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Putin-Kritiker: So brutal gehen Patrioten gegen "Volksverräter" vor


"Hinrichtung ohne Gericht"
So brutal ist die Selbstjustiz russischer Patrioten

Von t-online, csi

Aktualisiert am 17.08.2023Lesedauer: 3 Min.
Nikita Schurawel: Der 19-Jährige soll einen Koran verbrannt haben.Vergrößern des BildesNikita Schurawel: Der 19-Jährige soll einen Koran verbrannt haben. (Quelle: Dmitry Rogulin/imago images)
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Sie haben russische Soldaten parodiert oder einfach die "falsche" Haarfarbe. In den Augen selbsternannter russischer "Patrioten" sind sie "Volksverräter" und zur Selbstjustiz freigegeben.

Wer nicht ins System passt, wird bedroht: In Russland werden immer öfter Menschen durch archaische Formen der Demütigung und Ächtung eingeschüchtert. Oft handelt es sich dabei um außergerichtliche Justiz, die Präsident Wladimir Putin aber befördert habe, schreibt der Geschichtswissenschaftler Alexey Tikhomoriv in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ).

Er verweist dazu auf den Telegram-Kanal "Soldatenwitwen Russlands". Darin hieß es in einem Beitrag Anfang Juli, dass "Patrioten" das Recht hätten, selbst über – aus ihrer Sicht – "Vaterlandsverräter" zu urteilen. Dieses Rechte gehe bis hin zur "Hinrichtung, ohne dass es dazu eines Gerichts bedarf." Eine Ansicht, die jeglichem rechtsstaatlichen Verständnis widerspricht. Wie viel Wirkungskraft solche Aufrufe entfalten, sei allerdings schwer zu beurteilen, schreibt Tikhomoriv.

Mann wegen "falscher Haarfarbe" Teil der Kopfhaut abgeschnitten

Was hingegen klar ist: Es gibt zahlreiche Berichte von Opfern. Besonders junge Menschen in kreativen Berufen sind dem "FAZ"-Beitrag zufolge von der Rachejustiz betroffen. So schnitten im Juli zwei Männer einem 19-Jährigen die Haare und einen Teil der Kopfhaut ab, berichtet das unabhängige russische Medienportal "Holod". Den Männern habe die Farbe der Haare des jungen Mannes nicht gefallen. Er trug einen grünen Irokesenschnitt.

Aber auch der Staat betätige sich während des Krieges als moralischer Aufseher und bestrafe die Abweichung von der Norm, schreibt Tikhomoriv. So verhafteten Sicherheitskräfte den moldauischen Blogger und TikToker Nekoglai, schlugen ihn und rasierten ihm den Kopf. Er hatte im vergangenen Jahr ein parodistisches Video über einen russischen Soldaten in der Ukraine veröffentlicht. Nekoglai sei nach Moldau deportiert worden, nachdem er sich öffentlich entschuldigt hatte.

Der ebenfalls 19-jährige Nikita Schurawel wurde im Mai in Wolgograd festgenommen. Er soll einen Koran verbrannt haben. Entgegen der Verfahrensregeln beschloss Putin laut "FAZ", dass Schurawel im überwiegend muslimischen Tschetschenien angeklagt werden und auch seine Strafe in einer muslimischen Region verbüßen solle. In einem Reuevideo habe Schurawel erklärt, die Tat im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes begangen zu haben und vor der Kamera Muslime in aller Welt um Vergebung gebeten.

Laut dem unabhängigen russischen Medienportal "Mediazona" wurde Schurawel am Dienstag vom Sohn des Tschetschenanführers Ramsan Kadyrow in Haft genommen. Aktuell warte er auf seinen Prozess.

Reuevideos wegen "falscher" Trinksprüche und Musik

Solche öffentlichen Entschuldigungen vor der Kamera haben laut Tikhomoriv System und seien ein wesentlicher Bestandteil der Rachejustiz. "Diese Videos folgen alle dem gleichen Szenario, mit einem abschließenden Appell an das Publikum, ihre Taten nicht nachzuahmen, und dem Versprechen, keine 'kriminellen Handlungen' mehr zu begehen", schreibt der Wissenschaftler in der "FAZ".

Die Videos würden in patriotischen Telegram-Kanälen gepostet. Die Menschen vor der Kamera würden oft ihr Ansehen im sozialen Umfeld verlieren. Wer sich weigert, dem drohe "Aburteilung und Leid" in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten. In der Regel hören die Schikanen gegen die Beschuldigten erst durch diese "Art der Selbstkritik vor der Kamera" auf, so Tikhomoriv weiter.

Teilweise reichen aber auch bereits vermeintliche Lappalien, um zu solchen Reue- und Entschuldigungsvideos gezwungen zu werden. Zwei Geschäftsleute sollen nach Trinksprüchen wie "Auf die Ukraine" Drohungen erhalten haben, in denen sie des Verrats und des unanständigen Verhaltens beschuldigt wurden. Sie entschuldigten sich laut "FAZ" per Video. Drei Frauen seien auf der annektierten Halbinsel Krim zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie zu einem Song des ukrainischen Popstars Vera Serdjutschka tanzten. Auch von ihnen wurde ein Reuevideo veröffentlicht, in dem sie das Lied "Putin ist ein toller Kerl" sangen.

Verwendete Quellen
  • faz.net: "Kahlgeschoren wird der Tiktok-Star zum armen Tier" (kostenpflichtig)
  • t.me: Beitrag von "Солдатские вдовы России" (russisch)
  • holod.media: "В Подмосковье задержали нападавших, которые сняли скальп парню из-за цвета волос" (russisch)
  • zona.media: "Фигурант дела о сожжении Корана сообщил Москальковой, что его в чеченском СИЗО избил сын Рамзана Кадырова"(russisch)
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