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Brexit: Darum wirbt Merkel nicht für ein Bleiben der Briten


Drohender Brexit
Warum Merkel nicht laut vor dem Austritt warnt

spiegel-online, von Philipp Wittrock

Aktualisiert am 11.06.2016Lesedauer: 4 Min.
Der britische Regierungschef David Cameron und Kanzlerin Angela Merkel blicken mit Sorge auf das anstehende Referendum.Vergrößern des BildesDer britische Regierungschef David Cameron und Kanzlerin Angela Merkel blicken mit Sorge auf das anstehende Referendum. (Quelle: Reuters-bilder)
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Verlassen die Briten wirklich die EU? Für Deutschland wäre das eine Katastrophe. Dennoch hält sich Kanzlerin Merkel mit allzu lauten Warnungen vor dem Brexit zurück - aus Furcht.

Die mächtigste Frau der Welt traut sich nicht. Natürlich, Angela Merkel hofft inständig, dass die Briten in der Europäischen Union bleiben. Aber zu laut sagt die Kanzlerin das lieber nicht.

Vor ein paar Tagen, da hat sie eine kleine Ausnahme gemacht, die in britischen Medien als "bisher stärkste Einmischung" oder gar als Bruch ihres "selbst auferlegten Schweigegelübdes" bezeichnet wurde. Bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Kanzleramt fragte ein BBC-Journalist nach ihren Sorgen vor einem möglichen Brexit.

Verschwurbelte Warnung

Merkel warnte vor den Nachteilen, wortreich, aber etwas umständlich sprach sie über Verhandlungen, die von innen besser als von außen zu führen seien. Nichts, was wirklich in Erinnerung blieb. Außer vielleicht, dass Merkel am Ende noch einmal betonte: "Um jetzt aber kein Missverständnis auftreten zu lassen: Die Menschen in Großbritannien entscheiden."

Die Angst geht um in der deutschen Politik. Die Angst vor dem Brexit. Und die Angst, vor dem entscheidenden Referendum am 23. Juni mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für einen Verbleib Großbritanniens in der EU genau das Gegenteil zu bewirken: dem Out-Lager Auftrieb zu geben.

Angeblich haben die Briten selbst um Zurückhaltung gebeten. Im Februar soll das gewesen sein, als David Cameron mit den EU-Staats- und Regierungschefs jene Sonderrechte verhandelte, mit denen er seinem Volk die EU schmackhaft machen möchte. Haltet Euch einfach raus, lautete demnach die Botschaft, keine Interviews in britischen Zeitungen, keine Auftritte vor Ort, damit die Brexit-Befürworter nicht sagen können: Genau darum geht es - diese ewige Bevormundung und Schulmeisterei aus Berlin und Brüssel. Es sei "intelligent und richtig, so stumm wie möglich zu sein", sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker jüngst im Interview mit "Spiegel Online".

Katastrophe für Deutschland

Dabei hätte gerade die Bundesregierung Grund, nicht stumm zu bleiben. Denn ein Austritt des Vereinigten Königreichs wäre für Deutschland eine Katastrophe.

Dabei sind es nicht einmal drohende Turbulenzen auf den Finanzmärkten oder die wirtschaftlichen Folgen, die die Bundesregierung umtreiben. Großbritannien ist Deutschlands drittwichtigster Handelspartner, das Exportvolumen lag 2015 bei 89 Milliarden Euro). Mehr als 2500 deutsche Unternehmen sind auf der Insel aktiv, umgekehrt haben rund 3000 britische Firmen Niederlassungen in Deutschland. Ohne den EU-Binnenmarkt würden die engen Beziehungen viel komplizierter.

Für Deutschland aber geht es um Grundsätzlicheres. Die europäische Einigung gehört zur deutschen Nachkriegsidentität, das Grundgesetz erhebt das vereinte Europa zum Staatsziel. Ein Good bye der Briten aber würde der EU einen Schlag versetzen, von dem sie sich nur schwer erholen dürfte. Und das in einer Zeit, in der sich Europa ohnehin in einer historischen Krise befindet.

Geht Großbritannien könnte Europa zerbrechen

In Berlin wird befürchtet, dass ein Brexit die Fliehkräfte in der Union weiter verstärken würde. Im Osten, wo die viel beschworene europäische Solidarität an ihre Grenzen stößt. Im Süden, wo die Wirtschaft nach dem Höhepunkt der Euro-Krise immer noch nicht in Schwung kommt. Und überall dort, wo Rechtspopulisten und Europaskeptiker Aufwind haben. Gehen die Briten, wäre das Signal: Europa zerbricht.

So hält es Finanzminister Wolfgang Schäuble durchaus für möglich, dass das britische Beispiel Schule machen könnte und weitere Länder aus der EU austreten. "Das kann man nicht ausschließen", sagte der CDU-Politiker dem "Spiegel". "Wie würden zum Beispiel die Niederlande reagieren, die traditionell sehr stark mit Großbritannien verbunden sind?"

Deutsch-französische Achse läuft nicht rund

Dazu kommt: Mögen die Rosinenpickerei und die ewigen Sonderwünsche auch noch so nerven - Deutschland braucht Großbritannien innerhalb der EU als Partner und als liberales Gegengewicht zum sozialistisch regierten Frankreich. Das gilt umso mehr, seit die deutsch-französische Achse nicht mehr so rund läuft. Binnenmarkt, Freihandel, Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratieabbau - gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik haben Deutschland und Großbritannien ähnliche Interessen.

Ohne die Briten - immerhin ständiges Mitglied im Uno-Sicherheitsrat und Atommacht - verlöre die EU auch in der Außen- und Sicherheitspolitik dramatisch an Bedeutung. "Dieses Europa würde weniger ernst genommen werden", warnte Vizekanzler Sigmar Gabriel. Merkels außenpolitischer Berater im Kanzleramt, Christoph Heusgen erklärte: "Die EU ohne die Briten als Partner hätte nicht dasselbe Gewicht wie eine EU mit den Briten." Und auch wenn Großbritannien natürlich nicht von der Weltbühne verschwände - innerhalb der EU müsste Deutschland mehr Verantwortung übernehmen.

Es wird wohl knapp

Kein Wunder also, dass sie im Kanzleramt in diesen Tagen aufmerksam jede Umfrage aus Großbritannien beobachten. In oder out - im Moment ist das Rennen äußerst knapp, grundsätzlich aber lässt sich sagen, dass die Brexit-Fans in den vergangenen Wochen aufgeholt haben.

Bislang, so ist zu hören, gibt es dennoch keine Überlegung, dass die Kanzlerin im Wahlkampfendspurt noch einmal öffentlich um die Briten buhlt. Hinter den Kulissen hat man sich längst auf den Ernstfall vorbereitet. Im "Spiegel" versucht Merkels Finanzminister Schäuble zu beruhigen: "Europa wird zur Not auch ohne Großbritannien funktionieren."

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