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Großbritannien: Aus für den Brexit-Deal: Theresa May hatte keine Chance


Aus für den Brexit-Deal
Theresa May hatte keine Chance

  • David Ruch
Eine Analyse von David Ruch

29.03.2019Lesedauer: 5 Min.
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Premierministerin Theresa May: Zum dritten Mal ist ihr mit der EU verhandelter Brexit-Vertrag gescheitert.Vergrößern des Bildes
Premierministerin Theresa May: Zum dritten Mal ist ihr mit der EU verhandelter Brexit-Vertrag gescheitert. (Quelle: House Of Commons/PA Wire/dpa)

Zum dritten Mal ist Theresa Mays Brexit-Vertrag gescheitert. Rücktrittsversprechen, Abstimmungstrick – alles umsonst. Die Briten haben jetzt noch zwei Optionen.

Theresa May hatte bis zum Schluss um ihr Abkommen gekämpft. Sie warf in dieser Woche ihr ganzes politisches Gewicht, das ihr noch verblieben ist, in die Waagschale. Sie bot ihren Rücktritt an, sie baute einen Trick in die Abstimmung ein – alles, um ihre Kritiker zu ködern und einen dritten Versuch zu bekommen. Es half alles nichts. Zuviele Hardliner in ihrer Partei blieben stur, die DUP bei ihrem Nein – May hatte letztlich keine Chance.

Mit 344 zu 286 Stimmen lehnte das Unterhaus in London das Austritts-Abkommen mit der EU am Nachmittag erneut deutlich ab. Damit bleiben Großbritannien vorerst nur zwei Optionen: Ein ungeregelter Brexit am 12. April. Oder eine längere Verschiebung des Austritts, was hieße, dass das Land an der Europawahl Ende Mai teilnehmen muss.

Ein schier aussichtsloses Unterfangen

Es hätte schon verdammt viel richtig laufen müssen für Theresa May an diesem historischen Tag. Bei der ersten Abstimmung über das Abkommen im Januar erlebte sie ein beispielloses Debakel. Beim zweiten Anlauf Mitte März sah es schon besser aus. Doch noch immer stimmten 149 Abgeordnete mehr für Nein als für Ja, darunter allein 75 Parlamentarier aus der eigenen Partei.

Wie hätte sie es jemals schaffen können, ihre in erbittertem Streit verlorene Fraktion hinter sich zu einen? Wie die nordirische DUP zum Schulterschluss zu bewegen, die mit dem Abkommen nicht weniger als die staatliche Integrität Großbritanniens gefährdet sah? Hinzu kam, dass sie auf eigentlich keine einzige Stimme aus ihrer Partei und der DUP verzichten konnte. Ein schier aussichtsloses Unterfangen.

Man kann Theresa May nicht vorwerfen, dass sie es nicht mit aller Entschlossenheit versucht hat. Sie zog in dieser Woche ihren wohl allerletzten Trumpf, als sie ihren Rücktritt für den Fall versprach, dass der Deal das Unterhaus doch noch passiert. Sie versuchte es zudem mit einem Kniff: Sie brachte am Freitag nur das mit der EU ausgehandelte Abkommen, nicht aber die dazu gehörige politische Erklärung zur Abstimmung.

Die Erklärung steckt grob den Rahmen für die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU ab, das Abkommen die Modalitäten des Austritts. Nur wenn beide Teile verabschiedet werden, gilt die Einigung mit der EU als beschlossen. May brachte das Abkommen nun einzeln zur Abstimmung, andernfalls hätte Parlamentspräsident Bercow ihren Antrag abgelehnt.

Angst vor dem Exit vom Brexit

Und tatsächlich: Einige Dutzend Abgeordnete, die im März beim zweiten "meaningful vote" noch gegen den Antrag ihrer Parteichefin gestimmt hatten, stellten sich nun zähneknirschend hinter May. Darunter ärgste Widersacher: Jacob Rees-Mogg, Freund eines harten Brexit, oder Boris Johnson, den wohl die Aussicht auf Mays Nachfolge getrieben hat. Als letzter Tory-Promi signalisierte auch Ex-Brexit-Minister Dominic Raab Zustimmung.

Die Brexiteers trieb auch zunehmend die Sorge, dass der Brexit auf längerfristig verschoben werden könnte – und am Ende vielleicht ganz scheitert. Jacob Rees-Mogg formulierte diese Sorge so: "Ein No-Deal ist besser als Mays Deal, aber Mays Deal ist besser als überhaupt nicht auszutreten." Und Boris Johnson schrieb in einem Gastbeitrag für den Telegraph, es sei für ihn sehr schmerzhaft, für diesen Deal zu stimmen. "Aber ich hoffe, dass wir nun daran arbeiten können, dessen Mängel abzumildern, die Backstop-Falle zu vermeiden und einen Brexit sicher zu stellen, für den das Volk gestimmt hat."

DUP und viele Hardliner blieben bei Nein

Doch der Widerstand blieb bis zuletzt zu groß. Die European Research Group, ein Sammelbecken konservativer EU-Gegner, hatte nach Mays Ankündigung erklärt, es gebe in ihren Reihen nach wie vor Stimmen gegen den Deal. Auch die DUP ließ sich trotz anderslautender Gerüchte in der britischen Presse nicht umstimmen. Ihre zehn Abgeordneten votierten bei den ersten beiden Vorlagen des Brexit-Abkommens geschlossen dagegen. Und sie taten es auch diesmal.

Die euroskeptische Partei hatte stets betont, dass sie den so genannten Backstop aus dem Deal raus haben möchte, weil sie befürchtet, Nordirland könnte von Großbritannien losgelöst werden. Für Brüssel aber ist dieser Passus nicht verhandelbar, weil man die Gefahr sieht, bei einer harten Grenze auf der irischen Insel könnte die politische Gewalt in Nordirland wieder aufflammen.

Zusätzlich dürfte May mit ihrer Rücktrittsofferte auch den einen oder anderen Labour-Abgeordneten verprellt haben, der mit dem Gedanken spielte, für den Vertrag zu stimmen. Das brachten jedenfalls einige Vertreter der Partei heute zum Ausdruck. Die Position von Labour ist es, nach dem Brexit eng an die EU gebunden zu bleiben. Mit einem Tory-Hardliner als möglichem neuen Regierungschef und May-Nachfolger ist eine solche Perspektive aber ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Verhandlungen mit Brüssel dürften noch komplizierter werden, als sie es zuletzt schon waren. Warum also dann diesem Deal zustimmen?

44 Stimmen gewonnen – 30 zu wenig

So kam es, wie es kommen musste. Knapper als beim letzten Mal und doch recht deutlich ging der Brexit-Vertrag ein drittes Mal im Unterhaus baden. 44 Stimmen hat May mit ihrer Rücktrittsofferte gewinnen können – 30 zu wenig um das Blatt noch zu wenden.

Der mit der EU ausgehandelte Deal ist damit endgültig tot. Zum 12. April könnte Großbritannien nun ungeregelt austreten, sollte London bis dahin keine Alternative präsentieren – mit allen Konsequenzen der zu erwartenden wirtschaftlichen Turbulenzen. Oder Premierministerin May bittet die EU um einen längeren Aufschub. Was bedeuten würde, dass die Briten an der Europawahl Ende Mai teilnehmen müssten.

May hatte mit diesem Szenario Druck auf die widerborstigen Fraktionskollegen aufzubauen versucht. Nun aber wird genau das immer wahrscheinlicher: Ein Aufschub um Monate oder vielleicht sogar Jahre – sollte die Pattsituation innerhalb und zwischen den britischen Parteien bestehen bleiben. Vielleicht nehmen die Tory-Hardliner einen erneuten Anlauf, May aus dem Amt zu putschen. Brüssel in jedem Fall bleibt nur, das Drama von der Seitenlinie zu verfolgen. Inhaltliche Zugeständnisse hatte der EU-Gipfel vor einer Woche ausgeschlossen.

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Brexit-Gegner im Aufwind

Den Gegnern des Brexit spielt das neuerliche Votum in die Karten. Am Nachmittag hatte eine Petition, die die Regierung zum Widerruf von Artikel 50 aufruft, was den Verbleib in der EU bedeuten würde, die Marke von sechs Millionen Unterschriften fast erreicht. Auf den Straßen der Insel wächst der Unmut. Am letzten Wochenende brachten über eine Millionen Menschen in London ihren Ärger über die Brexit-Politik zum Audruck.

Und auch im Parlament tut sich was. Bei den Probeabstimmungen am Mittwoch im Unterhaus erhielt die Option, dem Volk das letzte Wort über den Austrittsvertrag zu geben, von den acht abgelehnten Alternativen noch die meisten Stimmen.


Gleichzeitig tritt eine neue politische Gruppierung auf den Plan. Ehemalige Labour- und Tory-Abgeordnete, die aus Frust über den Brexit-Kurs ihre Parteien verlassen hatten, werden bald eine neue Fraktion im Unterhaus bilden. Sie wollen Ende Mai zur Europawahl antreten, falls Großbritannien daran teilnimmt. Die Abgeordneten eint ein Ziel: Sie wollen den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union noch verhindern.

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