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Verschiebung des EU-Austritts: Johnson ist nach Brexit-Schlappe machtlos


Verschiebung des EU-Austritts
Johnson ist nach Brexit-Schlappe machtlos

dpa, Michael Donhauser und Verena Schmitt-Roschmann

Aktualisiert am 23.10.2019Lesedauer: 4 Min.
Boris Johnson im britischen Parlament: Er ist weiterhin dafür, den Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Oktober zu vollziehen - notfalls auch ohne EU-Deal.Vergrößern des BildesBoris Johnson im britischen Parlament: Er ist weiterhin dafür, den Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Oktober zu vollziehen - notfalls auch ohne EU-Deal. (Quelle: Reuters-bilder)
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Premierminister Boris Johnson liegt nicht tot im Graben, wie er selbst einst schwor – doch sein Brexit zu Halloween ist wohl gestorben. Wie geht es nun weiter in dieser unendlichen Saga?

Wie immer beim Brexit ist es leichter zu sagen, was nicht ist. Es gibt nach einem spektakulären Machtkampf in London keinen ratifizierten Vertrag für einen geregelten EU-Austritt Großbritanniens. Und so gibt es nach menschlichem Ermessen auch keinen Brexit zum vorgesehenen Termin an Halloween. Er wird wohl nochmals verschoben.

Darüber seien sich die 27 EU-Staaten grundsätzlich einig, auch wenn noch keine formale Entscheidung gefallen sei, sagten Diplomaten nach einem Treffen der EU-Botschafter am Mittwochabend. Einige Länder wünschten sich zunächst Klarheit aus London, bevor über die Länge des Aufschubs befunden wird. Was hat Premierminister Boris Johnson jetzt vor?

Tatsächlich erweckte Johnson am Mittwoch den Eindruck, als hätte sich nach dem Showdown im Unterhaus am Vorabend nicht wirklich etwas geändert. "Ich glaube immer noch, dass es im Interesse dieses Landes ist, den Brexit am 31. Oktober zu vollziehen", rief er kampfeslustig in der Fragestunde im Parlament. Allerdings schob er zähneknirschend nach: "Ich fürchte, wir müssen sehen, was unsere Freunde in der EU entscheiden werden."

Johnson im Parlament krachend gescheitert

Am Tag zuvor war der machtbewusste Premier nach allen Regeln der parlamentarischen Kunst ausgebremst worden. Eine klare Mehrheit hatte seinen Crashkurs missbilligt, mit dem er seinen neuen, gerade erst mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag in nur drei Tagen durchs Unterhaus boxen wollte. Die Abgeordneten sagten Nein, was Johnson wiederum dazu bewog, das Gesetzgebungsverfahren auf Eis zu legen.

Stattdessen schielt er nun auf eine Neuwahl noch vor Weihnachten. Doch auch das liegt nicht in seiner Macht. Er braucht die Opposition. Dort gibt es zwar eine gewisse Sympathie, die Angelegenheit möglichst rasch dem Wähler vorzulegen. Aber der Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei scheint es vorzuziehen, die Gesetzgebung zu Johnsons Deal weiter durch das Unterhaus zu bringen – und ihn über Änderungsanträge nach eigenen Vorstellungen umzumodeln.

Boris Johnson ist jetzt gezwungen, das zu tun, was andere wollen: die Opposition, die EU, seine Parteifreunde, die Gerichte. Der Spott von Brexit-Pionier Nigel Farage ist ihm sicher. "Machen oder Sterben" ist am Ende, Großbritannien liege nun praktisch "tot im Graben", schrieb Farage auf Twitter – markige Worte, die einst der Premier selbst benutzt hatte. Farage sitzt Johnson im Nacken mit seiner Forderung nach einem völlig ungeregelten Brexit.

Juncker: "Zeit- und Energieverschwendung"

Auf EU-Seite sind Überdruss und Ratlosigkeit über die britische Selbstblockade längst mit Händen zu greifen. Rückblickend auf das ewige Hin und Her seit dem Brexit-Referendum vor dreieinhalb Jahren sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerade erst: "Es war eine Zeit- und Energieverschwendung." Allerdings bleibt es auch bei der Brüsseler Linie, dass die EU keineswegs schuld sein will, wenn das Vereinigte Königreich ohne Vertrag über die Klippe stürzt und danach wirtschaftliches Chaos und Unsicherheit ausbrechen. "Ein No-Deal-Brexit wird niemals unsere Entscheidung sein", ist das Credo von Ratspräsident Donald Tusk.

Und so wälzen die 27 bleibenden EU-Staaten erneut die Frage - wie schon im März und im April -, ob sie den Brexit noch einmal verschieben. Der Antrag dazu aus London liegt vor - auch das ein Kuriosum, denn Johnson hatte Stein und Bein geschworen, ihn niemals zu stellen und tat es dann auf Druck des Parlaments doch. Tusk empfahl den EU-Staaten, der britischen Bitte zu entsprechen und das Brexit-Datum auf den 31. Januar zu schieben. Dazu bekannte sich öffentlich auch sofort der irische Regierungschef Leo Varadkar, dessen Land vom britischen EU-Austritt am meisten getroffen wird.

Keines der EU-Länder erhob nach Angaben von Diplomaten am Mittwoch grundsätzliche Einwände gegen den Aufschub, nur die Länge stehe noch zur Diskussion. Wie schon im Frühjahr grummelt Frankreich. "Wir werden Ende der Woche sehen, ob eine rein technische Verlängerung von einigen Tagen gerechtfertigt ist", meinte am Dienstag die Europa-Staatssekretärin Amélie de Montchalin in Paris. Die Neigung gehe aber dahin, tatsächlich bis Ende Januar zu verlängern, sagte ein EU-Diplomat am Mittwochabend. Das will auch Deutschland. Am Freitag soll weiter geredet werden.

Prognosen sind schwierig

Bis dahin wünscht sich nicht nur Außenminister Heiko Maas neue Ansagen aus London: "Vor allen Dingen müssen wir wissen, was die Briten vorhaben und was Johnson vorhat", sagte der SPD-Politiker den Sendern RTL und n-tv. Dieselbe Forderung äußerten auch EU-Unterhändler Michel Barnier und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – während sich Johnson gleichzeitig auf den Standpunkt stellte, erst müsse die EU sich zur Verlängerung äußern, bevor er etwas sagen könne. So waren wieder einmal eine Menge Nebelkerzen auf dem Markt.


Brexit-Experte Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel kennt das, er verfolgt das Thema seit Jahren. "Prognosen zum Vereinigten Königreich sind immer extrem schwierig", sagt Zuleeg mit sanfter Irone. Doch rechnet auch mit einer Verschiebung bis Ende Januar, verbunden mit der Möglichkeit, flexibel früher auszusteigen, wenn der Deal denn doch schneller ratifiziert wird. Irgendwann aber, meint Zuleeg, müsse sich die EU überlegen, ob sie diese Unsicherheit fortsetzen wolle. Oder ob ein Austritt ohne Deal für Wirtschaft und Bürger nicht doch besser wäre als eine Hängepartie ohne Ende.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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