t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAuslandInternationale Politik

Journalist kritisiert Günther Jauch für Kalte-Krieg-Rhetorik


"Müssen wir uns vor Russland fürchten?"
Journalist kritisiert Jauch für Kalte-Krieg-Rhetorik

t-online, Tanja Zech

Aktualisiert am 17.11.2014Lesedauer: 4 Min.
Journalist Hubert Seipel im Talk bei Günther Jauch: In der Diskussion zu "Problem-Präsident" Wladimir Putin wurden einmal mehr die bekannten Positionen ausgetauscht.Vergrößern des BildesJournalist Hubert Seipel im Talk bei Günther Jauch: In der Diskussion zu "Problem-Präsident" Wladimir Putin wurden einmal mehr die bekannten Positionen ausgetauscht. (Quelle: imago-images-bilder)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Jetzt spricht Putin! Nach dem Interview, das die ARD seit Tagen als Coup feiert, sah sich der NDR-Journalist Hubert Seipel bei Günther Jauch erst einmal genötigt, den Verdacht eines mutmaßlichen Putin-Verstehers abzustreifen.

Gereizt reagierte Seipel auf Jauchs Anmoderation aus dem Phrasen-Fundus des Kalten Krieges - "dieser Mann hält die Welt in Atem" und "müssen wir uns vor Russland fürchten?" Die Zuschauer mussten ein weiteres politpsychologisches Quartett über den "Problem-Präsidenten" Wladimir Putin fürchten. Aber das Einschalten hat sich gelohnt, um Putin direkt zu hören und sich ein eigenes Bild von seiner Argumentation und Rhetorik zu machen.

Das rund 20-minütige Interview wurde in der Jauch-Talkshow erstmals in voller Länge ausgestrahlt. Seipel hatte den Präsidenten vergangenen Donnerstag im russischen Wladiwostok getroffen.

Die anschließende Talkrunde mit Verteidigungsministern Ursula von der Leyen, der früheren Moskau-Korrespondentin Sonia Seymour Mikich, dem Historiker Heinrich August Winkler und Hubert Seipel war kaum mehr als ein Austausch bekannter Positionen: Der Westen kann die Ukraine-Krise nicht mit militärischen Mitteln lösen und setzt Russland gegenüber weiterhin auf Zuckerbrot (Verhandlung) und Peitsche (Sanktionen). Und Putin bleibt unnachgiebig.

Wirklich? Am Ende des Interviews hielt Putin seinerseits den Deutschen einen Krümel Zucker hin.

Putin: "In keinster Weise gegen das Völkerrecht verstoßen"

Im Gespräch mit Seipel kritisiert der russische Präsident die Rolle des Westens beim Machtwechsel in der Ukraine und rechtfertigt Russlands Eingreifen im Nachbarland und die Annektierung der Krim: "Ich bin fest überzeugt, dass Russland gegen das Völkerrecht in keinster Weise verstoßen hat." Nach seiner Auffassung ist das Referendum auf der Krim mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gleichzusetzen.

In seiner Rechtfertigungstaktik gibt sich Putin als Fürsprecher von echter Demokratie und Föderalismus in der Ukraine, und er schöpft propagandistisch effektvoll das Vokabular des Schreckens aus: Die Ukraine sei ein großes europäisches Land mit großer europäischer Kultur. Aber nun drohe es in Richtung Neonazismus abzudriften, behauptet er. "Wir haben Angst, dass dort ethnische Säuberungen durchgeführt werden könnten." Dies kommentiert von der Leyen als "abenteuerliche Behauptung."

Russland werde nicht zulassen, dass die ukrainische Führung sämtliche politischen Gegner und Widersacher vernichte, drohte Putin. Ob Russland Waffen an die Separatisten liefert, ließ er offen. Dafür prangerte er massive Militäreinsätze der ukrainischen Armee in den abtrünnigen Gebieten im Südosten an. "Aber wird das erwähnt? Mit keinem Wort."

Die einseitige Wahrnehmung des Konflikts ist ein Vorwurf, den Beobachter mit westlicher Brille allerdings nicht zu weit von sich weisen sollten. Nichtsdestotrotz ist die Ukraine ein souveräner Staat mit einem Recht auf territoriale Integrität. Deren Verletzung durch Russland wurde in der Talkrunde allerdings nicht weiter kommentiert.

Putin: Die Sanktionen schaden auch der Ukraine

Die von der EU und den USA verhängten Sanktionen gegen Russland kritisiert der Präsident als unangemessen und kurzsichtig, insbesondere Pläne, das Land noch weiter von den internationalen Finanzmärkten abzuschneiden. "Überlegen sie überhaupt, was sie tun? Brechen die russischen Banken zusammen, wird auch die Ukraine zusammenbrechen." Deren Wirtschaft hänge durch zahlreiche Kreditverträge am Tropf des mächtigen Nachbarn im Osten.

Das Trauma des enttäuschten Vertrauens

Aber warum stecken wir rund 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder in einem Ost-West-Konflikt? Putin benannte den wunden Punkt der einstigen Weltmacht Russland: Die Ost-Erweiterung der Nato entgegen anderslautender Beteuerungen, die wachsende Zahl an US-, beziehungsweise Nato-Stützpunkten, Manöver und Einsatz von Spezialkräften vor der Haustür Russlands. "Das ändert die geopolitische Lage enorm."

Verteidigungsministerin von der Leyen hält dagegen, dass die osteuropäischen Länder der Nato nicht unter Zwang beigetreten seien.

Putins tiefes Misstrauen gilt auch dem EU-Assoziierungsvertrag für die Ukraine, an dem sich die Krise entzündet hatte, nachdem der inzwischen gestürzte Präsident Janukowitsch die Unterzeichnung im letzten Moment verweigert hatte. In der Wirtschaft passiere das gleiche wie in der Politik. Das eine werde gesagt, das andere getan. Putin kritisiert politische Einflussnahme unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Zusammenarbeit.

WDR-Chefredakteurin Mikich arbeitete Anfang der 90er Jahre lange als Korrespondentin in Moskau. Sie erinnert daran, dass viele Menschen das Auseinanderbrechen der Sowjetunion damals als Katastrophe für ihr persönliches Leben empfanden und viele die psychologischen Folgen bis heute nicht verwunden haben.

Konter der Verteidigungsministerin: "Wir dürfen nicht den Fehler machen, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die jetzige Politik des Kreml in der Ukraine zu entschuldigen."

"Politik des völkischen Nationalismus"

Der Historiker Winkler, Jahrgang 1938, bezichtigte Putin einer "Politik des völkischen Nationalismus, die sich über Völkerrecht hinwegsetzt." Sein nächster Schachzug sei, den westlichen Balkan auf seine Seite zu ziehen. Winklers Behauptung bezieht sich auf eine vertrauliche Analyse des Auswärtigen Amtes zu Russlands Einfluss in Serbien und Bosnien-Herzegowina. "Spiegel Online" hatte am Sonntag über das Dokument berichtet.

Der Historiker mahnte an, Russlands legitime Sicherheitsinteressen zu respektieren, aber auch jene der osteuropäischen Nachbarn, denen Deutschland - Solidarität schulde - nicht zuletzt wegen der eigenen Vergangenheit. Jauch versäumte es nachzuhaken, wie eine kluge Außenpolitik aussehen könnte, die beiden Seiten gerecht wird.

Überflüssig zynisch ist Jauchs Andeutung, eine "biologische Lösung" im Umgang mit dem erst 62-jährigen Hardliner an der Spitze Russlands sei nicht wahrscheinlich. Logische Schlussfolgerung: Der Westen wird sich darauf einstellen müssen, Putins und Russlands Interessen ernst zu nehmen.

Putins Zuckerstück für Deutschland

Und Putins Angebot? Warum nicht an die guten Beziehungen anknüpfen, die Deutschland und Russland in den vergangenen zehn, 15 Jahren aufgebaut hätten. "Es wäre doch schade, das alles zu verlieren."

Allerdings sah es bei der Begegnung in Brisbane nicht so aus, als habe Bundeskanzlerin Angela Merkel Putins kleines Zuckerstück angenommen.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website