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Presse zum Referendum: "Eine Tragödie für das türkische Volk"


Pressestimmen zum Referendum
"Eine Tragödie für das türkische Volk"

Von dpa, afp
Aktualisiert am 18.04.2017Lesedauer: 4 Min.
Feiernde Erdogan-Anhänger nach dem Referendum in der TürkeiVergrößern des BildesNach dem knappen Ausgang des Verfassungsreferendums in der Türkei, feiern die Anhänger Erdoğans ausgelassen. (Quelle: dpa-bilder)
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Auch zwei Tage nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei sehen internationale Medien den knappen Sieg des türkischen Präsidenten Erdoğan mit großer Sorge. Am Ostersonntag hatte Erdogan das umstrittene Votum denkbar knapp mit 51,3 Prozent der Stimmen gewonnen.

Laut "The Independent" sei das Ergebnis "eine Tragödie für das türkische Volk". Zuvor hatte schon die britische Times von einem "traurigen Tag für die Türkei" und einem traurigen Tag für Europa gesprochen.

"The Independent" (Großbrittanien):

"Die Türkei ist zu einer Wahl-Diktatur geworden. Erdogan wird die Machtbefugnisse einer exekutiven Präsidentschaft wie im französischen oder im amerikanischen System haben, aber es wird nicht einmal annähernd die gleichen einschränkenden Kontrollen durch eine unabhängige Legislative, die Justiz, eine lebenhafte Zivilgesellschaft oder freie Medien geben. Die Türkei hat sich aus der demokratischen Welt zurückgezogen. Das ist eine Tragödie für das türkische Volk.

Paradoxerweise war die Niederschlagung des Putschversuchs im vergangenen Jahr zugleich eine Niederlage für die säkulare Tradition in der Türkei. Und das knappe und umstrittene Ja bei diesem Referendum ist die Bestätigung, dass Erdogan danach strebt, seine persönliche Herrschaft bis zum Ende der 2020er Jahre zu sichern.""

"NZZ" (Schweiz):

"Was ist das nur für ein Präsident, dem in der Stunde seines größten Triumphes nichts Besseres einfällt, als über die Wiedereinführung der Todesstrafe zu sprechen? Da steht ein Mann kurz vor der Erfüllung seines politischen Lebenstraums, da schäumt er schon wieder. Da hat ihn eine knappe Mehrheit der Türken gerade vor der vielleicht schmerzlichsten Niederlage seiner Karriere bewahrt, da stößt er schon wieder Millionen vor den Kopf. (...)

Auch über die Türkei hinaus wird dieser Systemwechsel Auswirkungen haben. Denn das Land, das früher fest in der westlichen Wertegemeinschaft verankert war und den Anschluss an Europa suchte, hat den von Staatsgründer Atatürk verordneten Westkurs schon revidiert, lange bevor Erdogan sein Ermächtigungsgesetz auf den Weg brachte. Eher orientiert sich die "neue Türkei" heute an ihren autokratischen Nachbarn im Osten, Norden und Süden. Den Jahrhunderttest, islamische Normen und rechtsstaatliche, demokratische Regeln zu vereinbaren, haben der türkische Präsident und seine AKP damit nicht bestanden."

"La Vanguardia" (Italien):

"Dieses Ergebnis hatte wohl niemand gewollt. Nicht einmal Erdogan. Das äußerst knappe Ergebnis und vor allem die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auszählung tragen nicht dazu bei, seine Autorität zu stärken. Diejenigen, die von Sieg sprechen, können dies nicht tun, ohne noch andere Wörter hinzuzufügen: Pyrrhussieg, minimal, eng, bitter, umstritten. (...) Ein großes Paradox in der modernen Türkei ist, dass Erdogan, der sich selbst oft als allmächtiger Herrscher darstellt, sich bedroht fühlt. Und das Ergebnis des Referendums wird dazu beitragen, dieses Gefühl noch zu verstärken."

"Le Monde" (Frankreich):

"Man wird sagen, dass das Land in jüngster Vergangenheit zahlreiche Traumata durchlebt hat: der schreckliche, endlose Krieg im Nachbarland Syrien und der Flüchtlingsstrom in die Türkei; eine Anschlagswelle, verübt von lokalen Zellen der Organisation Islamischer Staat; der Krieg mit den eigenen Kurden; der versuchte Militärputsch im Juli 2016. All das ist wahr. (...)

Aber wegen seiner Abenteuerlust in Syrien, wo er mit dem radikalen Islamismus gespielt hat, wegen der unverhältnismäßigen Repression, die er im Sommer 2016 in Gang gesetzt hat, wegen seines Strebens, die Presse und den gesamten Staat zu unterwerfen, ist Herr Erdogan in großem Maße für das Unglück seines Landes verantwortlich. Dieser völlig kritikunfähige Mann, der bereit ist, seine europäischen Kollegen zu beleidigen und eine "Weltverschwörung" anzuprangern, ist jetzt mit für ihn maßgeschneiderter Macht ausgestattet. Das ist nicht gut, weder für die Türkei noch für Europa."

"de Volkskrant" (Niderlande):

"Der Ausnahmezustand, die Verhaftung von tausenden Opponenten, eine aggressive Wahlkampagne, die Einschüchterung politischer Gegner und der dubiose Beschluss, nichtgestempelte Stimmzettel mitzuzählen - trotz alledem holte Erdogan nur ein knappe Mehrheit. Eine Abstimmung, bei der die Wähler jubelnd die letzte Hürde für die Konzentration der Macht in den Händen des geliebten Führers wegräumen sollten, geriet zu einer Demonstration der Spaltung. (...)

Die Türkei ist ganz sicher tief gespalten und die Bevölkerung in den großen Städten versteht, dass Erdogans autoritäre Neigungen dem Land großen Schaden zufügen. Es ist bemerkenswert, dass es so viel internen Widerwillen gegen den Abbau der türkischen Demokratie gibt. Aber das könnte Erdogan auch dazu veranlassen, seine Kampagne gegen Rivalen und die Opposition nun mit ganzer Kraft fortzusetzen."

"Magyar Idök" (Ungarn):

"Das türkische Volk hat entschieden. (...) Es kann also weitergehen mit dem Niederreißen der Hinterlassenschaft des von vielen bis heute gewissermaßen als Halbgott verehrten Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer des türkischen Nationalstaates. (...) Die bisher potenziell vorhandene, geringfügige Chance auf einen Beitritt zur Europäischen Union hat die Türkei damit verspielt.

Die Wähler haben eine Verfassungsänderung akzeptiert, die das Parlament auf eine zeremonielle Rolle reduziert und den künftigen Präsidenten praktisch mit totaler Macht ausstattet. Das Votum ermächtigt die Führung des Landes dazu, nicht nur dem Erbe Atatürks zu entsagen, sondern auch dazu, den einst als Richtschnur dienenden westlichen Werten endgültig den Rücken zu kehren."

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