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Aufregung um Polens Botschafter: Kriegseintritt oder "Sturm im Wasserglas"?


Aufregung um polnischen Botschafter
Kriegseintritt oder nur Sturm im Wasserglas?

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

Aktualisiert am 21.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Regierungschef Mateusz Morawiecki bei der Armee: Das Nato-Mitglied Polen sieht sich von Russland bedroht. (Quelle: IMAGO/Artur Widak)

Zieht Polen bei einer ukrainischen Niederlage in den Krieg gegen Russland? Aussagen des Botschafters in Frankreich sorgen für Aufregung.

Es war ein langes Interview, das Jan Emeryk Rościszewski am vergangenen Samstag im französischen Fernsehen gegeben hat. Fast eine halbe Stunde war der polnische Botschafter in der Nachrichtensendung des Senders LCI zu Gast. Es ging etwa um die kürzlich angekündigte Lieferung polnischer MiG-29-Jets an die Ukraine. Man versuche, ein Anwalt der Ukraine zu sein und dem Land alle Möglichkeiten zu geben, sich bestmöglich gegen Russland zu verteidigen, erläuterte der Botschafter. So weit, so normal.

Was von dem 27-minütigen Gespräch allerdings hängenblieb, sind 43 Sekunden, die der Nachrichtensender später auf seinem Twitterkanal teilte: Rościszewski spricht davon, dass die Aggression im Ukraine-Krieg von Russland ausgehe, dass das Land eine Invasion begonnen und ukrainische Kinder entführt habe. Dann fallen die Sätze, die nun für Aufmerksamkeit sorgen und sich aus dem Französischen sinngemäß so übersetzen lassen: "Entweder kann die Ukraine heute ihre Unabhängigkeit verteidigen. Wenn nicht [...] sind wir dazu verpflichtet, in diesen Konflikt hineinzugehen."

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Diese Aussage erhitzte schnell die Gemüter: Ein polnischer Botschafter, der von einem Kriegseintritt im Falle einer ukrainischen Niederlage spricht, überschreite definitiv seine Befugnisse und sollte seines Amtes enthoben werden, kritisierte etwa der linke Abgeordnete Maciej Gdula. Hat Rościszewski mit seinen Worten also tatsächlich einen diplomatischen Eklat ausgelöst und militärische Schritte Polens angekündigt?

"Völlig übertrieben"

"Mir erscheint die ganze Aufregung völlig übertrieben", sagte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit t-online. Der Botschafter habe lediglich ein Szenario beschrieben, das eintrete, falls die Ukraine den Krieg verliere und Polen das nächste Land wäre, das dann von Russland angegriffen werden könnte. "Es geht nicht darum, dass Polen als Nato-Land bald in den Krieg eintritt, sondern dass es nach einer Niederlage der Ukraine Nato-Frontstaat mit russischen Truppen auf der anderen Seite der Grenze würde. Das könnte dazu führen, dass Polen in den Krieg eintritt." Von diesem Szenario sei man aktuell allerdings weit entfernt.

Ähnlich sieht es auch Andreas Heinemann-Grüder vom Bonner International Centre for Conflict Studies: "Die Aussagen waren sicher unglücklich formuliert. Sie bedeuten aber nicht, dass Polen mit eigenen Truppen in den Krieg eintreten wird", sagte der Polen-Kenner t-online.

Dafür sei ohnehin eine Absprache mit den restlichen Nato-Staaten notwendig. Gelassen nahm auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in Polen, Radosław Fogiel, die Worte des Botschafters auf: "Ich weiß nicht, was das französische Wort für 'Sturm in einem Wasserglas' ist, aber genau damit haben wir es zu tun", sagte der Politiker der regierenden Partei PiS in der Sendung "Rzecz o Polityka".

Was wollte der Botschafter andeuten?

Doch wenn hier keine polnische Kriegsbeteiligung angedeutet wird, was war dann das Ziel von Rościszewskis Äußerungen? Heinemann-Grüder vermutet, dass die Sätze des Botschafters weder mit dem Büro des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki noch mit dem Außenministerium seines Landes abgesprochen waren. Doch gänzlich unüberlegt könnten sie auch nicht gefallen sein. "Möglicherweise ist es ein Indiz darauf, dass Polen nicht mit der westlichen Unterstützung der Ukraine zufrieden ist", mutmaßt der Politikwissenschaftler.

Möglicherweise habe Rościszewski damit andeuten wollen, was aus seiner Sicht im Extremfall passieren könnte, wenn die westlichen Staaten die Ukraine nicht mehr ausreichend militärisch unterstützen. Zuletzt hatte etwa Polen gemeinsam mit der Slowakei als erster westlicher Staat die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine verkündet. Weitere Staaten sind dem bisher nicht gefolgt:

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat deutsche Kampfjetlieferungen bisher kategorisch ausgeschlossen. Anders ist die Situation in Frankreich: Präsident Emmanuel Macron hatte Anfang Februar davon gesprochen, dass eine Unterstützung mit Kampfflugzeugen kurzfristig zwar kein Thema sei, er schloss sie aber auch nicht grundsätzlich aus. Möglicherweise wollte Rościszewski dafür sorgen, dass der Präsident darüber nachdenkt, sich an der Jet-Allianz zu beteiligen.

Botschaft unterstellen "bösen Willen"

Die Verwirrung um die Aussagen war allerdings so groß, dass die polnische Botschaft auf Twitter eine Einordnung veröffentlichte: Die Aussagen des Botschafters seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Es sei "böser Wille", seine Worte als möglichen Kriegseintritt zu interpretieren.

"Wenn man sich das Gespräch in seiner Gesamtheit anhört, wird deutlich, dass keine direkte Beteiligung Polens an dem Konflikt angekündigt wurde, sondern lediglich vor den Folgen gewarnt wurde, die ein Scheitern der Ukraine haben könnte: Die Möglichkeit, dass Russland weitere mitteleuropäische Länder – die baltischen Staaten und Polen – angreift oder in den Krieg hineinzieht", heißt es in der Mitteilung.

Aus Sicht der Botschaft seien die Formulierungen ohnehin nichts Neues: Vor einem solchen Szenario habe schon der mittlerweile verstorbene Ex-Präsident Lech Kaczyński gewarnt. Was genau damit gemeint ist, geht aus dem Tweet nicht hervor. Wahrscheinlich bezieht er sich auf eine Rede, die Kaczyński 2008 in Georgien gehalten hat: Während in dem Land ein Krieg gegen Russland tobte, war der polnische Präsident gemeinsam mit den Staatschefs der drei baltischen Staaten Lettland, Litauen, Estland und der Ukraine in die Hauptstadt Tiflis gereist.

"Unser Nachbar hat sein wahres Gesicht gezeigt. Es ist Russland, das sich seine Nachbarländer unterordnen will. Wir sagen dazu Nein!", sagte Kaczyński in seiner Rede und warnte davor, dass weitere Länder folgen könnten: "Heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und später vielleicht mein Land, Polen!"

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Heinemann-Grüder am 21. März 2023
  • Schriftliche Antwort von Stefan Meister am 21. März 2023
  • tf1info.fr: "Le 20H Darius Rochebin du samedi 18 mars" (französisch)
  • twitter.com: "Tweet von @PLenFrance" (polnisch)
  • twitter.com: "Tweet von @m_gdula" (polnisch)
  • rp.pl: "Polska ambasada we Francji: Ambasador mówi, że Polska nie jest w stanie wojny" (polnisch)
  • dw.com: "Meinung: Sichtbare Solidarität mit der Ukraine"
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