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Annalena Baerbock im Kurdengebiet: Die Teufelszange


Baerbock im Kurdengebiet
Es gibt ein Erdoğan-Problem

Von Patrick Diekmann, Erbil

Aktualisiert am 09.03.2023Lesedauer: 6 Min.
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Recep Tayip Erdoğan und Ali Chamenei: Die Türkei und Iran greifen die Kurden im Nordirak an.Vergrößern des Bildes
Recep Tayip Erdoğan und Ali Chamenei: Die Türkei und Iran greifen die Kurden im Nordirak an. (Quelle: imago images)

Die Türkei und Iran bekämpfen einen gemeinsamen Feind: die Kurden im Irak. Mittlerweile hat die türkische Armee Stützpunkte auf irakischem Boden. Erdoğans Manöver verbreiten Angst.

Eigentlich könnte die Region ein Leuchtturm sein, zumindest aus westlicher Perspektive. Erbil gilt als moderne Metropole im Mittleren Osten. Die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak ist zumindest äußerlich eine Oase des Wohlstands in einem Land, das die vergangenen Jahrzehnte von Krisen gebeutelt wurde: viele neue Gebäude, viel Glas, viele Brunnen und verhältnismäßig viel Grün. Lediglich der Leerstand vieler Bauten erinnert an das Platzen der Immobilienblase nach dem Einbruch der Ölpreise und dem Vormarsch der Terrormiliz IS im Jahr 2014.

In Gesprächen mit Kurdinnen und Kurden in der kurdischen Regionalhauptstadt wird vor allem eines klar: Einfach hatte es die kurdische Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten nie. Im Kampf für noch mehr Autonomie und ihren eigenen Staat Kurdistan werden sie weiterhin von Regionalmächten unterdrückt und angegriffen, die Sorge vor verschärften Angriffen aus der Türkei und Iran steigt.

Doch vor allem im Westen gibt es kaum noch öffentlich politische Proteste, wenn türkische und iranische Raketen kurdische Milizen ins Visier nehmen. Aber auch kurdische Parteien sind sich uneinig, wen sie für die Angriffe verurteilen sollen und wen nicht. Das sorgt in der kurdischen Bevölkerung zunehmend für Verbitterung.

Der mehrtägige Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak soll ein Zeichen der Solidarität sein – ein Zeichen, dass Deutschland die kurdische Führung in ihrem Bestreben, ihr demokratisches und diverses Gesellschaftssystem auszubauen, unterstützen möchte. Die Widerstände in der Region sind groß: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und das iranische Mullah-Regime möchten eben dieses System nicht gelingen lassen. Sie haben Angst vor der Vision eines Kurdistans – Furcht vor einem möglichen kurdischen Staat, der auch kurdisch-dominierte Gebiete in ihren Ländern beansprucht.

Dabei ist der Staat Kurdistan ein Luftschloss, denn unter den relevantesten kurdischen Parteien im Irak gibt es keine Einigkeit.

Baerbock: "Völlig inakzeptabel und gefährlich"

Die Türkei und Iran müssen im Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden in der Region nicht unbedingt zusammenarbeiten, das Ergebnis ist das gleiche. Die autonome Region Kurdistan wird in die Zange genommen – die Türkei greift im Norden an, die iranischen Revolutionsgarden im Osten. Während die türkische Armee Luftangriffe fliegt, schießt das iranische Regime Raketen angeblich auf kurdische Milizen, doch es sterben auch immer wieder Zivilisten.

Dabei ist ein Angriff auf kurdische Ziele eine Verletzung der Souveränität des Irak, schließlich ist Kurdistan ein Teil des Landes. Dafür kritisierte Baerbock bei ihrem Besuch in Bagdad am Dienstag das iranische Regime. Die Verletzung der irakischen Souveränität sei "völlig inakzeptabel und gefährlich", der iranischen Führung seien nicht nur Menschenleben gleichgültig, sondern auch die Stabilität in der Region.

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Die irakische Regierung dagegen lädt laut dem irakischen Außenminister Fuad Mohammed Hussein die Türkei und Iran zum Dialog ein, um die ständigen Souveränitätsverletzungen zu besprechen. Das ist vor allem eines: ein Zeichen der Schwäche.

Während die Türkei weiterhin Militärbasen auf irakischem Staatsgebiet baut, ist die irakische Führung im Prinzip machtlos. Im Umgang mit Iran ist der Irak dagegen unentschlossen. Die Mehrheit der schiitischen Parteien im irakischen Parlament ist pro-iranisch, und während die Zentralregierung in Bagdad schwach ist, haben die schiitischen Milizen großen Einfluss. Das liegt daran, dass sie durch ihre kriminellen Aktivitäten mittlerweile zu den größten Arbeitgebern im Land zählen. Diese Milizen sind mehrheitlich ebenfalls pro-iranisch eingestellt.

Zwiespalt der kurdischen Politik

In Kurdistan ist die herrschende Politik gespalten. Es gibt Streit zwischen der Demokratischen Partei Kurdistan (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Die KDP wird durch die Familie Barzani dominiert, kontrolliert den Raum um Erbil. Die PUK steht unter der Kontrolle der Talabani-Familie, die eine eigene Verwaltung in Sulaimaniyya im Osten Kurdistans aufgebaut hat. Die KDP steht der Türkei nah, die PUK dem iranischen Regime. Kurz gesagt: Kurdische Politik ist äußerst kompliziert.

Die Regionalmächte versuchen ihren politischen Einfluss auszubauen, Kurdistan ist ein Hotspot für den türkischen und den iranischen Geheimdienst. Für Baerbock macht das ihren Besuch nicht einfach. Am Mittwoch musste sie zunächst Nechirvan Barzani, Präsident der Region Kurdistan-Irak, zu Gesprächen aufsuchen. Danach fuhr sie zum stellvertretenden Ministerpräsidenten Qubad Talabani. Die Parteien der beiden konnten sich zuletzt nicht mal auf einen Wahltermin einigen – zum Schaden der Demokratie.

Besonders deutlich wird das Dilemma am Umgang mit den iranischen und türkischen Angriffen. "Wir sind gegen die Verletzung unserer Souveränität und gegen die Destabilisierung von Ländern", sagte Präsident Barzani auf der Pressekonferenz mit der deutschen Außenministerin am Mittwoch. Dabei "verurteilt" er die iranischen Drohnen- und Raketenangriffe, vermeidet allerdings Kritik an der türkischen Regierung.

Große Schuld trage ohnehin die kurdische Terrormiliz PKK. "Sie hat dazu beigetragen, dass es solche Angriffe gibt", so Barzani. "Die PKK sorgt im Namen der Kurden für Destabilisierung. Sie ist der Grund, warum 800 Dörfer in Kurdistan zerstört wurden."

Das zeigt vor allem eines: Zwar gibt es zwischen der irakischen Zentralregion und dem autonomen Kurdengebiet noch immer Streit – zum Beispiel um die Kontrolle der Region um Kirkuk oder um die Erlöse aus Gas- und Erdölgeschäften. Aber der größere Konflikt verläuft momentan zwischen den verschiedenen kurdischen Interessengruppen.

Türkei und Iran: Innenpolitische Interessen

Dabei hat die kurdische Einheitsregierung momentan Probleme genug. Die Türkei breitet sich im Norden weiter auf irakischem Staatsgebiet aus. "Als die Türkei das erste Mal in das Gebiet kam, stellten sie kleine tragbare Zelte auf, aber im Frühjahr errichteten sie Außenposten aus Ziegeln und Zement", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Abdulrahman Hussein Rashid, Bürgermeister des Dorfes Sararo. "Sie haben Drohnen und Kameras, die rund um die Uhr arbeiten. Sie wissen alles, was vor sich geht."

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Aber was möchten Erdoğan und das Mullah-Regime mit ihren Angriffen auf Kurdistan erreichen? Ein Überblick:

  • Für die Türkei steht offiziell der Kampf gegen die PKK im Vordergrund. Nach dem Anschlag in Istanbul vom 13. November mit sechs Toten gab die türkische Regierung der kurdischen Terrororganisation die Schuld, legte aber bisher keine Beweise dafür vor.
  • Erdoğan kämpft gegen ein großes autonomes kurdisches Gebiet in der Region und möchte ein militärisches Erstarken der PKK verhindern.
  • Doch die türkischen Angriffe haben wahrscheinlich auch innenpolitische Motive. Erdoğan möchte im Mai wiedergewählt werden und sein Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Aussichten für den türkischen Präsidenten sind nicht gut. Deshalb könnte er außenpolitische Konflikte suchen – oder gar eine Verschärfung des Krieges gegen kurdische Milizen. Erdoğan will damit Stimmen im nationalistischen Wählermilieu gewinnen.
  • Auch Teherans Angriffe auf Teile von Kurdistan folgen wahrscheinlich einer innenpolitischen Logik. Nachdem Mitte September die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war, löste das eine massive Protestwelle gegen das Regime aus. Die iranische Führung möchte nun Härte gegenüber möglichen Separatistengruppen demonstrieren.

Die Angriffe der Türkei und des Iran sind offenbar innenpolitisch motiviert. Auf der Strecke bleiben mal wieder die Kurdinnen und Kurden, die sich nicht nur iranischer und türkischer Angriffe erwehren müssen, sondern die kurdischen Peschmerga kämpfen auch weiterhin gegen Schläferzellen der Terrormiliz IS. Auch Bundeswehrsoldaten in Erbil bestätigen t-online, dass es entlang der Kontrolllinie, die Kurdistan vom restlichen Irak trennt, täglich zu Vorfällen kommt.

Es geht vor allem um Sicherheit

Neben dem Kampf gegen äußere Mächte ringt Kurdistan noch mit zahlreichen inneren Problemen. Dabei geht es um die Bewältigung der IS-Verbrechen und der daraus entstandenen Traumata. Darüber hinaus mangelt es weiterhin an Hilfe für die Angehörigen der jesidischen Minderheit. Diese wurden durch die Terrormiliz verfolgt, ermordet und vergewaltigt. Viele von ihnen leben noch heute in Flüchtlingscamps.

Dass nun Baerbock auf ihrer Reise längere Zeit in den Kurdengebieten unterwegs ist als im restlichen Irak, ist ein Zeichen dafür, dass Deutschland diese Probleme sieht. Deshalb verspricht die deutsche Außenministerin den irakischen Kurden am Mittwoch auch breite Unterstützung bei der Rückkehr der Geflüchteten. "Niemand möchte sein Leben lang in einem Camp leben", sagte die Grünen-Politikerin. "Deswegen ist es für uns wichtig, dass Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren können" und dass sie dort ein Leben in Würde führen könnten.

Baerbock möchte in Kurdistan aber vor allem für Geschlossenheit werben. Kräfte von außen und von innen versuchten, die Region "zu spalten, zu destabilisieren und gerade die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung damit zu konterkarieren", sagte sie mit Blick auf fortgesetzte Angriffe aus Iran und der Türkei im Nordirak sowie auf innerkurdische Konflikte. "Umso wichtiger ist es, dass alle Kräfte zusammenarbeiten, die für Sicherheit stehen." Nach vielen Jahren des Chaos ist es das, was die kurdische Bevölkerung vielleicht am dringendsten benötigt: Sicherheit. Aber die große Sicherheitsbedrohung – und das hört man auch bei den Menschen in Erbil oft – sei aktuell die Türkei.

Verwendete Quellen
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