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NATO-Jubiläum: Dieses Gerede ist unerträglich


Nato-Jubiläum
Dieses Gerede ist unerträglich

MeinungVon Patrick Diekmann

07.04.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine eine Zeitenwende in Deutschland angekündigt: Doch die Umsetzung läuft bislang eher langsam.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine eine "Zeitenwende" in Deutschland angekündigt: Doch die Umsetzung läuft bisher eher langsam. (Quelle: Marijan Murat/dpa)

Wladimir Putin hat mit seinem Angriffskrieg der Nato eine neue Existenzberechtigung gegeben. Doch während Russland die Ukraine langsam erdrückt, diskutiert der Westen über Macht und Geld. Ein Armutszeugnis.

Die Nato müsste eigentlich ein Schleudertrauma haben, so oft wurde sie in den vergangenen Jahrzehnten durchgeschüttelt. In dieser Zeit suchte sie oft nach einer neuen Bestimmung, nur mit mäßigem Erfolg. 2019 wurde sie vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron als "hirntot" bezeichnet, und der ehemalige US-Präsident Donald Trump wollte sie in seiner Amtszeit gar aus Kostengründen sprengen. Doch nun sollte die Kurssuche eigentlich vorbei sein.

Denn Kremlchef Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine schlug auch im Bündnis selbst ein wie eine Bombe. Mit diesem Krieg können viele westliche Gesellschaften noch immer nicht umgehen. Viele Jahre ging es nur um wachsenden Wohlstand auf dem Kontinent. Frieden und Sicherheit nahmen die Menschen als gegeben hin. Soldaten, Waffen und Armeen waren in einer Schmuddelecke.

Es war eine gute Zeit des Friedens, aber wegen Putin und seinem Krieg ist das nun vorbei. Leider. Nicht nur die deutsche Bevölkerung muss aufwachen, sich mental auf die neue Bedrohungslage einstellen. Auch die Nato ist bislang noch nicht aus ihrem Winterschlaf erwacht. Im Gegenteil: Der westliche Riese betrachtet den Krieg in der Ukraine noch immer im Schlafanzug. Er ist noch immer mit inneren Zankereien beschäftigt, obwohl mitten in Europa ein Krieg tobt.

Die Nato ist ein Rahmen, der gefüllt werden muss

Eines ist klar: Die Nato ist immer nur so stark wie die Summe ihrer Teile. Sie ist ein verteidigungspolitischer Rahmen, der gemeinschaftlich von den Regierungen seiner Mitglieder mit Inhalten gefüllt wird. Kritiker sehen in der Nato hingegen einen Kriegstreiber. Das aber ist Unsinn. Die Nato selbst trifft keine Entscheidungen, das machen die jeweiligen Regierungen ihrer Mitglieder gemeinsam. Es liegt also an der aktuellen Politik, wie sie die Nato gestaltet.

Nur an einer Sache darf nicht gerüttelt werden: an der Beistandspflicht. Sie ist das grundlegende Fundament, auf dem die Nato steht. Kleinere Staaten müssen sich auch künftig darauf verlassen können, dass sie im Ernstfall Hilfe vom Bündnis bekommen. Ohne diesen Aspekt bräuchte es die Nato nicht.

Deswegen ist die Empörung zu Recht groß, wenn Donald Trump diese Beistandspflicht infrage stellt. Unverantwortlich in einer Zeit, in der die Nato sich mit der russischen Bedrohung auseinandersetzen und sich schnellstmöglich an diese Lage anpassen muss. Trump ist aber nur ein Symptom eines viel größeren Problems für die Nato: Das Verteidigungsbündnis ist zu einem Instrument für einige Mitgliedsstaaten geworden, um machtpolitische Ziele durchzusetzen.

Sicherheit in Europa hat oberste Priorität

Trump geht es vor allem um Geld. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan blockierte den Nato-Betritt von Schweden, um Kampfflugzeuge zu bekommen. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mischt mit, um einen für Ungarn möglichst guten Deal zu erpressen. Dieses Gerede über Geld und Einfluss ist im Angesicht der aktuellen Sicherheitslage in Europa unerträglich.

Sicherheit in Europa. Darum muss es der Nato doch gehen. Es steht auch außer Frage, dass Länder wie Schweden eben diese Sicherheit stärken, und es ist ein Armutszeugnis, dass das Land über ein Jahr um seinen Betritt betteln musste. Länder, die diese Notwendigkeit nicht verstehen, haben in einem Bündnis nichts verloren. Es ist nicht die Zeit für plumpen Egoismus, nicht die Zeit für politische Kindergartenspiele.

Stattdessen sollte das 75-jährige Bestehen der Nato in dieser Woche auch für eine Kursbestimmung genutzt werden. Vor allem im Umgang mit Russland braucht es einen Strang und eine geschlossene Nato, die daran zieht. Denn es gibt zahlreiche Probleme, die das Bündnis anpacken muss – und das möglichst schnell.

Ukraine zahlt den Preis für die westliche Schlafmützigkeit

Angefangen bei der Unterstützung der Ukraine. Die Finanzierung und militärische Ausrüstung des Verteidigungskampfes der ukrainischen Armee sollte langfristig gesichert werden. Alle paar Monate diskutiert das Bündnis wieder und wieder über neue Hilfspakete, weil der Ukraine wahlweise Munition oder das Geld ausgeht. Das ist nicht nur ungeheuer zermürbend. Es kostet auch Zeit, die die Ukraine nicht hat.

Die westlichen Unterstützer der Ukraine bewegen sich noch immer schläfrig durch diesen Krieg und könnten Putin damit zum Sieg verhelfen. Das darf nicht sein. Auch die Nato braucht eine Zeitenwende, die sich nicht nur an Worten, sondern auch an Taten misst. Wie lange reden Experten und Politiker darüber, dass in der Ukraine ein Abnutzungskrieg tobt? Seit dem Sommer 2022.

Trotzdem warten Rüstungsunternehmen in Europa noch immer auf Abnahmegarantien, um ihre Produktion hochfahren zu können. Dass ukrainische Soldaten nun ohne Munition in den Schützengräben liegen, ist Sinnbild eines kläglichen Versagens des Westens. Es dauert alles viel zu lange.

Weitreichende Beschlüsse sollen allerdings erst auf dem Nato-Gipfel im Juli beschlossen werden, um bei dem Jubiläumsgipfel in den USA auch etwas Großes verkünden zu können. Das alles klingt wie ein schlechter Scherz, für den die Ukraine augenblicklich den Preis zahlt. Vielmehr muss es nun darum gehen, ein Bewusstsein für die neue Bedrohungslage zu entwickeln. Vieles muss in Zukunft schneller laufen als aktuell, mit größerer Konsequenz und Ernsthaftigkeit. Deswegen ist es auch richtig, dass sich an der Spitze der Nato in diesem Jahr etwas verändern wird.

Generalsekretär Jens Stoltenberg war als Mediator gut für das Verteidigungsbündnis, er träumt allerdings schon lange von seinem neuen Job als Chef der norwegischen Zentralbank. Ihm ist viel zu verdanken, doch auf seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin wartet nun die große Aufgabe, den Weg des Bündnisses in die neue, unsichere Zeit zu gestalten und mit Leben zu füllen. Er oder sie muss wahrlich zu einem Symbol der Zeitenwende werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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