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Proteste im Iran: "Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen"


Proteste im Iran
"Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen"

Von dpa, t-online
Aktualisiert am 21.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Protest gegen Unterdrückung: Mehrere Frauen warfen ihre Kopftücher ins Feuer. (Quelle: t-online)
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Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini gehen im Iran Tausende auf die Straße. Mindestens acht Menschen starben bei den Protesten.

In der fünften Nacht in Folge haben am Dienstag in mehreren iranischen Großstädten zahlreiche Menschen gegen Polizeigewalt und die strengen Kleidungsvorschriften für Frauen demonstriert. Demonstrantinnen verbrannten in den vergangenen Tagen öffentlich ihre Kopftücher. Neben regierungskritischen Slogans wurde immer öfter gerufen: "Wir kämpfen, wir sterben, wir werden uns den Iran zurückholen."

Bei den landesweiten Protesten wurden nach Angaben iranischer Medien vom Mittwoch auch mindestens acht Menschen getötet. Unter ihnen seien mindestens ein Polizist und fünf weitere Teilnehmer der Proteste. Die genaueren Umstände ließen sich zunächst nicht überprüfen.

Protestanten fordern Aufklärung

Sogar in der erzkonservativen Stadt und dem schiitischen Zentrum Ghom demonstrierten junge Menschen gegen die islamischen Kleidungsvorschriften. Zahlreiche Protestierende wurden festgenommen, wie die iranischen Nachrichtenagenturen Isna und Fars berichteten. Sie fordern Aufklärung für einen Todesfall, der das Land tief erschüttert.

Der Auslöser für die Welle der Empörung ist der Tod von Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde am vergangenen Dienstag von der iranischen Sitten- und Religionspolizei festgenommen, angeblich wegen ihrer "unislamischen" Kleidung. Auf der Wache fiel Amini nach Polizeiangaben später ins Koma. Am darauffolgenden Freitag wurde ihr Tod festgestellt.

Starb Amini wegen ihres "unislamischen Outfits"?

In den sozialen Medien verbreitet sich die Angabe, die Frau sei verhaftet worden, weil unter ihrem Kopftuch Haarsträhnen zu sehen gewesen seien. Was genau nach der Festnahme geschah, ist unklar. Nach Polizeiangaben hatte die junge Frau Herzprobleme.

Im Netz kursierte jedoch auch eine andere Version des Hergangs: Nach der Verhaftung sei ihr Kopf im Polizeiauto gegen die Scheibe geschlagen worden, was zu einer Hirnblutung geführt habe. Die Polizei wies diese Darstellung vehement zurück. Laut der iranischen Polizei habe es keinerlei "körperlichen Kontakt" zwischen Amini und den Sicherheitskräften gegeben, wie das Magazin "Spiegel" berichtet. In einem inzwischen gelöschten Post bei Instagram habe die Klinik, in der Amini behandelt wurde, geschrieben, dass die 22-Jährige bereits bei der Aufnahme am Dienstag hirntot gewesen sei.

Protest richtet sich auch gegen islamisches Establishment

Die Polizei und auch die Regierung des erzkonservativen Präsidenten Ebrahim Raisi sind aufgrund des Todes der Frau und der landesweiten Entrüstung in Erklärungsnot geraten. Zur Empörung über den Fall Amini kommt die seit Langem miserable Wirtschaftslage hinzu, viele Menschen bekommen die Krise in ihrem Alltag hart zu spüren. "Es gibt keine dunklere Farbe als schwarz", beschrieb ein Demonstrant in Teheran seine akute Hoffnungslosigkeit.

Frauen verbrannten aus Solidarität öffentlich ihre Kopftücher, auch in anderen Städten der Islamischen Republik sowie Aminis Heimatprovinz Kurdistan gingen etliche Menschen auf die Straße. An mehreren Orten riefen die Teilnehmer der Proteste: "Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen" – eine Parole, die vor allem während der Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 populär geworden war.

Die Demonstranten richteten sich nicht nur gegen Raisi und die islamischen Kleidungsvorschriften, sondern vereinzelt auch gegen die Politik des gesamten islamischen Establishments. Auf den Straßen waren etwa Rufe wie "Tod dem Diktator" zu hören.

Iran-Experte: Allmähliche Reformen möglich

Auslöser war ein zivilgesellschaftliches Dauerthema, die Frage um islamische Dresscodes. "Der Fall von Mahsa Amini ist in einem Kontext passiert, in dem der Kessel sowieso schon kurz vor dem Überlaufen war", sagte der Iran-Experte Adnan Tabatabai vom Forschungszentrum Carpo mit Sitz in Bonn. Die Kopftuchdebatte Irans beschäftige nicht nur Frauen und junge Menschen. "Ich empfinde es so, dass wir jetzt viel mehr generationenübergreifenden Zuspruch für die jetzigen Proteste haben."

Teherans Gouverneur Mohsen Mansuri sprach unterdessen von geplanten und trainierten Protesten, mit dem Ziel, Unruhen zu stiften. Bereits in der Vergangenheit hatten Politiker der Regierung Demonstrationen als Unruhen bezeichnet – kurz danach schritten wie etwa bei den landesweiten Protesten 2019 Sicherheitskräfte ein, um die Proteste zu unterdrücken. Die Geschwindigkeit des Internets war in Kurdistan und der Hauptstadt in vielen Bereichen deutlich gedrosselt.

Der Experte Tabatabai geht von einer harten Reaktion des Staates aus, sollten die Proteste anhalten. "Ich würde zunächst befürchten, dass der Sicherheitsapparat mit all seiner Wucht den Protesten erst mal ein Ende setzen wird und mit Härte dafür sorgen möchte, dass die Proteste auf der Straße aufhören." Gleichzeitig könnten laut Tabatabai die Forderungen nach einem Kurswechsel auch zu allmählichen Reformen führen. Anzeichen dafür seien kritische Äußerungen wie etwa durch den ehemaligen Kulturminister Abbas Salehi, der in einem Tweet ein Überdenken der Vorgehensweisen fordert.

Strenge Bekleidungsvorschriften gelten seit Islamischer Revolution

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen kritisierte die Umsetzung von Bekleidungsvorschriften für Frauen im Iran scharf und forderte eine rasche und unabhängige Untersuchung des Todes der 22-jährigen Amini. Alle diskriminierenden Rechtsvorschriften zu weiblicher Bekleidung sollten aufgehoben werden. Die USA äußerten scharfe Kritik am Iran. Dass eine Frau, die nur ihre Grundrechte wahrnehmen wolle, auf diese Weise sterben könne, spiegele die "völlige Unterdrückung und Brutalität des Regimes wider", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Dienstag in Washington.

Auch der ehemalige Gesundheitsminister Massud Peseschkian forderte Transparenz. "Das Volk ist aufgebracht und muss transparent über die Hintergründe informiert werden", sagte der Parlamentsabgeordnete am Montag im Staatsfernsehen. Als studierter Arzt zweifelte der 67-Jährige an der offiziellen Darstellung.

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen und reicheren Vierteln sehen viele Frauen die Regeln inzwischen aber eher locker und tragen beispielsweise ihr Kopftuch nur auf dem Hinterkopf – zum Ärger erzkonservativer Politiker. Religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger anwenden zu lassen.

Verwendete Quellen
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