Masken getragen werden, letztlich auch durch alle Lehrer und Schüler unter zehn Jahren. Im Unterricht selbst, das heißt solange der Platz nicht verlassen wird, muss bei ausreichender und regelmäßiger Lüftung keine Maske getragen werden. Maske und Abstand sind zwei Schutzmethoden, die sich ergänzen aber auch ersetzen können.

Alle Maßnahmen – wie separate Pausenregelungen, alternative Unterrichtsformen, Abstandsregeln und Erziehung zur Händehygiene – dienen dazu, den regulären Unterricht und die reguläre Kinderbetreuung in Kitas aufrechtzuerhalten. Es gilt, nicht bei jeder Infektion reflexartig die gesamte Einrichtung zu schließen.

Die Deutsche Gesellschaft für Virologie hat in einer jüngsten Stellungnahme ihrer ad hoc Kommission einen anderen Standpunkt vertreten. Da klingen die Warnungen vor Schulöffnungen eindringlicher und die Studien, die angeführt werden, scheinen das zu bestätigen ...

Wir liegen da soweit gar nicht auseinander. Auch die Virologen, maßgeblich durch Herrn Professor Christian Drosten vertreten, wollen Schul- und Kitaöffnungen. Sie interpretieren die Studien nur anders, zum Teil sogar anders, als die Autoren der Studien sie selbst interpretieren. So wird Australien angeführt, wo in einer großen Untersuchung gezeigt werden konnte, wie gering die Rolle der Kinder bei der Übertragung des Coronavirus in Schulen ist. Die Autoren betonen in ihrer Zusammenfassung, dass Kinder und Lehrer nicht wesentlich zur Corona-Übertragung durch ihre Teilnahme in den Bildungseinrichtungen beitragen.

Daten aus den Niederlanden, aus Dänemark, der Schweiz, aus Island oder Norwegen, die für das risikoarme Öffnen von Schulen sprechen, werden gar nicht erwähnt. Die genannten Schul-Daten aus Israel sind dagegen schwerlich übertragbar. Denn sie wurden zum Einen aus der Hochburg der ultraorthodoxen Community, aus der Stadt Bnei Brak erhoben, wo schwerwiegende Probleme mit dem Einhalten der Hygieneregeln bereits zum Einsatz des israelischen Militärs führten und zum Anderen in einer extremen Hitze-Periode gewonnen, in der der Unterricht in überfüllten Klassen ohne Fensterlüftung und hitzebedingt ohne Maskenschutz stattfand.

Auch eine italienische Arbeit, die als Beleg für eine deutliche Rolle der Kinder in der Infektionsübertragung angeführt wird, halten wir für ungeeignet. Die Studie wertet die Daten von 14 Kindern und Jugendlichen unter insgesamt 2.812 Covid-19-Fällen (70 Prozent davon gesichert) aus, indem deren Kontakte nachverfolgt wurden. Dabei wurde nach Symptomen gefragt. Nur in 54,5 Prozent der so ermittelten Verdachtsfälle fand ein Corona-Test statt. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der Übertragungen laborchemisch nicht bestätigt war. Es wurden also gesicherte und wahrscheinliche Ansteckungen als Übertragungsfälle gezählt.

Man wundert sich über die Auswahl dieser Studien. Unseres Erachtens reichen die aktuellen Daten, um sich mit voller Kraft um die nachhaltige Öffnung von Kitas und Schulen zu kümmern. Natürlich mit der Umsetzung sinnvoller Hygienemaßnahmen. Es sollte alles dafür getan werden, die überzogenen und unbegründeten Sofortschließungen zu vermeiden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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