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Ukraine-Krieg | Dugin: Mordanschlag auf Tochter – so tickt "Putins Gehirn"


Attentat in Russland
Der Hass schlägt zurück

Von Tobias Eßer

Aktualisiert am 21.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Tochter von Alexander Dugin getötet: Das Auto war am Samstagabend nahe Moskau explodiert. (Quelle: t-online)

Alexander Dugin ist spätestens seit dem Mordanschlag auf seine Tochter weltberühmt. Was denkt der Mann, über dessen Rolle sich Beobachter streiten?

Daria Dugina war auf dem Rückweg von einem Festival, als ihr Land Cruiser Prado in der Kleinstadt Bolschije Wjasjomy – etwa 50 Kilometer westlich von Moskau – explodierte. Die 29-Jährige starb noch am Unfallort. Spekulationen zufolge war es jedoch nicht Dugina, die am Samstag durch einen Sprengsatz am Auto getötet werden sollte, sondern ihr Vater: der russische Philosoph Alexander Dugin. Bei manchen westlichen Beobachtern gilt er als einflussreicher Ideologe im Zentrum der Macht – teils wird Dugin aber auch als neofaschistischen Hardliner eingeschätzt, der nur geringen Einfluss auf Putins Politik hat. Aber wer ist Alexander Dugin?

Dugin wurde in Moskau geboren

Alexander Dugin ist ein neofaschistischer Hardliner. 1962 in Moskau geboren, wollte er in seiner Jugend zum Militär. Weil er sich in den 1980er-Jahren antikommunistisch betätigt haben soll, wurde er vom Staatlichen Luftfahrtinstitut exmatrikuliert und arbeitete fortan als Straßenkehrer. Etwa zur gleichen Zeit trat Dugin dem esoterischen Golowin-Zirkel bei. Dessen Anführer, der faschistische Mystiker Ewgenij Golowin, wurde schnell zu einem intellektuellen Mentor für den jungen Dugin.

Politisch betätigte sich Dugin damals in der Gruppierung Pamjat, die eine ultranationalistische und antisemitische Agenda verfolgte. Unter anderem war Pamjat für die Verbreitung der antisemitischen Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" und für mehrere Angriffe auf Jüdinnen und Juden in der späten Sowjetunion verantwortlich.

Theorie war für Dugin schon immer wichtig

Schon damals war Dugin der theoretische Aspekt seiner politischen Arbeit wichtig. Weil ihm das bei Pamjat nach eigenen Aussagen zu kurz kam, verließ er die Gruppe im Jahr 1989, um nach Westeuropa zu reisen und sich mit rechtsextremen Intellektuellen zu vernetzen. Dabei traf er sich unter anderem mit dem Franzosen Alain de Benoist, der als Vordenker der Neuen Rechten gilt und die ideologischen Grundlagen für moderne rechtsextreme Organisationen wie die Identitäre Bewegung gelegt hat. Seine Treffen mit den russischen Ultranationalisten brachten Dugin laut dem Historiker Stephen E. Atkins zurück zur Ideologie des russischen Traditionalismus.

Nach seiner Reise gründete Dugin in Moskau einen Verlag und einen geopolitischen Thinktank. Ziel seiner Unternehmungen war Historiker Atkins zufolge die Unterstützung einer konservativen Revolution in Russland. In seinem Verlag veröffentlichte Dugin nicht nur russische Autorinnen und Autoren, sondern auch die Werke westeuropäischer Rechtsextremer.

Als ersten Schritt in die russische Parteipolitik gründete Dugin im Jahr 1993 zusammen mit weiteren Mitstreitern die Nationalbolschewistische Partei Russlands. Diese verließ er jedoch nach kurzer Zeit aufgrund von ideologischen Differenzen wieder – 2005 wurde sie wegen verfassungsfeindlicher Ansichten verboten.

Danach näherte sich Dugin der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation an. Innerhalb der Partei stieg er schnell auf und wurde zum politischen Berater von Gennadi Seleznjow, der von 1996 bis 2003 Sprecher der russischen Duma war. Außerdem gründete Dugin die Eurasische Bewegung – einen traditionalistischen Thinktank –, um seine Ansichten weiterzuverbreiten.

Dugin kommt über die Kommunistische Partei in Putins Nähe

Durch seine Arbeit für Seleznjow erhielt Dugin Zugang zu Russlands mächtigsten Männern – so auch zu Wladimir Putin. Der russische Präsident soll sich seit den frühen 2000er-Jahren immer häufiger auf Dugins Rat zu außenpolitischen Themen verlassen haben, schreibt Stephen E. Atkins in seinem 2004 erschienenen Buch "Encyclopedia of Modern Worldwide Extremists and Extremist Groups" ("Enzyklopädie der modernen weltweiten Extremisten und extremistischen Gruppen").

Seitdem ist Dugin eine wichtige Stimme in Putins Ohr, wenn es um internationale Politik und die Ausweitung der russischen Einflusssphäre geht. Als Russland 2008 die georgischen Teilrepubliken Südossetien und Abchasien überfiel, forderte der Hardliner die militärische Einnahme des gesamten Landes und die zusätzliche Annexion der Krim, schrieb der amerikanische Historiker Walter Laqueur.

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Dugin schrieb Manifest "Eurasien über alles"

Dugins Denken ist von der radikalen Ablehnung der liberalen Moderne bestimmt. Er fordert die Rückkehr zu einer traditionalistischen Gesellschaft. In seinem 2001 erschienenen Manifest "Eurasien über alles" erklärt er sein Menschenbild: "Das eurasische Ideal ist der mächtige, leidenschaftliche, gesunde und schöne Mensch, und nicht der Kokainsüchtige, der Bastard aus weltlichen Diskos, der asoziale Kriminelle oder die Prostituierte."

Damit steht er in einer Reihe mit den Vordenkern der Neuen Rechten. In seinem Buch "Die Grundlagen der Geopolitik: Die geopolitische Zukunft Russlands" fordert er die vollständige Verschmelzung des russischen Staates mit der orthodoxen Kirche – ein weiterer Bestandteil seiner traditionalistischen Denkweise, die eine radikale Abkehr von der liberalen "westlichen" Gesellschaftsform begrüßt.

In "Die Grundlagen der Geopolitik" formuliert Dugin außerdem außenpolitische Ziele für Russland und weitere eurasische Länder. Einer der Hauptkonflikte ist darin ein Kulturkampf zwischen den USA und westlichen Ländern, die Dugin als Vasallen der USA ansieht, auf der einen Seite, und Russland sowie dem Iran auf der anderen Seite. Der Iran sei aufgrund des "religiös motivierten Traditionalismus" ein wichtiger Verbündeter Russlands "innerhalb der 'eurasischen Gemeinschaft', auf die Dugin hinarbeitet".

Dugin: Russland soll "die kulturelle Dominanz" der USA "beenden"

Als Ziel der russischen Außenpolitik will Alexander Dugin nach eigenen Angaben die "kulturelle Dominanz" der USA beenden. Deutschland nimmt in seinen Überlegungen eine wichtige Rolle ein. Demnach solle eine Achse zwischen Berlin und Moskau aufgebaut werden. Eine konservative Revolution solle Dugin zufolge die "Verkommenheit" in der deutschen Gesellschaft beenden, anschließend müsse Deutschland die dominante Rolle unter den katholischen und protestantischen Ländern Mittel- und Osteuropas einnehmen. Als "Belohnung" für Deutschlands Kooperation soll Russland Dugin zufolge die Exklave Kaliningrad unter dem alten Namen Königsberg an Deutschland zurückgeben.

Um seine Ziele zu erreichen, müsse Russland antiwestliche Parteien wie etwa die AfD in Deutschland oder die Partei Rassemblement National in Frankreich unterstützen. In einem Interview aus dem Jahr 2013 erklärt Dugin, Russland solle die prowestlichen Länder Europas "mithilfe der Softpower" erobern. "Lasst uns vorschlagen, Europa vor der Homoehe zu schützen", sagte Dugin, "oder vor der Massenzuwanderung." Durch die Unterwanderung der westeuropäischen Demokratien könne Russland die Vision eines eurasischen Blocks verwirklichen. Dieser eurasische Block diene als Möglichkeit, ein Gegenstück zur liberalen Gesellschaftsordnung zu schaffen. Diese eurasische Gesellschaft solle "weder faschistisch noch kommunistisch" sein, so Dugin.

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Grundlagen für Dugins Denken liegen im Mystizismus

Dugins Überzeugungen haben dem Politikwissenschaftler Samuel Salzborn zufolge einen mystischen und mythologischen Ursprung. Die Grundlagen dafür seien schon in den 1980ern durch seine Arbeit mit Ewgenij Golowin gelegt worden. Für Dugin gebe es ein dualistisches Konzept, nachdem der von ihm angestrebte eurasische Block das Element Erde symbolisiere. In Dugins Denkweise steht die Erde für eine stabile, bodenständige Ordnung. Im Gegensatz dazu werde der Atlantismus durch das Wasser symbolisiert, für Dugin eine "weiche (Un-)Ordnung". Die meisten geopolitischen Mächte seien entweder "Wasser- oder Erdmächte" – womit Dugin ein Konzept des nationalsozialistischen Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt aufgreift.

Letzten Endes münde der kulturelle Zwist zwischen Eurasismus und Atlantismus in einem Endkampf zwischen dem "heiligen" Osten, der der "Ursprung ewiger Weisheit" sei, und dem "verkommenen" Westen. Der Westen als "Reich der Antichristen" werde in diesem Kulturkampf besiegt und Russland befinde sich anschließend als "Nation kosmischer Dimension" im "Einklang mit den Kräften der Transzendenz", heißt es.

"Putins Hirn" oder Ideengeber?

Dugins Einfluss auf den russischen Präsidenten ist höchst umstritten – manche Beobachterinnen und Beobachter sehen ihn allerdings als "Putins Hirn". Die US-amerikanische "Washington Post" bezeichnete ihn in einer Analyse einst als "Autor von Putins Ukraine-Strategie".

Diese Relevanz dürfte er in Russland allerdings nicht mehr haben. Mehrere Beobachterinnen und Beobachter sehen in seiner Rolle eher die eines indirekten Ideengebers für den Kreml – und als jemand, der sich bei rechtsextremen Akteurinnen und Akteuren im Westen gut zu inszenieren weiß. So schreibt das Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien, dass Dugin immer umstritten war und seit den frühen 2000er-Jahren viel Bedeutung verloren hat.

War Dugin selbst das Ziel des Anschlags?

Naheliegend sind so die Spekulationen, dass Dugin selbst das Ziel des Bombenanschlags war. Russische Medien berichteten, er habe mit seiner Tochter am Samstag das patriotische Festival "Tradition" besucht. Dugin war dort als Redner angekündigt. Seine Tochter, die ihn begleitete, stellte das Auto auf einem Parkplatz für besonders wichtige Gäste ab. Die Bombe könnte dort eingebaut worden sein. Eine Videoüberwachung gab es wohl nicht. Medien zufolge hatten Vater und Tochter dann gemeinsam wegfahren wollen – aber dann stiegen sie doch in unterschiedliche Autos. Dugina kostete diese Entscheidung das Leben. Mehr zu den Hintergründen lesen Sie hier.

Sicher ist es jedoch nicht, dass Dugin anstelle seiner Tochter getötet werden sollte. Daria Dugina war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten: Die 29-Jährige hatte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenfalls offen unterstützt. Seit März steht sie wegen der Verbreitung von Propaganda und Falschnachrichten über die von Putin am 24. Februar befohlene Invasion auf mehreren Sanktionslisten.

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