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Russische Anti-Kriegs-Aktivisten arbeiten trotz Repressionen – So gehen sie vor


Aktivisten in Russland
"Wir müssen maximal unsichtbar bleiben"


27.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Antikriegsdemos sind heute in Russland undenkbar. Wer sich öffentlich kritisch gegen Putin oder über die Armee äußert, riskiert bis zu 15 Jahre Haft. (Quelle: Alexander Zemlianichenko)

Während der russische Krieg in der Ukraine weitergeht, bleiben die Menschen in Russland vor allem eines: apathisch. Doch es gibt Widerstand. Eine Gruppe Aktivisten berichtet – und äußert Kritik am Westen.

Die Armee, sagt Katja, hätte helfen können, "sie hätte helfen müssen". Den Hunderten und Tausenden Menschen, die derzeit im russisch besetzten Gebiet am zerstörten Kachowka-Staudamm in der Südukraine auf der Flucht sind vor den Wassermassen. Stattdessen, sagt die junge Russin, hätten die Streitkräfte und die Behörden die Menschen sich selbst überlassen – im Wissen, dass sie ihre Häuser, ihr Hab und Gut verloren haben.

Katja, etwa Ende 20, dunkle Haare, ruhige, fokussierte Stimme, zählt zu den wenigen Antikriegsaktivistinnen und -aktivisten in Russland, die offen reden. Menschen wie sie sind schwer zu finden. Zu scharf sind die Repressionen, nur ein kritisches Wort zum Vorgehen der Armee kann zu mehrjährigen Haftstrafen führen. Demonstrationen sind in Russland undenkbar. Das hat Folgen. Die Gesellschaft ist überwiegend apolitisch und apathisch.

Katja aber berichtet an diesem Dienstag per Videoschalte aus Russland von ihrer Arbeit, mit dabei sind vier weitere Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen den Krieg engagieren. Konkret haben Katja und ihr Team, ein großer Verband wie sie sagt, schon etwa 20.000 Menschen aus der Ukraine bei der Flucht geholfen. Etliche, sagt sie, fliehen nach Russland, meist, um von dort das Weite zu suchen, oft in Europa.

Ihre Nachnamen nennen sie nicht, auch nicht ihren Aufenthaltsort

Organisiert hat das virtuelle Treffen die Deutsche Sacharow Gesellschaft und der YouTube-Kanal "Über Land und Welt". Die anderen Zugeschalteten sind Fluchthelfer, Beraterinnen für die LGBTQIA-Community (mehr dazu lesen Sie hier), Organisatoren politischer Diskussionen, um die Menschen in Russland für den Krieg zu sensibilisieren.

Ihre Nachnamen nennen sie nicht, auch über ihren exakten Aufenthaltsort erfahren die Journalistinnen und Journalisten nichts. Zu groß ist die Gefahr, zu riskant wäre es, wenn die wahre Identität der Aktivsten bekannt wird. Gemeinsam erzählen sie davon, wie es derzeit in Russland zugeht – und äußern dabei auch Kritik am Westen.

Jelena, etwas älter als Katja, gibt von sich preis, dass sie in St. Petersburg aktiv ist, will aber den Namen ihrer Organisation nicht öffentlich machen. Nur so viel sagt sie: Sie initiiert interkulturellen Austausch zwischen Antikriegsaktivisten in Russland und Europa. Mit Deutschland etwa gebe es langjährigen Kontakt. Aber: Etliche Länder hätten sich aus der Zusammenarbeit mit russischen NGOs zurückgezogen.

Als "unerwünscht" gebrandmarkt

Sie kritisiert: "Europa isoliert russische Aktivisten", humanitäre Visa gebe es zwar, sie würden an Russinnen und Russen ausgegeben, die nachwiesen, dass sie in Russland politisch verfolgt werden. "Aber einfache internationale Beziehungen funktionieren kaum mehr. Wir spüren die Solidarität hier nicht." Das liegt auch daran, dass ausländische Organisationen in Russland reihenweise als "unerwünscht" gebrandmarkt und verboten wurden. "Selbst mit Partnern, die wir seit Langem kennen, stockt der Kontakt", sagt Jelena.

Daria aus Kaliningrad erzählt von Hilfe für queere Menschen, die seit Gesetzesverschärfungen in Russland noch stärker verfolgt werden. "In erster Lesung wurde kürzlich ein Gesetz zur Verfolgung von trans Menschen einfach so in der Duma durchgewunken. Und wir sehen eine wachsende Zahl von Selbstmorden, weil sich die Menschen in einer ausweglosen Situation sehen. Deswegen ist es wichtig für uns, hier im Land zu bleiben."

Katja, die Fluchthelferin, berichtet von den Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms: Erst jetzt kämen die Menschen in großer Zahl an Grenzübergängen an. Immer wieder müsse sie mit ihrer Organisation bei Problemen mit Ukrainern an den Checkpoints auf russischer Seite vermitteln. Ein ukrainischer Mann sei zunächst problemlos auf die russisch besetzte Krim ausgereist, durfte dann aber die Krim nicht mehr verlassen: Plötzlich hieß es, sein Pass sei ungültig.

An der russischen Grenze zu Estland hingegen seien die estnischen Behörden sehr streng: "Die Esten schauen sich die Flüchtlinge, die aus Russland kommen, sehr genau an. Sie verdächtigen sie, Kollaborateure zu sein." Auch wenn sie aus der Ukraine geflüchtet seien und Russland nur kurzfristig als Transitland fungierte. Teils würden Menschen abgewiesen, weil sie "nicht wie Geflüchtete aussehen", ohne dass näher erklärt werde, was das bedeuten solle.

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Die zivilgesellschaftliche Arbeit in Russland wird also auch von vielen Kriegsthemen dominiert – und kann nur noch unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Pawel etwa, der im Namen von Bürgerinnen und Bürgern offizielle, juristisch ausformulierte Anfragen an Abgeordnete stellt, die innerhalb von 30 Tagen beantwortet werden müssen, betont: "Wir würden nie das Wort 'Krieg' schreiben, auch nie 'Front', wir nutzen die Begriffe der Behörden, das ist sicherer." In Russland ist immer noch offiziell nicht die Rede von Krieg in der Ukraine, sondern in der Regel von "Spezialoperation".

Eine Entwicklung, die sich nach dem Umsturz-Versuch des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin verschärften dürfte. "Das Risiko ist groß, dass jetzt Repressalien verstärkt werden", meint Katja. "Deshalb", sagt sie mit Nachdruck, "diskutieren wir absolut nicht über Politik. Auch wenn wir nicht neutral sind, müssen wir nach außen neutral erscheinen. Wir müssen maximal unsichtbar bleiben. Es ist klar, dass wir unter Beobachtung stehen."

Verwendete Quellen
  • Videotelefonat der Deutschen Sacharow Gesellschaft und des YouTube-Kanals "Über Land und Welt" am 27. Juni 2023 (russisch/deutsch)
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