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Brexit-Verschiebung: Was bezweckt May mit ihrem Angebot wirklich?


Brexit-Verschiebung
Was bezweckt May mit ihrem Angebot wirklich?


05.04.2019Lesedauer: 5 Min.
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Premierministerin Theresa May: Verzweifelter Kampf um ihr EU-Abkommen.Vergrößern des Bildes
Premierministerin Theresa May: Verzweifelter Kampf um ihr EU-Abkommen. (Quelle: Toby Melville/reuters)

London und Brüssel reden über eine Verschiebung des Brexit. Aber beide Seiten meinen Verschiedenes. Die Frage ist: Lässt sich so der No-Deal-Brexit noch verhindern?

In sieben Tagen könnte das Kapitel der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens endgültig Geschichte sein. Dann endet die verlängerte Deadline der Europäischen Union und die Briten drohen im Chaos aus dem Staatenbund zu scheiden. Bislang war jeder Versuch von Premierministerin Theresa May, eine Mehrheit für ihren mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal zu organisieren, krachend gescheitert. Sie wirft deshalb nun noch einmal einen Rettungsanker aus.

Die Regierungschefin bat die EU am Freitag ein weiteres Mal um einen Aufschub. Es sei frustrierend, schrieb May in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, dass der Prozess noch nicht zu einem "erfolgreichen und geordneten Abschluss" gekommen sei. May schlug den 30. Juni als neuen Termin für den Austritt vor – das wäre zwei Tage vor der konstituierenden Sitzung des neuen EU-Parlaments, das am 25. Mai gewählt wird.

Der 30. Juni bereitet der EU Bauchschmerzen

Mays Vorstoß erscheint auf den ersten Blick seltsam: London hatte schon einmal eine Verschiebung auf den 30. Juni vorgeschlagen. Der EU-Gipfel am 21. März hatte sie abgelehnt und stattdessen den 22. Mai angeboten – unter der Bedingung, dass das Unterhaus in London das Austrittsabkommen verabschiedet. Andernfalls sollte Großbritannien bereits am 12. April, also in genau einer Woche, die EU ungeregelt verlassen.

Grund für die Ablehnung des 30. Juni waren vor allem rechtliche Bedenken seitens Brüssel. In einem internen Papier äußerte die EU-Kommission die Befürchtung einer Anfechtung der Europawahl, sollte Großbritannien nach dem Wahltermin erneut um eine Verlängerung bitten – ohne Abgeordnete in die neue Versammlung entsandt zu haben. May dürfte mit dem Termin deshalb eher taktische Ziele verfolgen. Sie könnte zum einen der EU den schwarzen Peter zuschieben, sollte der Gipfel nur eine längere Verschiebung anbieten. Zum anderen wird sie hoffen, so doch noch Unterstützung für ihren schon totgesagten Deal zu bekommen. Der wäre dann der vielleicht einzige Ausweg, die Teilnahme an der Europawahl noch zu verhindern. Seit dieser Woche ist May darum bemüht, eine Einigung mit der Opposition zu finden.

EU-Ratspräsident Tusk schwebt hingegen eine andere Lösung vor. Er plädierte am Freitag für eine flexible Verlängerung der Austrittsfrist um bis zu zwölf Monate. Dann aber müsste Großbritannien an der Wahl teilnehmen – was May unbedingt vermeiden wollte.

Die Regierungschefin warb deshalb für einen anderen Weg: Ihr Land würde die Teilnahme an der Europawahl vorbereiten, aber versuchen, noch vor dem ersten Wahltag am 23. Mai mit einem ratifizierten Austrittsabkommen aus der EU auszuscheiden. In dem Fall würde Großbritannien die Europawahl absagen, schrieb May an Tusk.

Britische Teilnahme an Europawahl umstritten

Die EU ist in der Frage uneins, ob man die austrittswilligen Briten bei der Europawahl teilnehmen lassen sollte. Die europäischen Sozialdemokraten zeigten sich dafür offen. "Wenn das Vereinigte Königreich keinen Ausweg mehr über sein blockiertes Parlament findet, muss man das Volk fragen", sagte Fraktionschef Udo Bullmann (SPD) am vergangenen Wochenende. Es sei dessen unveräußerliches Recht, an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen, ergänzte er.

Ablehnend äußerte sich der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen, Manfred Weber (CSU). "Die Bürger Europas entscheiden bei der Europawahl Ende Mai über die Zukunft der EU – und da kann es nicht sein, dass ein Land mitwählt, das diese Zukunft nicht will", sagte Weber im Interview mit t-online.de. Er stehe deswegen einer Verlängerung sehr reserviert gegenüber, sollte es nicht ein eindeutiges Ziel dahinter geben.

Auch Frankreich ist skeptisch. Der Élyséepalast stufte den britischen Vorstoß für eine neuerliche Verschiebung am Freitag als "etwas verfrüht" ein, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Paris mahnte an, London müsse bis zum EU-Sondergipfel in der kommenden Woche einen glaubwürdigen Plan vorlegen.

Tories und Labour gehen aufeinander zu

Und der muss nach Meinung der EU eine Billigung des verhandelten Austrittsabkommens beinhalten, das im Unterhaus bereits dreimal gescheitert ist. May versucht deshalb nun auf anderem Wege, einer Mehrheit von Abgeordneten ihren Deal doch noch schmackhaft zu machen. Seit Mittwoch verhandelt sie mit Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn über einen fraktionsübergreifenden Kompromiss.

Der Rahmen ist dabei klar abgesteckt: An dem Austrittsabkommen mit der EU wird nicht gerüttelt. Wiederholt hatte Brüssel erklärt, dass die Annahme des Deals Voraussetzung für eine weitere Verlängerung ist. Deshalb sprechen May und Corbyn nun über die künftigen Beziehungen Großbritanniens mit der EU, deren Details nach dem Brexit verhandelt werden sollen.

Um zu einer Einigung zu kommen, könnte May gezwungen sein, rote Linien aufzugeben. Denn anders als die Konservativen strebt Labour einen weicheren Brexit mit enger Anbindung an die EU an. Die Regierungschefin könnte Parteichef Corbyn entgegenkommen, indem sie ihren Widerstand gegen eine Zollunion aufgibt. Die hatte sie bislang abgelehnt mit der Begründung, eine Zollunion lasse keine unabhängige Handelspolitik zu. Sollte May hier nun einknicken, würde sie die Brexit-Hardliner in ihrer Partei brüskieren.

Aber auch für Jeremy Corbyn sind die Verhandlungen heikel. Seine Partei streitet derzeit erbittert über die Frage, ob das britische Volk ein zweites Mal befragt werden soll. Einige Abgeordnete halten ein Referendum über den finalen Austritts-Deal für unabdingbar. Andere lehnen das ab. Der Vorsitzende der proeuropäischen Gruppe "Compass", Neal Lawson, warnte laut Tageszeitung "taz", sollte Corbyn es nicht schaffen, ein zweites Referendum zu garantieren, drohe eine Labour-Spaltung, denn die Mehrheit der Mitgliedschaft fordere dies. Hingegen mahnte eine Gruppe von 25 Parlamentariern in einem Schreiben an Corbyn: "Eine Verzögerung von mehreren Monaten in der Hoffnung auf ein zweites Referendum wird das Land einfach weiter spalten und die Unsicherheit für die Wirtschaft erhöhen."

Bis Dienstag muss May liefern

Greifbares haben die Verhandlungen zwischen Tories und Labour bis Freitagnachmittag nicht gebracht. Laut einem Regierungssprecher verliefen die Gespräche aber "detailliert und produktiv". Zeitdruck wies er von sich. Es gebe keine Frist für die Verhandlungen, sagte der Sprecher. Was aber nur die halbe Wahrheit ist. Bis Dienstag müssen die Briten Konkretes erarbeitet haben, denn schon am Mittwoch kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. Nur wenn London bis dahin geliefert hat, besteht die Chance auf eine nochmalige Verschiebung des Brexit.

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Was passiert, wenn die EU-27 der Bitte von Theresa May nach einem Aufschub eine Abfuhr erteilen, darüber kann aktuell nur spekuliert werden. Die Premierministerin dürfte wissen, dass ihr Termin Ende Juni kaum eine Chance auf dem Gipfel haben dürfte. Die EU könnte London dann eine einjährige Verschiebung vorschlagen. Darüber wollen die Abgeordneten im Unterhaus das letzte Wort haben. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag, der die Regierung zu einer Verschiebung des Brexit zwingen soll, liegt derzeit den Abgeordneten des britischen Oberhauses vor. Eine Zustimmung galt als sicher.

Bis kommenden Freitag wird sich entscheiden, ob Großbritannien den befürchteten chaotischen Brexit noch abwenden kann. Das Datum ist aber noch aus einem anderen Grund von großer Bedeutung: Am 12. April endet für Großbritannien die Frist, seine Bürger zur Europawahl aufzurufen.

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