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Scheitern des G20-Gipfels in Bali ist wahrscheinlich


Vor dem G20-Gipfel auf Bali
Die Schlinge zieht sich zu

Von Patrick Diekmann, Nusa Dua

Aktualisiert am 14.11.2022Lesedauer: 6 Min.
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Kanzler Scholz und Vietnams Premier Pham Minh Chinh: Auch Deutschland sucht vermehrt in Asien nach neuen Bündnissen. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine war Sprengstoff für die G20-Familie. Nach der Absage von Wladimir Putin steht beim Gipfel auf Bali nun eine andere Großmacht am Pranger.

Im Urlaubsparadies herrscht Chaos. Die Straßen von Nusa Dua sind verstopft. Wie ein Fliegenschwarm summen Hunderte Mopeds über die engen Kreuzungen. Röhrende Auspuffe, es riecht nach Abgasen – ein indonesischer Stau par excellence.

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Ein Mann Mitte 50, der sich als Eddie vorstellt, kämpft sich mit seinem alten silbernen Van durch die Herde der Rollerfahrer. Mal links, mal ruckartig rechts, immer die Hand auf der Hupe. Eddie lacht, als er die ängstlichen Blicke der Reporter aus dem Westen bemerkt. "Das ist hier völlig normal", sagt er und fährt, ohne zu bremsen, durch ein tiefes Schlagloch. Rumms.

In Bali prallen in diesen Tagen zwei Welten aufeinander. Männer in Anzügen, die ihre Aktentaschen umklammern, lassen sich auf grünen Rollertaxis zum Ort des G20-Gipfels bringen. Vor der palmenumsäumten Küste überwachen indonesische Kriegsschiffe die Gewässer. Kokosnuss-Urlaubsgefühl trifft auf knallharte Welt- und Sicherheitspolitik.

Was auf den ersten Blick paradox wirkt, passt auf den zweiten gut zum gegenwärtigen Zustand der G20. Eigentlich ist die Idee der G20-Familie zerstört. Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine rechnet niemand in Bali damit, dass sich die einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer auf ein gemeinsames Abschlusspapier werden einigen können. Nicht einmal ein offizielles Familienfoto soll es geben.

Scheitern des G20-Gipfels ist wahrscheinlich

Für die indonesische Bevölkerung ist die Bühne der großen Weltpolitik für gewöhnlich weit entfernt. Bali verstellt sich nicht, nur weil ein G20-Gipfel bevorsteht. Unweit der teuren Hotelanlage, in der ab Dienstag das Treffen der Staats- und Regierungschefs stattfindet, geht der Alltag für viele Menschen ganz normal weiter.

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Lediglich rote G20-Banner zieren beidseitig viele Straßen der Insel und erinnern an das Großereignis. "Können Sie das glauben? So viele Staatschefs kommen auf unsere Insel", sagt Eddie stolz. Für Indonesien geht es darum, international mehr Beachtung zu finden. Auch deshalb gibt sich die indonesische Führung größte Mühe, damit ihre Präsidentschaft nicht mit einem Misserfolg endet.

Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Zwar mahnte Indonesien im Vorfeld des Gipfels an, dass man in Bali nicht nur über den Ukraine-Krieg reden solle. Das jedoch ist eher unrealistisch. Der Konflikt zwischen Russland und seinen Verbündeten sowie dem Westen, der die Ukraine unterstützt, färbt auch auf andere politische Bereiche ab.

Das gegenseitige Vertrauen ist international auf dem Tiefstand. Längst verschärft sich der Handelskonflikt zwischen Ost und West immer weiter und auch beim letzten größeren G20-Thema in Bali – Maßnahmen gegen die Klimakrise – sind keine großen Fortschritte zu erwarten.

Seit Wochen schon suchen deshalb Diplomaten nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und tatsächlich sorgte ausgerechnet der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in China vor zwei Wochen für ein wenig Hoffnung: So könnte es beschlussfähig sein, eine mögliche nukleare Eskalation in der Ukraine zu verurteilen.

Auch wenn Russland dies als einziger Staat ablehnen würde, wäre das ein Erfolg für den Westen und eine herbe Niederlage für Wladimir Putin. Unklar ist jedoch, ob der chinesische Präsident Xi Jinping einem solchen Beschluss zustimmen und seinen russischen Verbündeten damit weiter schwächen und international isolieren will. Der Ausgang ist offen.

USA erhöhen Druck auf Xi

Viele Diplomaten und Experten in Bali sind sich dagegen einig: Das wichtigste Treffen in Indonesien findet eigentlich schon vor dem Gipfelstart am Dienstag statt. Am Montag trifft US-Präsident Joe Biden erstmals seit seinem Amtsantritt Xi Jinping. "Wir müssen nur herausfinden, wo die roten Linien sind", sagte Biden am Sonntag. Die beiden kennen sich von früheren Treffen.

Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen China und den USA so schlecht wie nie zuvor. Xi gibt Putin Rückendeckung im Ukraine-Krieg. Der Handelskrieg und Sanktionen belasten den Wirtschaftsaustausch. Zudem haben sich die Spannungen um das demokratische Taiwan und die Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer verschärft.

China wirft den USA vor, seinen Aufstieg in der Welt eindämmen zu wollen. Die USA wiederum sehen in China zunehmend einen wirtschaftlichen Rivalen und eine Bedrohung.

Eines ist vor diesem Hintergrund klar: Die künftige Welt wird im Zeichen dieses Konfliktes stehen. Nur China und die USA sind derzeit in der Lage, das gegenwärtige Chaos zu beruhigen. Aber Anzeichen für Kompromisse zwischen Peking und Washington gibt es nicht.

Deswegen erhöht der Westen den Druck auf China, indem er versucht, die Volksrepublik in Asien weiter zu isolieren. China hat international nicht viele einflussreiche Freunde. Diese Schwäche will die US-Regierung offenbar nutzen und hat daran ihre Strategie angepasst.

Nicht umsonst hat Biden gerade erst den Gipfel der südostasiatischen Asean-Länder in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh persönlich besucht. Auch die Staatsbesuche von Bundeskanzler Scholz in Vietnam und Singapur sind vor diesem Hintergrund zu sehen.

Zwar möchte Deutschland durch andere Bündnisse seine Abhängigkeit von China etwas lösen, aber es geht auch darum, die Volksrepublik in Ostasien zu schwächen. Ein weiterer Meilenstein für den Westen in dieser Strategie: Die traditionellen Erzfeinde Japan und Südkorea führen Gespräche.

All das kann Xi nicht gefallen, die US-Schlinge um seinen Hals scheint sich immer weiter zuzuziehen. Biden kommt mit Rückenwind nach Bali, auch durch die Erfolge für die Demokraten bei den US-Zwischenwahlen. Xi ist durch seine Amtszeitverlängerung zwar innenpolitisch gestärkt – der internationale Druck auf China aber ist immens.

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Grenzen der chinesischen Unterstützung für Russland ausloten

Das bilaterale Treffen zwischen den USA und China ist demnach ein Wegweiser für den G20-Gipfel in Bali und für die internationale Politik der kommenden Monate. Die US-Regierung möchte gegenüber Xi vor allem rote Linien aufzeigen. Die chinesische Führung dagegen muss überlegen, ob es aus ihrer Perspektive noch zu früh ist, diese zu überschreiten und einen offenen Konflikt mit dem Westen zu riskieren.

Xi dürfte klar sein, dass die aktuelle Machtdemonstration der USA über eines nicht hinwegtäuschen kann: Die globale Ordnung ist im Umbruch. Im Prinzip herrscht Chaos in der internationalen Politik, denn viele Staatsführungen folgen in ihren Entscheidungen vor allem nationalen Interessen. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass auch ein kollektiver Westen nicht mehr so viel Führungsmacht aufbringen kann, sodass sich Länder wie Indien oder Südafrika den Sanktionen gegen Russland anschließen. Diese Zeit ist vorbei.

Deshalb muss China eigentlich nur warten, denn auch ohne den gegenwärtigen Konflikt wird die westliche Hegemonie wahrscheinlich enden, und es wird daraus eine multipolare Welt entstehen. Länder wie China, Indien oder auch Indonesien, die im globalen Vergleich sehr viele Menschen repräsentieren, drängen auf Einfluss, der ihnen seit Jahrhunderten verwehrt wird.

Die USA und ihre Verbündeten müssen diesen Staaten mehr auf Augenhöhe begegnen, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen wollen. Dass Bundeskanzler Scholz nun vor dem Gipfel in Bali Räucherstäbchen in einem vietnamesischen Tempel anzündet, ist eine Geste, die vor diesem Hintergrund zu sehen ist.

Somit hängt auch dem Westen eine Schlinge um den Hals: Es sind die Narben, die die westliche Hegemonie in vielen Ländern hinterlassen hat, und eine verfehlte Selbstverständlichkeit, mit der westliche Staaten lange Zeit eine globale Führungsrolle ausübten.

Putin konnte in Bali nichts gewinnen

Der G20-Gipfel in Bali und mutmaßlich auch viele kommende Treffen stehen im Zeichen dieser ordnungspolitischen Erschütterungen. Aber wo bleibt eigentlich Wladimir Putin in diesem politischen Ringkampf?

Der russische Staatschef kommt nicht nach Indonesien. Stattdessen schickt er seinen Außenminister Sergej Lawrow. Dieser hatte bereits beim G20-Außenministertreffen für einen Eklat gesorgt, als er verfrüht abreiste und die russische Kriegspropaganda in einer Pressekonferenz gelangweilt von einem Stück Papier ablas.

Klar: Für Putin gibt es in Bali nichts zu gewinnen. Der Rückzug der russischen Armee aus Cherson war ein Zeichen der Schwäche. Aktuell kann der Kreml keine Zugeständnisse der Ukraine und des Westens in dem Konflikt erwarten. Dennoch ist es ein Warnsignal für die Welt, dass mit einer Atommacht wie Russland derzeit nicht einmal ein Dialog möglich ist. Deswegen bedauerte unter anderem auch Bundeskanzler Scholz die Absage Putins.

Umgekehrt ist die Absage auch für Russland selbst katastrophal. Putin ist international durch seinen Krieg zum Paria geworden und der russische Präsident, der eigentlich mit den USA auf Augenhöhe verhandeln wollte, isoliert sich international immer mehr. Während sich Putin der Kritik entzieht, schiebt er Chinas Staatschef Xi an den Pranger, der sich nun vermehrt rechtfertigen muss, warum er Russland weiterhin unterstützt.

Was also dürfte bleiben vom entspannten Geist Balis? Vorab muss man wohl sagen: wahrscheinlich nicht viel.

Die G20-Staaten treffen sich in einer stürmischen Zeit, in der die Gegensätze zwischen den Ländern so groß sind, dass politische Einigungen fast ausgeschlossen erscheinen. Und so wird es wohl ein Gipfel, bei dem ein gemeinsames Foto am Strand der Urlaubsinsel schon ein Triumph mit großer Symbolkraft wäre – vor allem, weil man Putin darauf nicht sähe.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche beim G20-Gipfel in Bali
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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