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Iran-Israel-Konflikt: "Das hat den Menschen Angst gemacht


Interview mit israelischem Reiseleiter
"Man kann all das nicht voneinander trennen"

InterviewVon Levent Constabel

20.04.2024Lesedauer: 5 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 0445070920Vergrößern des Bildes
Ein israelisches gepanzertes Fahrzeug (Symbolbild): Beobachter befürchten eine weitere Eskalation im Nahen Osten. (Quelle: IMAGO/Itai Ron)

Wie erlebt die Zivilbevölkerung in Israel die Spannungen in der Region? Ein Reiseleiter aus Israel äußert große Sorgen.

Nach dem mutmaßlichen israelischen Angriff auf den Iran am frühen Freitagmorgen ist noch immer wenig über das tatsächliche Ausmaß des Vorfalles bekannt. Beide Seiten üben sich in Beschwichtigung und wollen den Angriff nicht offiziell bestätigen.

In der israelischen Gesellschaft sorgt dies für ein Gefühl der Verunsicherung, sagt der israelische Reiseleiter Uriel Kashi. Auch der ausbleibende Tourismus wegen der angespannten Lage mache dem Land zu schaffen. t-online erreicht ihn in Jerusalem.

t-online: Herr Kashi, wie haben Sie den mutmaßlichen israelischen Angriff auf den Iran wahrgenommen?

Uriel Kashi: Ich habe über den Angriff von ausländischen Medien erfahren; wir haben keine direkte Stellungnahme von unserer Regierung erhalten. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht, wie viele Drohnen, Raketen oder Sonstiges auf den Iran abgefeuert wurden oder welchen Schaden sie angerichtet haben.

Wie ist die Stimmung in der israelischen Bevölkerung?

Wir wissen nicht, was der nächste Tag bringt. Wir wissen nicht, ob die Situation weiter eskalieren wird oder ob sie sich eventuell beruhigt. Insgesamt spüre ich eine große Verunsicherung in der israelischen Bevölkerung.

Schlägt diese Verunsicherung teilweise auch in Angst um?

Es gibt auch Angst, da der Angriff des Iran auf Israel (am 14. April, Anm. d. Red.) für viele überraschend kam. Zwar sind wir es schon gewohnt, dass der Iran über seine Stellvertreter – etwa die Hisbollah im Süden des Libanon oder die Huthi-Rebellen im Jemen – Druck auf Israel ausübt. Aber ein direktes Vorgehen des Iran war so nicht erwartbar. Das hat den Menschen Angst gemacht.

Gleichzeitig ist der iranische Angriff vergleichsweise glimpflich verlaufen. Auch dank vieler unserer Koalitionspartner wie den USA oder Frankreich, aber auch einigen pragmatischen arabischen Nationen in der Region. Die Frage ist nun, ob diese Unterstützung anhält und unsere Regierung hinsichtlich des Iran klug agiert.

(Quelle: Uriel Kashi (privat) )

Zur Person

Uriel Kashi ist Reiseleiter in Israel und hält zur Zeit Vorträge zur aktuellen politischen Situation im Nahen Osten. Weitere Information zu ihm finden Sie auf seiner Website.

Waren Sie denn auch überrascht über den mutmaßlichen Angriff Israels auf den Iran?

Es wurde zum Teil über einen etwaigen Cyberangriff auf sensible Infrastruktur des Iran spekuliert oder über Angriffe auf Stellvertreter-Organisationen des Iran. Dass Israel den Iran am Ende direkt angegriffen hat, hat mich dann doch überrascht. Jedoch ist zum jetzigen Zeitpunkt zu wenig über den mutmaßlichen Angriff bekannt, um sich näher dazu zu äußern.

Israel hat sich bislang nicht öffentlich zu dem mutmaßlichen Angriff bekannt. Fördert dies womöglich das Gefühl der Verunsicherung in der israelischen Bevölkerung?

Wenn unsere Regierung klug ist, wird sie sich nicht offiziell zu diesem Angriff bekennen. Somit kann verhindert werden, den Iran zu einem Gegenschlag zu nötigen. Jedoch ist auch klar, dass ein direkter Konflikt zwischen Israel und dem Iran unausweichlich ist – davon geht auch die breite Masse der israelischen Bevölkerung aus.

Ob dieser Konflikt schon heute ausgetragen werden muss, ist eine andere Frage. Klar ist: Wir müssen uns mit der existenziellen Bedrohung Israels, die vom Iran ausgeht, früher oder später auseinandersetzen. Daran führt kein Weg vorbei.

Inwieweit hängen die verschiedenen Spannungen im Nahen Osten – die Situation in Gaza oder die Huthi-Rebellen im Jemen – zusammen?

All diese verschiedenen Schauplätze sind eng miteinander verwoben. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 war letztendlich ein Angriff einer islamischen Achse des Widerstands des Iran gegen Israel. Auch wenn der Iran wahrscheinlich nicht über das genaue Datum des Angriffes Bescheid wusste, steht fest, dass es der Iran ist, der die Hamas über Jahre finanziell und militärisch unterstützt hat.

Auch die Hisbollah im Süden des Libanon erhält vom Iran jährlich absurde Summen; genau wie die Huthi im Jemen. Man kann all das nicht voneinander trennen. Das sind keine einzelnen Entitäten, sondern eine Achse – und der Iran ist das Gehirn dieser Achse.

Die israelische Regierung und besonders Ministerpräsident Netanjahu werden zunehmend kritisch betrachtet. Steht die israelische Bevölkerung dennoch hinter dem mutmaßlichen Angriff Israels auf den Iran?

Das stimmt, Netanjahu ist extrem unbeliebt – nur noch 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung stehen laut Umfragen hinter ihm. Dennoch war es unstreitig, dass es nach dem iranischen Angriff am 14. April eine Art Reaktion Israels geben muss. Hätte die israelische Regierung überhaupt nicht reagiert, wäre dies als Schwäche interpretiert worden.

Im Nahen Osten gilt die Logik der Abschreckung: Jedes Land versucht, die anderen abzuschrecken und so einer Eskalation vorzubeugen. Dadurch entsteht auch eine Art Stabilität und Berechenbarkeit. Durch den Angriff sollte diese Abschreckung wiederhergestellt worden sein; gleichzeitig ist es noch zu früh, um abschließend beurteilen zu können, wie die israelische Bevölkerung über den mutmaßlichen Angriff denkt.

Wie bewerten Sie die Tatsache, dass der Iran Israel bislang nicht offiziell für den mutmaßlichen Angriff verantwortlich gemacht hat?

Ich glaube, dass der Iran Israel für diesen Angriff nicht offiziell verantwortlich gemacht hat, um den Konflikt nicht weiter zu eskalieren. Somit verschafft sich der Iran auch Zeit, in Ruhe an seinem Atomprogramm weiterarbeiten zu können. Eine weitreichendere Konfrontation mit Israel wäre aus iranischer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt unklug.

Könnte es in der Zukunft zu einer nuklearen Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran kommen?

Nuklearmacht zu sein, bedeutet für den Iran in erster Linie eine Lebensversicherung. Wir sehen ein Regime, das zunehmend unpopulärer wird. Das sehen Sie beispielsweise an den Studentenprotesten in iranischen Großstädten. Auch die wirtschaftliche Situation ist katastrophal. Das Mullah-Regime kann sich nur durch Repressionen gegen die eigene Bevölkerung an der Macht halten. Durch Atomwaffen gäbe es Schutz vor Interventionen ausländischer Mächte in den Iran – etwa so wie bei Nordkorea.

Experten gehen davon aus, dass der Iran noch etwa sechs Monate brauchen wird bis zum ersten nuklearen Sprengkopf. Ich denke, dass der Iran seine Atomwaffen dann primär zu Verhandlungszwecken einsetzen wird – eine Mischung zwischen Diplomatie und harten Fakten.

Sie sind als Touristenführer tätig. Wie sehr trifft Sie die derzeitige Lage in und um Israel? Lufthansa hat etwa seine Flüge nach Israel vorerst ausgesetzt.

Das ist eine riesige Katastrophe. Ich hatte seit dem 7. Oktober nur noch drei Reisegruppen, die ich begleiten durfte. Wir hatten vor Kurzem Ostern, eine Zeit, in der wir üblicherweise Zehntausende Touristen erwarten. Durch den ausbleibenden Tourismus leiden viele Branchen, wie die Gastronomie oder Hotels, aber auch Busfahrer. Insgesamt ist die derzeitige Situation für viele Menschen schlimm.

Herr Kashi, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Uriel Kashi
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