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Klimakonferenz COP28: Ein Ölgigant soll das Klima retten


Pikante Personalie
Ein Ölgigant soll das Klima retten


29.11.2023Lesedauer: 5 Min.
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Sultan Ahmed al-Dschaber (Archivbild): Der Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc hat den Vorsitz der COP28 inne.Vergrößern des Bildes
Sultan Ahmed al-Dschaber (Archivbild): Der Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc hat den Vorsitz der COP28 inne. (Quelle: Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)

Die Welt muss raus aus Kohle, Öl und Gas – so lautet das eindeutige Urteil der Wissenschaft. Bei der COP28 müssten hierfür die Weichen gestellt werden. Das könnte jedoch an einer pikanten Personalie scheitern.

In Dubai steht die Weltklimakonferenz COP28 an. Vertreter aus aller Welt werden sich hier dem Thema des Klimaschutzes widmen. Die Wissenschaft warnt, es ist so dringend wie nie. Doch die Konferenz steht unter keinem guten Stern, seit Monaten hagelt es Kritik.

Das liegt auch an einer pikanten Personalie. Denn der am Donnerstag beginnende Klimagipfel wird dieses Mal ausgerichtet in Dubai, einem Teil der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Die Präsidentschaft wird Industrieminister Sultan Ahmed al-Dschaber übernehmen. Kann ausgerechnet er die Zeitenwende einleiten?

Daran gibt es zumindest Zweifel. Denn al-Dschaber ist nicht nur Industrieminister, sondern auch Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc (Abu Dhabi National Oil Company). Und der ist mächtig: Die fossile Industrie hat die Emirate reich gemacht, der Konzern Adnoc ist der zwölftgrößte Ölkonzern der Welt. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) belegen weltweit Platz sieben bei der Öl- und Platz 14 bei der Gasproduktion.

Klimagipfel im Ölstaat

Erst im Oktober hat eben dieser Staatskonzern angekündigt, seine Erdgasförderung zu erhöhen. Unter anderem sollen zwei neue Offshore-Erdgasfelder vor der Küste der VAE erschlossen werden. Außerdem will der Konzern bis 2027 deutlich mehr Öl fördern.

Nicht nur deswegen sprachen sich bereits im Mai 130 Politiker aus Europa und den USA für eine Absetzung von al-Dschaber aus. Ihre Befürchtung: Die Ölindustrie könnte Einfluss auf die Verhandlungen der Klimakonferenz COP28 nehmen. Der Brief wurde an die Vereinten Nationen, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden adressiert.

Auch Hunderte Klimaschutzorganisationen forderten al-Dschabers Rücktritt – entweder von seinem Posten bei Adnoc oder vom Vorsitz der COP28. Als trojanisches Pferd bezeichnen ihn seine Kritiker. Al-Dschaber aber erwiderte: "Die Leute, die mir einen Interessenkonflikt vorwerfen, kennen meinen Werdegang nicht. Ich bin jemand, der sich während des Großteils seiner Karriere mit Nachhaltigkeit beschäftigt hat." Tatsächlich gründete al-Dschaber 2006 unter dem Namen Masdar den Staatskonzern für erneuerbare Energien.

Klimagipfel oder Geschäftstreffen?

Ist al-Dschaber also tatsächlich ein Vorreiter für erneuerbare Energien, als der er sich gern inszeniert? Kurz vor dem Start des diesjährigen Klimagipfels bringt eine Recherche des britischen Senders BBC al-Dschaber weiter in Bedrängnis. Dem Medium liegen durchgesickerte Dokumente vor, die belegen sollen, dass die VAE ihren Vorsitz der COP28 genutzt hat, um Öl- und Gasabkommen abzuschließen. Die Dokumente enthalten Pläne für Gespräche mit 15 Nationen. Alle drehen sich um Verträge für fossile Brennstoffe. Es sollen auch Treffen für kommerzielle Projekte mit dem staatlichen Konzern Masdar vorbereitet worden sein. Gastgeber aller Treffen: al-Dschaber.

Ein Sprecher der COP28-Konferenz bezeichnete die Dokumente als "fehlerhaft" und "ungeprüft". Die BBC beruft sich in ihrem Bericht auf Dokumente, die dem Rechercheverbund Centre for Climate Reporting (CCR) von einem Informanten zugespielt worden seien. Es handelt sich demnach um 150 Seiten, die zur Vorbereitung von Treffen al-Dschabers zwischen Juli und Oktober genutzt worden seien. Das CCR habe deren Echtheit geprüft.

Verhalten des COP28-Chefs "völlig inakzeptabel"

"Dies ist natürlich ein klarer Verstoß gegen das erwartete Verhalten einer COP-Präsidentschaft und als solche völlig inakzeptabel", sagte Petter Lydén, Bereichsleiter für Internationale Klimapolitik bei der NGO Germanwatch, zu t-online. "Als COP28-Gastgeber dürfen die VAE nicht den Interessen der fossilen Brennstoffindustrie verpflichtet sein, sondern müssen als Vermittler auftreten."

Doch dass Lobbyisten Konferenzen wie den Klimagipfel für sich zu nutzen wissen, ist kein Geheimnis. Zuletzt ging etwa die UN-Konferenz zu einem Plastikabkommen erfolglos zu Ende. Erdölförderländer wie der Iran und Saudi-Arabien hätten ein Abkommen absichtlich blockiert, so der Vorwurf von NGOs und Beobachtern. Bereits zuvor war ein zu starker Einfluss von Lobbyisten kritisiert worden.

Das 1,5-Grad-Ziel

Die Weltgemeinschaft hatte sich 2015 bei der Klimakonferenz in Paris darauf geeinigt, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad, auf jeden Fall aber auf 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die 1,5 Grad gelten dabei als Grenze, um die sich schon jetzt verschärfenden Naturkatastrophen infolge der Klimakrise – zum Beispiel Dürren, Hitzewellen oder Überschwemmungen – in einem Rahmen zu halten, der von der Menschheit bewältigt werden kann.

Die Erwartungen an den Klimagipfel sind hoch. Auf der Agenda steht unter anderem, den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zu beschließen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) – die seit ihrer Übernahme im Auswärtigen Amt auch für internationale Klimapolitik zuständig ist – erklärte unmissverständlich, "dass wir rausmüssen aus den fossilen Energien".

Al-Dschaber bekannte sich zuletzt zwar dazu, dass ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern "unvermeidlich" sei. Bei der Eröffnung der Nahost- und Nordafrika-Klimawoche Anfang Oktober sagte er aber auch, dass eine sofortige Umstellung auf klimaneutrale Technologien eine "Fantasie" sei.

Präsident des Klimagipfels setzt auf unausgereifte Technologie

Der Ölchef will also sein Geschäft nicht abschreiben – so der Eindruck. Bekannt ist: Al-Dschaber setzt neben dem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien auch auf Technologien wie E-Fuels oder das sogenannte CCS ("Carbon Capture and Storage"). Solche Anlagen sollen CO2 binden und einlagern, teils auch bereits ausgestoßene Emissionen wieder aus der Luft holen. Auch in der Energiestrategie der VAE sind die CCS eine der tragenden Säulen.

Entsprechende Anlagen existieren bereits – allerdings ist die Technologie weit davon entfernt, so massentauglich zu sein, wie es in einer Zukunft nach al-Dschabers Vision gebraucht werden würde. Und Experten zweifeln, dass sie dieses Ausmaß überhaupt jemals erreichen wird. Der Weltklimarat ebenso wie die Bundesregierung setzen lediglich für unvermeidbare Restemissionen auf das Einfangen von CO2.

Die ehemalige UN-Klimachefin Christiana Figueres sagte dem "Guardian" dazu: "Wir verfügen nicht über CCS, das in den nächsten fünf bis sieben Jahren kommerziell verfügbar und rentabel ist. Es wird einfach nicht passieren. Wir haben hier neben einer moralischen Frage auch eine Frage des Timing."

Forscher sehen Ablenkungsstrategie

Auch Klimawissenschaftler und -wissenschaftlerinnen warnen. Sie sehen den Kurs von al-Dschaber als Ablenkungsstrategie, die lediglich dazu diene, die fossile Industrie am Leben zu erhalten, heißt es in der Analyse der Internetseite "Climate Action Tracker" (CAT), die internationale Klimapolitik wissenschaftlich einordnet.

Video | "Dann werden wir den Wohlstand verlieren"
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Quelle: t-online
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In der Länderbilanz des CAT wird die Klimapolitik der VAE mittlerweile als unzureichend eingestuft, bis zur Neubewertung im Juli galt sie noch als sehr unzureichend. Die Verbesserung ist darauf zurückzuführen, dass die VAE eine neue Energiestrategie bis 2050 vorgelegt haben, mit Investitionen in erneuerbare Energien und einem Ausstieg aus der Kohleverstromung. Bis zum Jahr 2050 wollen die Emirate nun ihre Nettoemissionen auf null herunterfahren.

Der CAT geht allerdings davon aus, dass die VAE ihre selbst gesetzten Ziele weit verfehlen werden. Dafür reiche die Energiestrategie nicht aus, es brauche weitere Maßnahmen, so die Experten. Sie sind sich sicher: Würden alle Staaten so handeln, wie es die VAE in ihrer neuen Energiestrategie vorsehen, würde die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zwischen 3 und 4 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter liegen.

Die Uhr tickt

Die VAE werden sich damit in eine Vielzahl von Staaten einreihen, die vermutlich hinter ihren gesetzten Zielen zurückbleiben werden. Das 1,5-Grad-Ziel ist bereits jetzt quasi unerreichbar, da sind sich Forschende mittlerweile einig.

Eine Begrenzung auf 2 Grad könnte hingegen noch eingehalten werden. Allerdings wären auch hierfür massive Einsparungen bei den Emissionen notwendig. Ein erfolgreicher Klimagipfel erscheint also wichtiger denn je. "Dies ist die folgenreichste COP seit Paris", sagte auch der Vorsitzende al-Dschaber zuletzt. Ob er das ernst meint, muss er nun beweisen.

Verwendete Quellen
  • zdf.de: "Klimadialog: Konflikte in Dubai absehbar"
  • climateactiontracker.org: "RELEASE: COP28 must focus on oil and gas phase-out, not distractions like CCS" (Englisch)
  • climateactiontracker.org: ""UAE" (Englisch)
  • theguardian.com: "Countries have not yet agreed to put fossil fuel phase-out on Cop28 agenda" (Englisch)
  • reuters.com: "COP28 president says fossil fuels phasedown is inevitable" (Englisch)
  • ipcc.ch: "AR6 Synthesis Report: Climate Change 2023" (Englisch)
  • de.euronews.com: "COP28-Präsident in der Kritik: Ahmed Al Jabers Absetzung gefordert"
  • kurier.at: "COP28-Präsident weist sofortige Energiewende als "Fantasien" zurück"
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • bbc.com: "COP28: UAE planned to use climate talks to make oil deals" (Englisch)
  • sueddeutsche.de: "1,5 Grad Erwärmung sind praktisch besiegelt"
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