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Klimakrise oder Klimakatastrophe, Klimawandel? Richtige Worte finden


Gegen das Verdrängen
Wir müssen es beim Namen nennen

MeinungVon Sara Schurmann

Aktualisiert am 15.03.2024Lesedauer: 6 Min.
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Klimaprotest in Berlin: Wie wir über die Klimakrise sprechen, ist von entscheidender Bedeutung. (Quelle: IMAGO)

Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe: Welche Worte wir nutzen, verrät, wie wir die Welt sehen, und sie beeinflussen zugleich unser Handeln.

Als Klimaaktivistinnen von Fridays for Future anfingen, von "Klimakatastrophe" zu sprechen, konnte ich damit wenig anfangen. Ich hielt es für einen abstrakten, aktivistischen Begriff, der vor allem Aufmerksamkeit erregen sollte. Natürlich waren die Starkregen und Überflutungen, Dürren und Stürme, die es weltweit in den vergangenen Jahren schon gab, dramatisch und verheerend. Klar stecken wir in einer Krise, politisch und klimatisch, aber Klimakatastrophe? Das kam mir übertrieben vor. Ich beschäftige mich seit 2018 täglich mit Umwelt- und Klimathemen, doch eine Vorstellung davon, wie diese Klimakatastrophe konkret aussieht und was sie mit meinem Leben zu tun hat, hatte ich lange nicht. Und ich bin ganz offenbar nicht die Einzige.

In dieser Woche veröffentlichte die Europäische Umweltschutzagentur (EEA) ihren ersten Bericht zur Bewertung des Klimarisikos für Europa (EUCRA). Das Ergebnis: Obwohl die Klimakrise bereits deutlich in Europa zu spüren ist, bereiten sich die Staaten der EU nur unzureichend und viel zu langsam auf weitere Klimafolgen vor. Nicht nur unsere Ökosysteme sind gefährdet, ebenso unsere Ernährung, Gesundheit, Infrastruktur sowie Wirtschaft und Finanzen. Es scheint komplett irrational: Wenn man schon nicht alles tut, was in der eigenen Macht steht, um die Erderhitzung abzubremsen, dann sollte man sich doch wenigstens auf die Konsequenzen vorbereiten, die diese auf unser Leben haben wird. Warum tun wir das nicht?

Der Konsens zum Klimawandel

Der US-amerikanische Humangeograf Anthony Leiserowitz, der zur Kommunikation der Klimakrise forscht, hat den Konsens zum Klimawandel im Englischen auf zehn knackige Wörter zusammengedampft. Im Original lauten sie: It's real. It's us. It's bad. Experts agree. There's hope.

Für die Übersetzung, die unter anderem das Deutsche Klimakonsortium veröffentlicht hat, braucht es 20 Wörter:

Er ist real.
Wir sind die Ursache.
Er ist gefährlich.
Die Fachleute sind sich einig.
Wir können noch etwas tun.

Diese Worte hätte ich mein Leben lang unterschrieben, seit ich in der Grundschule zum ersten Mal vom Klimawandel hörte.

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Natürlich nahm ich den Klimawandel ernst. In meiner Kindheit hatte er mir jahrelang Angst gemacht. Ich hatte meine Eltern genervt, wenn sie das Auto nahmen, um zu meiner Großmutter zu fahren, die am anderen Ende der Straße wohnte, oder wenn sie beim Lüften nicht die Heizung herunterdrehten. Aber irgendwann war das Thema in meinem Leben nicht mehr so präsent. Obwohl der menschengemachte Klimawandel immer akuter wurde, hörte ich auf, mir Sorgen deswegen zu machen. Weder ums Klima noch um mich.

Menschen verdrängen Klimakrise im Alltag

Es ist paradox: Manche Menschen sehen seit Jahrzehnten, dass wir uns auf eine wortwörtliche Katastrophe zubewegen, die sie selbst und ihre Kinder miterleben werden. Einige sind sich dessen sehr bewusst, andere verdrängen es im Alltag ziemlich effektiv. Ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung aber erkennt die Fakten und Gefahren durchaus an, scheint jedoch nicht zu ahnen, dass die Auswirkungen sie selbst massiv betreffen werden.

Dieses Missverständnis ist, neben den Verzögerungsnarrativen der Lobby für fossile Energien, das zentrale Problem in der Diskussion über Klimaschutz. Wir reden gesellschaftlich über sehr unterschiedliche Dimensionen von Gefahren, die es abzuwehren gilt – und entsprechend über unterschiedliche Ansätze, was, wie stark und wie schnell es zu tun ist. Das verzögert dringend nötige Maßnahmen.

Video | "Wer das nicht begreift, dem kann man nicht mehr helfen"
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Quelle: t-online

Es macht einen Unterschied, ob ich annehme, dass Trinkwasser- und Lebensmittelknappheit schon in meiner Lebenszeit ernsthafte Probleme sein werden oder erst für meine Urenkel. Nicht nur aus Eigennutz, sondern auch, weil es den Maßstab verschiebt, wie schnell und konsequent wir einerseits Anpassungsmaßnahmen und andererseits die Verkehrs-, Energie-, Bau-, Heiz-, Ernährungs- und Agrarwende umsetzen müssen.

Um das Ausmaß der Krise und ihre Bedeutung für das eigene Leben zu begreifen, reicht Faktenwissen allein nicht aus. Man muss es auch schaffen, diese Informationen emotional an sich heranzulassen. Für viele Menschen ist das ein langer und langsamer Prozess, mich traf die Erkenntnis im Sommer 2020 wie ein Schlag.

Unser Gehirn schützt uns

Damals wurde mir durch zwei amerikanische Klimaexperten klar, denen ich auf Twitter (heute X) folgte: Unser Gehirn ist gut darin, uns vor Informationen zu schützen, die uns überfordern. Die beiden kommunizierten sehr emotional zur Klimakrise, ihr Gehirn schützte sie nicht. Sie waren ernsthaft jeden Tag geschockt, wie schlimm die Situation bereits ist und wie wir das gesellschaftlich ignorieren. Am Anfang hielt ich ihre Reaktionen zum Teil für übertrieben, irgendwann jedoch fragte ich mich, was ich übersehen hatte, wenn diese beiden Experten viel alarmierter waren als ich. Die Art, wie wir kommunizieren, trägt also entscheidend dazu bei, wie die Informationen aufgenommen werden.

Deshalb sollten wir sehr bewusst mit den Begriffen umgehen, die das beschreiben, was wir gerade erleben. Denn sie zeigen nicht nur, wie wir auf die Welt schauen; sondern sie haben auch einen Einfluss auf unser Handeln. Als Journalistin werde ich daher oft gefragt, welche Begriffe ich denn für angemessen halte.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Angesichts der schon heute sichtbaren und zu erwartenden Auswirkungen ist der Begriff "Erderwärmung" verharmlosend, ich persönlich spreche daher oft von "Erderhitzung". "Hitze" ist negativer konnotiert als "Wärme". Menschen stolpern oft über diesen Begriff, werden aufmerksam, fragen nach – und genau das will ich damit erreichen. Unsere Situation ist nicht normal. Das kann und sollte auch in unserer Sprache deutlich werden.

In meiner Jugend sang ich begeistert mit, wenn im Radio der Hit "36 Grad und es wird noch heißer" lief. Mittlerweile zucke ich ein bisschen zusammen, wenn ich das Lied höre. Es dürfte – anders als damals – mittlerweile den allermeisten klar sein, dass diese Art Temperaturrekorde nicht erstrebenswert sind. Das Wort "Rekord" ist zunächst dennoch positiv konnotiert. Daher spreche ich von "Höchstwerten", das ist hier der neutralere Begriff.

Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe?

"Klimawandel" verwende ich vor allem, wenn ich das Phänomen des sich ändernden Klimas meine. Der Zusatz "menschengemachter Klimawandel" verdeutlicht, wer seit der Industrialisierung die Ursache dafür ist und deutet an, dass etwas, das von Menschen gemacht ist, auch von Menschen gestoppt oder zumindest beeinflusst werden kann.

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Am häufigsten spreche ich von "Klimakrise". Der Begriff wird manchmal dahingehend kritisiert, dass eine Krise ein vorübergehender Zustand sei, die Klimakrise uns aber unser Leben lang begleiten wird. Außerdem, so wenden einige ein, würde sich die Frage stellen, welche Eskalationsstufe wir nach oben haben, wenn sich die Entwicklung verschärft.

Doch diese Krise wird enden. Entweder in einem Zustand, in dem wir das Klima stabilisieren; mit einem neuen Normal, das sehr viel krisenhafter sein wird als das Leben, wie wir es bisher kannten. Aber an das wir uns dann, so gut es geht, angepasst haben werden. Es kann in vielerlei Hinsicht auch besser werden als das Heute. Langsamer, solidarischer, gemeinschaftlicher. Oder es endet im Klimachaos oder der Klimakatastrophe.

Den Begriff "Klimakatastrophe" nutze ich mittlerweile regelmäßig. Entweder wenn ich über konkrete, klimabezogene Katastrophen spreche wie Extremwetterereignisse mit verheerenden Auswirkungen, etwa bei der Flut im Ahrtal; oder, abstrakter, wenn ich die – nicht allzu ferne – Zukunft meine.

"Klimachaos" verwende ich seltener, die Bezeichnung transportiert aus meiner Sicht aber gut, dass die Erderhitzung nicht nur bedeutet, dass es wärmer wird auf der Erde, sondern vor allem, dass das Klima unberechenbarer und extremer wird. Wörter wie "Klimakollaps" werden im deutschsprachigen Raum so gut wie gar nicht verwendet, versuchen aber zu fassen, was aus den unberechenbaren Extremen folgt. Unsere Zivilisation, unsere Infrastruktur ist nicht auf das eingestellt, was auf uns zukommt. Schon heute sind Straßen, Schienen, Gebäude, Liefer- und Versorgungsketten gefährdet, werden überall auf der Welt beschädigt. Es wird mutmaßlich nicht den einen großen Zusammenbruch geben. Aber die kleinen Zusammenbrüche, sie haben bereits begonnen.

1,5-Grad-Grenze oder 2-Grad-Ziel?

Ein Ziel ist etwas, das man erreichen will. Beim 1,5-Grad-Limit handelt es sich um eine Grenze, die wir möglichst nicht dauerhaft überschreiten sollten. Daher verwende ich die Begriffe 1,5-Grad-Grenze, -Limit oder -Marke, um das auch sprachlich deutlich zu machen.

Ich sehe ein weiteres Problem mit dem Begriff "2-Grad-Ziel": Im Pariser Klimaabkommen ist – aus Gründen – vereinbart, die Erderhitzung auf "deutlich unter 2 Grad" zu begrenzen. Um möglichst viele negative Folgen zu vermeiden und möglichst weit von den Kipppunkten entfernt zu bleiben. Der Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad ist riesig. 2 Grad sind nicht das nächste "Ziel", wenn die 1,5-Grad-Marke gerissen wird. Es geht darum, die Erderhitzung so gut wie eben möglich zu begrenzen.

Verwendete Quellen
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