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Das riskante Spiel der Briten mit Deutschland


Camerons Kehrtwende
Das riskante Spiel der Briten mit Deutschland

Aus England berichtet Marc L. Merten

Aktualisiert am 26.12.2013Lesedauer: 5 Min.
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Gegner oder Verbündete? Kanzlerin Merkel und Premierminister CameronVergrößern des Bildes
Gegner oder Verbündete? Kanzlerin Merkel und Premierminister Cameron (Quelle: dpa-bilder)

Als im Mai 2013 die britische Zeitschrift "New Statesman" ihr neues Cover vorstellte, staunten die Leser nicht schlecht. "Why can’t we be more like Germany?", fragte das angesehene Politik- und Kulturmagazin in großen Lettern. Viele Briten fragten sich, warum sie jetzt auf einmal versuchen sollten, den Deutschen zu ähneln. Ende 2013 scheinen sie zu verstehen.

Vor zehn Jahren ergab eine Umfrage unter Briten, dass Deutsche vor allem arrogant und humorlos seien. Daraufhin sahen sich die Deutsche Botschaft und das Goethe-Institut in London gezwungen, eine Image-Kampagne zu starten, um den Briten zu erklären, wie toll und cool Deutschland eigentlich sei.

Deutsche Psychose wird 2012 geheilt

Eine typisch deutsche Reaktion, ausgelöst durch eine tief verankerte Psychose, wissen zu wollen, ob uns alle Welt lieb hat. Miteinander klar kommen reicht uns nicht. Wir wollen wissen, ob wir geliebt werden. Und wenn wir hören, dass dem nicht so ist, versuchen wir, krampfhaft etwas dagegen zu unternehmen. So wie 2003 die Botschaft und das Goethe-Institut. Die Initiative floppte. Auch, weil es an einem grundsätzlichen Verständnis mangelte. Deutschland wollte nicht nur geliebt werden. Das politische Deutschland wollte auch in Europa führen. Das passte nicht zusammen.

Das Jahr 2012 brachte die Wende. In einer Phase, in der die Europäische Union, von der Finanzkrise gebeutelt, um das Überleben des Euros kämpfte, wandelte sich Deutschlands Selbstverständnis. Berlin demonstrierte Stärke, akzeptierte die vielen antideutschen Parolen und sorgte dafür, dass es im Zuge der so wichtigen Euro-Rettung zumindest kontrollieren konnte, wohin das eigene Geld floss. Deutschland hatte verstanden, dass es nicht von denjenigen geliebt werden kann, die von einem abhängig sind.

Europäisches Deutschland oder deutsches Europa?

Großbritannien war zwar zu keinem Zeitpunkt von Deutschland abhängig, die Finanz- und Wirtschaftskrise hatte das Herz des Königreichs, London, aber hart getroffen. Die verschärften Regulierungen aus Brüssel kamen daher überhaupt nicht gut an in UK. Deutschland wurde, wie Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, festhielt, "als Hegemonialmacht geächtet". Der Vorwurf der Briten: Deutschland wolle nicht europäisch sein, sondern arbeite an einem deutschen Europa.

Ein Jahr später hat sich die Sichtweise gewandelt. Großbritannien gesteht ein, dass Deutschland durch teils harte Reformen seine Stellung als Europas Wirtschaftsmacht zementiert hat. So liegt beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bei 7,8 Prozent und damit so niedrig wie in keinem anderen EU-Land. In Großbritannien fragt man sich dagegen, wie man die 20,8 Prozent junger Leute endlich in den Arbeitsmarkt bekommt.

David Cameron agiert gegen seine eigenen Überzeugungen

Man könnte meinen, dass es eine gute Idee sei, sich Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Die nun in Großbritannien diskutierten Lösungsansätze unterscheiden sich jedoch radikal von denen, für die sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett entschieden hatten. Premier David Cameron hat 2013 eine Kehrtwende in seiner Politik vollzogen. Obwohl eigentlich ein Befürworter der Europäischen Union, agiert er aus mehreren Gründen mittlerweile gegen seine eigenen Überzeugungen – zumindest auf den ersten Blick.

Während es für Deutschland in den letzten Jahren Sinn machte, als exportorientiertes Land für die EU, den Euro und den freien Warenverkehr zu kämpfen, richtete Cameron die nationalstaatlichen Interessen auf das Inland. Vor allem durch den Finanzmarktplatz London geprägt, versuchten Cameron und Co. ihre ökonomische Freiheit zu verteidigen. Zur Not, indem sie drohten, aus der EU auszutreten. Ein entsprechendes Referendum hat Cameron bereits für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt.

Motto: Wir sind alle Europäer, aber ihr bleibt Ausländer!

Ist die Ehe zwischen dem United Kingdom und der EU also schon gescheitert? Cameron provoziert, wo er nur kann. Eine Reform des Euro-Stabilitätspaktes interessiere ihn als Vertreter eines Nichteurolandes nur marginal. Freie Wege für Dienstleistungen, Waren und Kapital gefallen ihm zwar. Die freien Personenwege jedoch stoßen den Bürgern seines Landes negativ auf. Vor allem, wenn die Wege ins eigene Land führen. Cameron kündigte daher an, EU-Ausländern künftig das Leben im Königreich erschweren zu wollen. Er sprach sogar von nationalen Einreisequoten und zog damit auch den Zorn deutscher Politiker auf sich. Ganz nach dem Motto: Wir sind alle Europäer, aber in unserem Land bleibt ihr trotzdem Ausländer.

Man muss dazu sagen, dass Camerons stoische Haltung in keiner Weise seine eigenen Überzeugungen widerspiegelt. Vielmehr ist sein "Nein-Sager-Kurs" nichts anderes als Kalkül mit Blick auf die nächsten Wahlen. Denn nicht nur in seiner eigenen Partei, den Tories, mehren die sich die EU-Kritiker. Auch die EU-kritische UK Independence Party (UKIP) gewinnt immer mehr an Einfluss. Würde das EU-Referendum sofort abgehalten werden, gäbe es wohl eine knappe Mehrheit für den Ausstieg.

EU-Austritt der Briten kann Deutschland nicht gefallen

Die Angst, von finanziell angeschlagenen südeuropäischen Bündnispartnern tiefer in die Krise gezogen zu werden, schürt die Aversionen vor dem 28-köpfigen EU-Monster auf allen Ebenen. Die EU-kritische britische Presse zeichnet bereits ein Bild, in dem sich die Briten ihren eigenen Kopf abschlagen und so wieder zu einer unabhängigen Weltmacht erwachsen, als die sie sich noch immer sehen. Ohne Finanzmarkt- und Arbeitsmarkt-Regularien aus Brüssel, dafür mit bilateralen Handelsabkommen mit Partnern in aller Welt.

Dieses Szenario jedoch kann in Deutschland niemandem gefallen, ist Almut Möller von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, überzeugt. "Insbesondere mit Blick auf Londons weltweite Ambitionen. Deutschland sieht London als einen mächtigen Partner, um Europas Möglichkeiten in einer globalisierenden Welt zu gestalten."

Das eigentliche Ziel verbindet Cameron und Merkel

Das wissen auch die Briten. Es mag völlig offen sein, ob das Referendum tatsächlich durchgeführt wird. Doch als Druckmittel reicht es Cameron völlig aus. "Ein britischer Rückzug würde eine fundamentale Debatte über den zukünftigen Weg der EU auslösen", sagt Möller. In diesem Falle, so die Expertin für Europapolitik, würde Deutschland aber keinen so großen Einfluss auf die Entscheidungen haben wie noch während der Finanzkrise. Stattdessen würden sich die südeuropäischen Nationen um Frankreich und die osteuropäischen Staaten um Polen scharren. Deutschland würde ohne Großbritannien die bizarre Rolle eines starken, aber gleichzeitig isolierten Landes in der EU drohen.

Daher ist das Problem der EU mit den Briten vor allem auch ein Problem Deutschlands mit den Briten. Die Insulaner haben tatsächlich gelernt, mehr wie Deutschland zu sein. Stärke zeigen und sich nicht darum scheren, was andere über sie denken. Cameron wird daher mit seiner Drohung wohl erreichen, was er eigentlich will: eine Wandlung des bislang vor allem ökonomischen Staatenbundes hin zu einer politischen EU als Global Player – mit Großbritannien und Deutschland an der Spitze. Eines haben Cameron und Merkel beide erkannt: Der EU fehlt es an politischem Profil. Jetzt müssen sie nur noch verstehen, dass Briten und Deutsche mehr verbindet als Fußball und Bier – nämlich der Ansatz pragmatischer Politik. Dafür braucht es nicht einmal Liebe und Zuneigung.

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