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Wladimir Putins Propaganda-Show: Bizarre Fragen und ein kurioses Ende


Jährlicher Auftritt vor der Presse
Putins Propaganda-Show: Bizarre Fragen und ein kurioses Ende

Von Maxim Kireev

Aktualisiert am 17.12.2020Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Russlands Präsident kämpft für den Schein von Normalität.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Präsident kämpft für den Schein von Normalität. (Quelle: Russian Look/imago-images-bilder)

Putins Auftritt vor der Presse ist endgültig zu einer Propaganda-Veranstaltung verkommen, bei der nicht ein Mal mehr der demokratische Schein gewahrt wird. Dies gilt auch für das Land selbst. Kurios wurde es zum Schluss dennoch.

Eigentlich verdient die Pressekonferenz von Wladimir Putin ihren Namen schon lange nicht mehr. Dass es sich um eine Propaganda-Show handelt, dürfte sich mittlerweile nicht nur in Russland herumgesprochen haben. Doch während die Veranstalter in den vergangenen Jahren zumindest versucht hatten, den schein eines echten Schlagabtauschs zwischen Politik und Medien zu wahren, war die sogenannte Pressekonferenz diesmal fast vollständig und endgültig zu einer Propaganda-Show verkommen.

Unabhängige russische oder ausländische Journalisten kamen so gut wie nicht zu Wort mit Ausnahme des britischen Senders BBC. Einige anwesende Journalisten berichteten zudem, dass erstmals einige Plätze im Saal mit den Journalisten leer geblieben sind. Nur etwa 750 Pressevertreter haben sich in diesem Jahr akkreditieren lassen. Im vergangenen Jahr waren es fast 1.900.

Einblick in die Gemütswelt des Kreml

Nichtsdestotrotz erlaubt auch eine solche orchestrierte Show ohne Hoffnung auf einen spannenden Schlagabtausch einen Einblick in die Gemütswelt des Kreml. Zumal auch im Rest des Landes der demokratische Schein zusehends verblasst. Die diesjährige Verfassungsreform ermöglicht Putin weitere zwei Amtszeiten, während die Wahlen durch neue Regeln noch leichter manipulierbar geworden sind.

Inhaltlich haben Putin und sein Medienapparat mit aller Kraft versucht, den Eindruck von Normalität zu erzeugen. Ein Stück "Business as usual" in einem Land, das von der Corona-Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogen ist, und nach jüngsten offiziellen Statistiken über 160.000 Tote mehr zu beklagen hat als im vergangenen Jahr. In einem Land, das sich schweren wirtschaftlichen Problemen gegenübersieht. Einem Land, in dem sich der Präsident und Regierungschef zuletzt höchstpersönlich mit steigenden Preisen auf Brot, Nudeln und Zucker befassen musste.

Bizarre erste Frage

Schon im Vorfeld hatten staatliche Sender die Show massiv beworben. Stunden im Voraus sendeten Reporter Beiträge aus dem Saal in Putins Residenz, aus der er die Fragen später beantworten würde. "An diesem Tisch wird der Präsident sitzen", erklärte ein Reporter, während im TV-Bild daneben ein Countdown die Zeit bis zur Pressekonferenz herunterzählte.

Und gleich die erste Frage dürfte für einen Zuschauer, der das Land nicht wie zuletzt Putin pandemiebedingt fast ausschließlich vom Bürostuhl aus betrachtet hat, bizarr geklungen haben. Ob das Jahr ein gutes oder ein schlechtes gewesen ist, wollte eine Journalistin eines staatlichen Regionalsenders aus Magadan ganz im Osten des Landes wissen.

Erst nach anderthalb Stunden wird es spannend

Putin nutzte diese Steilvorlage, um zu erklären wie gut sich das Land wirtschaftlich geschlagen hat. Etwa, dass die Wirtschaft weniger stark zurückgegangen sei als in Europa. Oder dass das russische Gesundheitssystem sich besser geschlagen habe als in einigen entwickelten Ländern. Für jene einfachen Russen, die tatsächlich Gelegenheit hatten, die Pressekonferenz an einem Werktag live zu verfolgen, dürften diese Vergleiche kaum Aussagekraft haben. Doch eben dieser mühevoll gezeichnete Optimismus war die Hauptmessage, die der Präsident verbreiten wollte.

Fast anderthalb Stunden dauerte es, bis tatsächlich so etwas wie Spannung bei Putins jährlicher Pressekonferenz aufkam. Wie ein unsichtbarer Elefant stand vor allem eine Frage im Raum, die ein Journalist des staatsnahen Boulevard-Portals Live dann in denkbar sanfter Form formulierte. "Warum gibt es kein Verfahren wegen der Vergiftung von Alexej Nawalny und wer hat ihn vergiftet?", wollte Alexander Junaschew wissen, der zu einem ausgewählten Pool von Journalisten gehört, der vor der Pandemie Putin auf Reisen begleitete.

Überraschende Aussage zum Fall Nawalny

Nur Tage zuvor hatte ein internationales Rechercheteam einen Bericht veröffentlicht, der detailliert nachzeichnet, wie eine FSB-Team aus Chemiespezialisten und ehemaligen Ärzten in enger Abstimmung mit geheimen Chemieinstituten Nawalny über Jahre bei seinen Reisen verfolgte, und offenbar mehrfach mit einem Giftanschlag gescheitert war.

Die Überraschung: Putin dementierte die Vorwürfe im Detail nicht, sondern bestätigte sogar, dass der FSB Nawalny überwacht und beschattet, schließlich sei dieser ein Agent des Westens. Nur die Vergiftungsvorwürfe seien völlig aus der Luft gegriffen. Dabei ignorierte Putin auch die Erkenntnis, dass es sich bei den FSB-Agenten nicht um einfache Beschatter, sondern eben um Experten auf dem Gebiet der chemischen Waffen gehandelt hat.

Kuriose Frage zum Schluss

Wenig überraschend war dagegen, dass auch die zweite Frage, die so etwas wie einen kritischen Unterton spüren ließ, ebenfalls einem langgedienten Journalisten aus Putins Pressepool vorbehalten blieb. Andrej Kolesnikow, der Putin seit Jahren begleitet und mehrere Bücher über den Kremlherren geschrieben hat, wollte wissen, ob Putin nach 2024 an der Macht bleiben wird. "War es das wert?", fragte Kolesnikow mit dem Hinweis auf die Verfassungsänderung in diesem Jahr. Diesmal antwortete Putin wie erwartet ausweichend. Er wisse es einfach noch nicht.

Die restliche Zeit nutzte Putin, um sich wahlweise als Kümmerer zu präsentieren, gegen die "westlichen Partner" zu stacheln oder die aktuellen Probleme des Landes mit den Schwierigkeiten der 1990er Jahre zu vergleichen, die natürlich um einiges gravierender waren. So schlecht könne die Situation derzeit also gar nicht sein. Nichts davon ist den russischen Zuschauern neu.

Am Ende wurde es sogar fast schon kurios. Als einer der Letzten ergriff doch noch ein ausländischer Journalist das Wort. Haukur Hauksson aus Island hatte jedoch überraschend nur Gutes über Putin zu sagen. Es stimme nicht, dass der Präsident im Westen unbeliebt sei, außerdem lobte er Putin für seine Offenheit. Wie sich jedoch herausstellte, ist Hauksson kein einfacher Journalist, sondern ebenfalls Autor bei der russischen Agentur Ria FAN. Dieses kleine Medienimperium gehört niemand anderem als Jewgeni Prigoschin. Bekannt ist der Mann vor allem als Putinfreund, als Multimillionär und als Finanzier der berüchtigten Petersburger Trollfabrik, die im Interesse Moskaus mit Fake-Accounts und bezahlten Kommentaren die sozialen Netzwerke manipulieren wollte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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