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Proteste in Georgien: Ärger um das „russische Gesetz“


Proteste in Georgien
Sie sprechen Deutsch und helfen Russland

MeinungEin Gastbeitrag von Stephan Malerius

23.04.2024Lesedauer: 3 Min.
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Demonstranten in Tiflis: In Georgien gehen immer mehr Leute auf die Straße. (Quelle: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Die Regierung von Georgien suchte eigentlich die Nähe zur Europäischen Union. Doch jetzt könnte in dem Land eine außenpolitische Kehrtwende bevorstehen.

Es waren historische Monate in Tiflis: Erst wurde Georgien EU-Beitrittskandidat, dann qualifizierte sich die georgische Fußballnationalmannschaft für die Europameisterschaft – seltene Momente der Einigkeit ließen das ganze Land entschlossen in eine Richtung blicken, und der berühmte Ausspruch Surab Schwanias, Ministerpräsident 2004/2005, "Ich bin Georgier, also bin ich Europäer", schien Gestalt anzunehmen. Dann gab es ein skurriles Déjà-vu.

Vor einem Jahr hatte die Regierungspartei, der Georgische Traum, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion versucht, ein Agentengesetz zu verabschieden. Dieses sollte Nichtregierungsorganisationen und Medien, die 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, auferlegen, sich als "ausländische Einflussagenten" zu registrieren. Nach internationaler Kritik und massiven lokalen Protesten wurde das Vorhaben zurückgezogen. Nun ist es wieder da, und der Georgische Traum gibt sich entschlossen, es durchzusetzen. Auch die Protestierenden sind wieder da, und auch sie sind entschlossen, es zu verhindern.

Unverständnis bei Scholz

Vordergründig geht es um Transparenz, tatsächlich aber um Kontrolle: Lokale Verwaltung, Wirtschaft, Justiz – alle hängen in Georgien von der Regierung ab. Nur die Zivilgesellschaft ist noch unabhängig, kritisiert und lässt sich nicht einschüchtern. Das will der Georgische Traum nun ändern. So viel zur Innenpolitik. Doch es gibt noch eine zweite, außenpolitische Dimension in der aktuellen Auseinandersetzung: Bei den Protesten, die seit Tagen vor allem die Hauptstadt Tiflis in Atem halten, heißt das Agentengesetz nur das "Russische Gesetz".

Stephan Malerius: Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).
Stephan Malerius: Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). (Quelle: Ispirato.md)

Zur Person

Stephan Malerius ist Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit Sitz in Tiflis. Der Slawist und Germanist leitete zuvor das Auslandsbüro Belarus der KAS mit Sitz in Litauen und war Teamleiter eines EU-geförderten Projektes zur Stärkung der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft mit Sitz in Kiew.

Damit wird auf eine faktisch sehr ähnliche Vorschrift Bezug genommen, die in Russland 2012 verabschiedet worden war und in den Folgejahren die russische Zivilgesellschaft systematisch zerstörte. Die Analogie wurde von Kremlsprecher Dmitri Peskow indirekt bestätigt, der das georgische Gesetz letzte Woche "normale Praxis" nannte und die Wiedervorlage verteidigte. Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen betonte bei einer Pressekonferenz mit dem georgischen Ministerpräsidenten Irakli Kobachidse in Berlin, es gebe kein Land in der EU mit einem solchen Gesetz. Und weiter: "Es hat mal eine Regelung in Ungarn gegeben, die der Europäische Gerichtshof kassiert hat."

Milliardär offen für russischen Einfluss

Im Oktober sind in Georgien Parlamentswahlen, und bis vor Kurzem führte der Georgische Traum in allen Umfragen mit komfortabler Mehrheit. Innenpolitisch gab es keinen Grund, die gute Ausgangsposition mit einem riskanten Gesetzesvorhaben aufs Spiel zu setzen. Deshalb wird vermutet, dass die Initiative auf eine Intervention Russlands zurückgeht, und zwar auf erprobte Art.

Das Entscheidungszentrum in Georgien ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der seit 2012, mal in offizieller Funktion, zumeist aber informell, die Leitlinien der Politik bestimmt. Iwanischwili hat sein Vermögen in den 1990er-Jahren in Russland gemacht, wohin er immer noch undurchsichtige Kontakte unterhält. Gespräche mit westlichen Diplomaten lehnt er ab, Anrufe aus Moskau scheint er entgegenzunehmen.

Führende Köpfe studierten in Deutschland

Russland ist daran interessiert, einen Keil zwischen Georgien und die EU zu treiben, ein weiteres Schlupfloch für die Umgehung von Sanktionen zu öffnen und einen Nachbarn zu haben, der seine Isolation aufbricht. Dass Tiflis im letzten Jahr der Wiederaufnahme von Direktflügen zwischen Georgien und Russland zugestimmt hat, wurde im Kreml als hilfreich gewertet. Eine weitere Normalisierung der Beziehungen zu Russland wäre für Georgien eine außenpolitische Kehrtwende. Mit der Annahme des Agentengesetzes würden nicht nur die Beitrittsverhandlungen in weite Ferne rücken, auch der EU-Kandidatenstatus könnte aberkannt werden. Der Beifall aus Moskau wäre garantiert.

Iwanischwili ist Gründer und Finanzier des Georgischen Traums und der größte Defekt der jungen georgischen Demokratie: Er steht für Intransparenz, fehlende Legitimation, Elitenkorruption. Im Dezember hat er sich zum Ehrenvorsitzenden seiner Partei wählen lassen mit dem Mandat, Kandidaten für den Ministerpräsidenten vorzuschlagen. Worauf prompt eine Regierungsumbildung folgte. Was zu einer weiteren Skurrilität in der georgischen Politik führt, denn nun sind die führenden Köpfe der aktuellen Regierung in Deutschland ausgebildete Juristen: Der Ministerpräsident hat in Düsseldorf promoviert, der Justizminister in Hamburg. Der Parlamentssprecher studierte in Saarbrücken und leitete dann jahrelang das Rechtsstaatsprogramm der GIZ in Georgien. Alle sprechen fließend Deutsch, instrumentalisieren Gesetze politisch und richten das Land willig nach Russland aus.

Die allabendlichen Proteste vor dem Parlament in Tiflis werden vor allem von Jugendlichen getragen, die ihre Zukunft in Europa sehen. Das Agentengesetz wirft die ewige Frage wieder auf, deren Antwort so eindeutig scheint: "Wählen wir Nord, West oder Ost", schrieb der Schriftsteller Micheil Jawachischwili 1918, während der ersten kurzen Unabhängigkeit Georgiens. "Jede Diskussion über diese Frage ist schädlich. Wir müssen die Richtung wählen, in die das Land eilt, und es eilt nach Westen."

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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