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Russland: Atomwaffen in Belarus stationiert – Putins plumpe Lüge


Putin stationiert Nuklearwaffen in Belarus
Der Schuss könnte nach hinten losgehen

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 27.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin in Moskau: Russland hat angekündigt, Atomwaffen in Belarus zu stationieren.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin in Moskau: Russland hat angekündigt, Atomwaffen in Belarus zu stationieren. (Quelle: Gavriil Grigorov/dpa)

Russland wird taktische Atomwaffen in Belarus stationieren. Damit dreht Wladimir Putin weiter an der nuklearen Eskalationsspirale. Was bedeutet seine Atomdrohung für Europa?

Es ist der nächste Einschüchterungsversuch gegen Europa und gegen die Nato. Wladimir Putin kündigte am Samstagabend an, bis zum Sommer Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen. Damit rücken russische Nuklearwaffen nun weiter an eine weitere Grenze der Europäischen Union und der Nato heran.

Nachdem der Kremlchef bereits die strategischen Nuklearwaffen im Zuge seines Angriffskrieges in der Ukraine in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hat, droht er nun dem Westen nun erneut. Putin möchte damit vor allem in Russland Stärke demonstrieren und gleichzeitig Panik im Westen auslösen. Dabei ist seine neueste Drohung vor allem eines: ein Bluff, der zeigt, dass Russland in der gegenwärtigen Lage nicht mehr viele Druckmittel geblieben sind. Es ist Putins letzte Karte, die er in Verhandlungen mit dem Westen auf den Tisch legen kann. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zu den Atomwaffen:

Was sind taktische Atomwaffen überhaupt?

Im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen haben taktische Nuklearraketen einen viel geringeren Zerstörungsradius. Strategische Waffen haben eine verheerende Wirkung, nach der Detonation solcher Bomben und Raketen bildet sich in der Regel ein Atompilz. Sie sind das Rückgrat der atomaren Abschreckung.

Taktische Atomwaffen dagegen haben zwar eine geringere Reichweite, sie beträgt aber immer noch mehrere Hundert Kilometer. Iskander-Raketen etwa haben lediglich eine Reichweite von bis zu 490 Kilometern. Mit dem Marschflugkörper AS-23 Kodiak wiederum könnte Russland Ziele in ganz Europa angreifen – seine Reichweite soll über 2.000 Kilometer betragen, und er wird von strategischen Bombern aus der Luft gestartet.

Und die Sprengkraft taktischer Atomwaffen kann immer noch enorm hoch ausfallen. Sie liegt zwischen 1 und 50 Kilotonnen TNT. Zum Vergleich: Die Bomben von Hiroshima und Nagasaki hatten eine Stärke von 15 beziehungsweise 21 Kilotonnen. Das Zerstörungspotenzial taktischer Waffen ist also immer noch sehr groß, und auch die Reichweite der tödlichen Strahlendosis ist mit einem Radius von bis zu 1.200 Metern beträchtlich.

Was plant Putin?

Putin gab am Samstagabend im russischen Staatsfernsehen bekannt, dass sich Russland und Belarus auf die Stationierung von taktischen Atomwaffen verständigt hätten. Mit dieser Verlegung nach Westen will Russland erstmals seit den Neunzigerjahren Nuklearwaffen außerhalb des eigenen Staatsgebiets bereithalten.

Die Abmachung zwischen Belarus und Russland verstoße laut Putin nicht gegen den internationalen Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Die Nuklearwaffen würden auch nicht Belarus überlassen, sondern lediglich dort vorgehalten. Die Ausbildung der belarusssichen Kräfte an den Waffensystemen solle am 3. April beginnen. Die Schächte für die mit atomaren Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Raketen sollen am 1. Juli fertig gebaut sein. Russland habe Belarus zuletzt schon beim Umbau von Flugzeugen geholfen, von denen nun zehn so ausgerüstet seien, dass sie ebenfalls taktische Nuklearwaffen abschießen könnten, so Putin.

Wie begründet Russland diesen Schritt?

Der russische Präsident nennt vor allem zwei Gründe, um die Ausweitung der nuklearen Bedrohung durch Russland zu legitimieren:

1. Großbritannien liefert mit Uran angereicherte Munition an die Ukraine. "Wir reagieren damit auf die britische Ankündigung. Es ist klar, dass das auch eine nukleare Technologie ist", so Putin.

2. Der Kremlchef verwies außerdem darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert hätten. "Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen", sagte Putin.

Hat Putin berechtigte Sicherheitsbedenken?

Nein. Putin lügt, um die Verlegung von Atomwaffen zu legitimieren und damit den Westen zu verunsichern. Mit Uran angereicherte Munition ist eine Kriegswaffe, die tödlich und vor allem gegen Panzerungen sehr effektiv ist.

Aber mit Nuklearwaffen hat das nichts zu tun, die Munition setzt keine Strahlung frei. Der Kremlchef setzt darauf, dass viele Menschen diesen Unterschied nicht erkennen. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Ausschusses Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission (SCHER) von 2010 gibt es "keine Hinweise auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken".

In der Tat haben die USA im Zuge der nuklearen Abschreckung schon lange Atombomben in mehreren europäischen Ländern stationiert. Expertenschätzungen zufolge sollen es insgesamt noch etwa 100 sein. Das ist Putin schon lange ein Dorn im Auge, aber selbst wenn die USA ihre Atomwaffen abzögen, würden die europäischen Länder entweder unter den französischen Schutzschirm gehen oder sich selbst atomar bewaffnen. An dem Sicherheitsempfinden für Russland, das selbst aus Kaliningrad mit Atomwaffen auf ganz Europa zielt, würde sich nichts ändern.

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Rückt durch Putins Ankündigung ein Atomkrieg näher?

Nein. Russland hatte auch schon vorher Atomwaffen in Reichweite aller europäischen Hauptstädte stationiert. Auch Raketen aus Kaliningrad würden Berlin schneller erreichen als Raketen, die aus Belarus abgeschossen würden.

Vielmehr ist das russisch-belarussische Abkommen als Einschüchterungsversuch des Ex-KGB-Mannes Putins zu verstehen, der genau weiß, wie er die öffentliche Meinung im Westen manipulieren kann. Zuvor ist der Kreml schon aus Verträgen zur atomaren Abrüstung – wie dem "New Start"-Vertrag – ausgestiegen. Somit könnte er in Zukunft eine mögliche atomare Abrüstung als Verhandlungsmasse auf den Tisch legen, sollte es zu Gesprächen über einen Frieden in der Ukraine kommen.

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Außerdem stationiert Russland nur zehn Flugzeuge in Belarus – ein Indiz dafür, dass es dem Kreml zunächst einmal um das politische Symbol geht. Auch die Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) sehen keine wachsende Gefahr eines möglichen Atomkrieges. Das Risiko bleibe "extrem niedrig". Schon bisher könne Russland mit seinen Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen, dafür brauche es seinen Verbündeten Belarus nicht, so die ISW-Analyse.

Klar: Eine Verbreitung von Atomwaffen ist immer gefährlich. Aber immerhin droht Russland nicht mehr mit dem Einsatz von Nuklearwaffen im Ukraine-Krieg. Das könnte damit zusammenhängen, dass China sich gegen solche Drohungen ausgesprochen hat. Und Putin ist extrem abhängig von der Gunst des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Wie reagiert der Westen?

Besonnen. Die Nato beobachtet die Situation "genau" und die USA machen keine Anzeichen, die Anzahl ihrer Atomwaffen in Europa auszuweiten. "Die Stationierung von Atomwaffen in Belarus soll den Westen einschüchtern, seine Waffenlieferungen für die ukrainischen Offensiven 2023 weiterzuführen", sagte der Politologe Maximilian Terhalle der Deutschen Presse-Agentur. "In erster Linie aber soll die Ankündigung davon ablenken, dass Putin zum Beispiel in Bachmut nicht den Fortschritt macht, den er zwingend braucht."

Der Politologe betonte: "Wie 2022 wird Putin auch 2023 keine Nuklearwaffen einsetzen, weil er dadurch seine wichtigste Waffe, die Einschüchterung, aus der Hand verlieren würde." Diese Einschätzung scheinen viele westliche Länder zu teilen. Für sie ist Putins Vorstoß vor allem eines: ein Einschüchterungsversuch.

Die Mitglieder der Europäischen Union betonen, dass Putins Drehen an der atomaren Eskalationsschraube unverantwortlich sei, und die Ukraine teilte mit, dass Russland das Nachbarland Belarus als "nukleare Geisel" benutze. International profitiert der Kremlchef nicht von dieser Entscheidung, zumal Länder wie Polen eigenes Interesse angemeldet haben, sich ebenfalls Atomwaffen zuzulegen. Auch dieser Schuss könnte für Putin nach hinten losgehen.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
  • nzz.ch: In Europa geht die Angst um, Putin könnte zu taktischen Atomwaffen greifen – doch wie würde ein solches Szenario aussehen?
  • stern.de: AS-23 Kodiak – mit diesen Marschflugkörpern greift Putin die Städte der Ukraine an
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