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Scholz will Flüssiggas aus Kanada: Nicht auf unsere Kosten


Flüssiggas aus Kanada
Nicht auf unsere Kosten

MeinungEin Gastbeitrag von Caroline Brouillette

Aktualisiert am 25.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Olaf Scholz: Trotz verhaltener Töne aus Kanada betont er seine Hoffnung, das Land werde zukünftig große Mengen Flüssiggas nach Deutschland exportieren.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Trotz verhaltener Töne aus Kanada betont er seine Hoffnung, das Land werde zukünftig große Mengen Flüssiggas nach Deutschland exportieren. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)

Der Kanzler hat sich festgebissen: Er will Flüssiggas von den Kanadiern. Die aber lassen ihn auflaufen. Und das aus gutem Grund.

Wer in Deutschland an Kanada denkt, hat die Rocky Mountains, die Niagarafälle oder Eisbären im hohen Norden vor Augen. Fragt man uns Kanadier, dominieren oft andere Bilder: Verkohlte Wälder, schmelzende Gletscher, verwüstete Städte, zerstörte Autobahnen. Von Küste zu Küste trägt das Land schon jetzt die Narben der Klimakrise. Wir sind schockiert, dass Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz die Ursachen hierfür weiter befeuern will.

Als Kanadier sind wir mit den Deutschen und ihrer Energiekrise solidarisch – wir wollen nach Wegen suchen, die wirklich aus der Not helfen. Angesichts weltweit eskalierender Hitzewellen, Überflutungen und Dürren dürfen zwei oder drei drohende harte Winter in der Bundesrepublik aber nicht von der bevorstehenden Klimakatastrophe ablenken.

(Quelle: Climate Action Network)

Caroline Brouillette

Als National Policy Advisor arbeitet Brouillette in Montreal für die Klimaschutzorganisation Climate Action Network Canada. Bei t-online warnt sie davor, Deutschlands Energiekrise auf Kosten der kanadischen Bevölkerung lösen zu wollen.

Im Jahr 2022 können wir es uns nicht mehr erlauben, einzelne Krisen häppchenweise anzugehen. Genau das versucht Olaf Scholz allerdings: Kanadisches Flüssigerdgas soll die russische Gaslücke in der deutschen Energieversorgung füllen.

Doch die Kanadier wollen keine neuen LNG-Terminals an der Ostküste. Ausschließlich über diese ließe sich der Export nach Deutschland ermöglichen. Nur drei von zehn Kanadiern standen zuletzt hinter diesem umstrittenen Plan. Und das ist alles andere als überraschend.

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So klimaschädlich wie zig Millionen Tonnen Kohle

Jedes neue LNG-Exportprojekt in Kanada widerspräche direkt den Empfehlungen des Weltklimarats. Der rät zur raschen Abkehr von fossilen Brennstoffen, um die schlimmsten Auswüchse der Klimakrise noch zu vermeiden. Selbst seitens der Internationalen Energieagentur heißt es: Wollen wir die globale Erhitzung noch irgendwie begrenzen, darf es keine neuen Gasinfrastrukturprojekte geben. Nirgends.

Die meistdiskutierten LNG-Exportprojekte an der kanadischen Ostküste würden beide zu verheerenden Treibhausgasemissionen führen: Das Goldboro-Projekt des Energiekonzerns Pieridae Energy käme auf bis zu 3,7 Megatonnen pro Jahr. So viel wie bei der Verbrennung von mehr als 1,8 Millionen Tonnen Kohle zusammenkäme. Beim Projekt der Firma Repsol, Saint John LNG, wären es jährlich wohl rund 1,2 Megatonnen Klimagase – das Äquivalent von 590.000 Tonnen Kohle.

Der LNG-Tanker Arctic Voyager in der Reede von Skagen.
Der LNG-Tanker Arctic Voyager (Quelle: IMAGO/osnapix / Hirnschal)

Flüssigerdgas (LNG)

Wird Erdgas auf -161 bis -164 Grad Celsius abgekühlt, verflüssigt es sich. So hat das oftmals auch als LNG ("Liquified Natural Gas") bezeichnete Gas ein deutlich geringeres Volumen als in gasförmigem Zustand. Es lässt sich daher auch per Frachtschiff transportieren und ermöglicht den Gashandel unabhängig von Pipelines. Monatelang hatte Olaf Scholz mit einer deutsch-kanadischen LNG-Partnerschaft geliebäugelt - bisher vergeblich.

Was in den Zahlen noch nicht eingerechnet ist: Jene CO2-Emissionen, die durch die letztliche Verbrennung des Gases für Strom, Wärme und Industrieprozesse entstehen würden. Und die machen sogar den weitaus größeren Teil der Klimabelastung durch LNG aus.

Hinzu kommt: Die Pläne von Pieridae Energy basieren wahrscheinlich auf Fracking – einer Gasfördermethode, die in Deutschland unter anderem wegen Risiken für Trinkwasser, Gesundheit, Ackerböden und Atemluft größtenteils verboten ist. Den Kanadiern diese Gefahren aufzuzwingen, scheint für die Bundesregierung hingegen akzeptabel zu sein.

Für Berlin scheint es ebenfalls keine Rolle zu spielen, dass Fracking-Vorhaben in unserem Land häufig auch die Menschenrechte indigener Gruppen verletzen. Lang erkämpfte Moratorien für diese Form der Gasausbeutung könnten in den Atlantikprovinzen nun in Gefahr geraten. Sollte Kanzler Scholz davon ausgehen, dass die Kanadier das hinnehmen werden, irrt er sich gewaltig

Kanadas Festung gegen Flüssiggas

Für beide Exportprojekte müsste das gefrackte Gas von Alberta über Pipelines in Quebec an die Ostküste transportiert werden. Erst im April 2021 hat die dortige Provinzregierung ein Gesetz erlassen, das die Erschließung und Förderung neuer fossiler Brennstoffe in der Region verbietet. Im Juli lehnte Quebec jüngst ein weiteres LNG-Projekt ab. Unter anderem wegen der verheerenden Klimaemissionen, die diese Anlage verursacht hätte.

Im landesweiten Vergleich sind es die Einwohner Quebecs, die sich aus Klimaschutzgründen am stärksten gegen LNG-Exportprojekte wehren. Allmählich kommt auch bei Ministerpräsident Justin Trudeau an, wie unrealistisch es ist, ausgerechnet dort Unterstützung für den Transport von noch mehr Gas zu bekommen.

Trotz der deutschen Drängelei hielt er sich während des Kanzlerbesuchs in Sachen LNG eher bedeckt. Das Plus an kanadischem Gas, das er der Bundesrepublik zugesagt hat, soll über Umwege kommen – über den Weltmarkt, beispielsweise über Asien.

Gleichzeitig versuchen einige kanadische Politiker jedoch, die LNG-Projekte an der Ostküste schönzureden: Sie behaupten, keines der Vorhaben werde dem Klima schaden, da die Anlagen irgendwann auf grünen Wasserstoff umgestellt werden könnten. Auf Twitter und in Fachkreisen sorgt das bereits für Kopfschütteln.

Zwei prominente kanadische Wasserstoffexperten betonten noch kurz vor der Anreise der deutschen Delegation, dass die Annahme eines simplen Wechsels von Erdgas auf Wasserstoff "wissenschaftlich unbelegt" sei. Ihnen zufolge gibt es nach heutigem Stand keine wasserstofftauglichen LNG-Terminals. Denn: Beide Gase haben unterschiedliche Eigenschaften, die daher auch unterschiedliche Infrastruktur erfordern.

Die Wiederverwendung der bestehenden Infrastruktur würde eine kostspielige Nachrüstung erfordern. Davon abgesehen dürfte der Aufbau der benötigten Anlagen mehrere Jahre dauern. Für Europas unmittelbare Energiesorgen wäre kanadisches Flüssigerdgas schon rein praktisch keine Lösung. Im Gegenteil, es könnte sogar noch zum Nachteil werden.

Moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinnn

Zahlreiche Studien zeigen, dass Europas größte Energieprobleme weitgehend gelöst sein werden, bevor auch nur ein erstes neues Flüssigerdgasterminal an der kanadischen Ostküste den Betrieb aufnehmen könnte. Jedes neue LNG-Exportprojekt droht zur Investitionsruine zu werden.

"Investitionen in neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn", fasst UN-Generalsekretär António Guterres treffend zusammen. Die deutsche Regierung täte gut daran, weniger auf sich selbst und in die Röhre zu schauen und mehr darauf, wie Energie- und Klimakrise sich im Einklang lösen lassen – im Interesse unser beider Länder.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag von Caroline Brouillette
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