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Militäreinsatz: Erst Afghanistan, jetzt Mali? Wir sind dann mal weg


Bundeswehr-Rückzug aus Mali
Und jetzt?


17.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Mali: Französische Soldaten sichern die Evakuierung von Ausländern während eines Feuergefechts mit Dschihadisten.Vergrößern des Bildes
Mali: Französische Soldaten sichern die Evakuierung von Ausländern während eines Feuergefechts mit Dschihadisten. (Quelle: dpa)

Erst das Chaos beim Abzug aus Afghanistan, nun das absehbare Ende der Mission in Mali: Immer drängender stellt sich die Frage, welche Einsätze die Bundeswehr künftig überhaupt noch machen kann – und sollte.

Wie das so ist, ein Auslandseinsatz der Bundeswehr? Da muss Johannes Arlt niemanden fragen, er weiß es selbst. Der Luftwaffen-Offizier war selbst sieben Mal in Afghanistan und Mali. Lange Zeit von zu Hause weg, keinen Kontakt zu den Liebsten, ständig die schwere Ausrüstung mit Waffe und Munition – das ist nur das Offensichtliche. "Was einen vor Ort am meisten belastet, ist die ständige Anspannung", sagt Arlt. "Die latente Gefahr lauert überall, 24 Stunden am Tag, 7 Tage, sie hört einfach nie auf." Sich überhaupt mal wieder entspannen zu können, sei das Befreiendste an der Rückkehr nach Hause.

Arlt ist nicht nur ein erfahrener Bundeswehrsoldat, er ist auch Politiker. Seit Oktober sitzt der 37-Jährige für die SPD im Bundestag, als einer von wenigen Soldaten. Als Abgeordneter und Mitglied des Verteidigungsausschusses wird Arlt in den kommenden Wochen eine heikle Frage beantworten müssen: Zieht sich die Bundeswehr aus Mali zurück, so wie Frankreich es am Donnerstag für seine Soldaten angekündigt hat?

Noch ist nichts entschieden, aber einiges spricht dafür, dass auch viele deutsche Soldaten bald zurückkommen. Nach Afghanistan im vergangenen Sommer könnte die Weltöffentlichkeit in Mali nun zum zweiten Mal Zeuge eines eines eher überstürzten Abzugs aus einer Krisenregion werden. Und klar ist auch, dass dieses Scheitern nicht nur in den Einsatzgebieten selbst als Niederlage des Westens betrachtet würde.

Nur: Was lernen wir daraus? Wie verhindern wir, dass es in Zukunft immer wieder Malis und Afghanistans gibt? SPD-Politiker Arlt hat darauf eine klare Antwort: "Wir müssen die Einsätze vom Ende her denken." Damit meint er konkret: Das schlimmste Szenario ist ein toter Soldat, der im Sarg nach Hause kehrt, oder ein an Leib oder Seele verwundeter Veteran. Das wiederum bedeutet, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr von Anfang an so gestaltet sein müssen, dass sie das Risiko des Worst Case minimieren.

Arlt glaubt, dass dies besser als in der Vergangenheit gelingen kann, wenn sich die Politik vor einer Mission drei Fragen selbstkritisch stellt: Unterstützen wir die Richtigen? Womit unterstützen wir sie? Erreichen wir unsere Ziele?

Messbare und kontrollierbare Ziele

"Was mich am meisten an Einsätzen wie in Afghanistan oder Mali stört, sind die fehlenden, konkreten Ziele", sagt Arlt. Sie seien in Afghanistan eher wolkig gewesen, wie der "Aufbau von Staatlichkeit". Auch in Mali, wo die Bundeswehr vor allem Nachrichtengewinnung und Aufklärung betreibe, sei nicht ganz klar, wann diese eigentlich erfolgreich sei. "Es braucht dringend messbare und kontrollierbare Ziele", sagt Arlt. Da seien Vorschläge wie eine Kommission, die jährlich die Zielerfüllung der Einsätze misst, durchaus überlegenswert.

Vielleicht ist das die bittere Ironie des Afghanistan-Einsatzes: Er war durchaus erfolgreich, aber vor allem aus entwicklungspolitischer Sicht. Die Kindersterblichkeit ist deutlich gesunken, fast alle Haushalte wurden elektrifiziert und vieles mehr.

Nur ist eben die Frage, ob das vor allem die Aufgabe von Soldaten sein soll. Arlt hat eine klare Meinung: "Wir sind in Afghanistan auch gescheitert, weil wir zum Teil die falschen Leute mit den falschen Aufgaben betraut haben. Außerdem könnten wir unsere deutschen Aktivitäten noch besser koordinieren und vernetzen."

Und dann ist da natürlich immer wieder das Problem, dass man möglicherweise Leben deutscher Soldaten riskiert, um ein mehr als nur zweifelhaftes Regime zu unterstützen. Da sieht es in Mali nicht besser aus als in Afghanistan. Nur ist das Problem eben auch nicht damit gelöst, sich einfach rauszuhalten.

Wie auch Mali beweist. "Wir müssen darüber nachdenken, aus Verantwortung gegenüber unseren Soldaten dort rauszugehen", sagt Verteidigungsexperte Arlt. "Aber uns muss auch klar sein: Diese Entscheidung hätte ihren Preis. Wenn wir weg sind, werden Leute den Platz einnehmen, die nicht ans Völkerrecht glauben."

Mehr Realismus

Ähnliche Probleme wie im Bundestag sieht man auch im Verteidigungsministerium. Aus dem Ressort ist zu hören, man wolle sich nun grundsätzlich überlegen, welche außenpolitischen Ziele mit der Bundeswehr überhaupt verfolgt werden. Auch mehr Realismus sei angezeigt: Ein paar Hundert Soldaten nach Mali zu schicken und so die gesamte Sahelzone stabilisieren zu wollen, sei jedenfalls weltfremd gewesen – und nun eben auch gescheitert. Eher könne man künftig einzelne, kleine Regionen stabilisieren.

Zusätzlich hält mancher im Haus von Christine Lambrecht (SPD) die bisherige Begründung von Auslandseinsätzen für falsch. Man könne nicht unter dem Argument der Demokratieförderung deutsche Soldaten in Länder schicken, nur um dann dort Jagd auf Terroristen zu machen. "Dann sollten wir es lieber handhaben wie die Amerikaner, die gezielt in bestimmte Gebiete gehen, dort den Terrorismus zurückdrängen – und sich anschließend zurückziehen", heißt es aus Kreisen der Bundeswehr.

Es klingt ein wenig nach: Eher kleinere Einsätze, weniger Moral, mehr Pragmatismus. Und einem klaren Fokus darauf, was realistisch ist. Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Marcus Faber, sagt mit Blick auf die Zukunft der Bundeswehr in Mali: "Die Lehre aus Afghanistan ist klar: Wir brauchen erreichbare Ziele in einem Land mit einer legitimen Regierung, mit der wir an einem Strang ziehen. Nur so lassen sich Fortschritte erzielen."

Ähnlich wird die Lage in der Union beurteilt. Denn die Bilanz ist ernüchternd, glaubt man bei den Konservativen: "Trotz eines erheblichen Einsatzes der Bundeswehr und unserer Verbündeten konnten weder in Mali noch in Afghanistan wirklich nachhaltige Verbesserungen erreicht werden", sagt Kerstin Vieregge, Obfrau der CDU im Verteidigungsausschuss. Was eben nicht den Soldaten anzulasten sei.

Man müsse "mit einer gesunden Portion Realismus" an zukünftige Auslandseinsätze herangehen, sagt das CDU-Präsidiumsmitglied Serap Güler. Und: "Uns muss dabei klar sein, dass ein militärischer Einsatz allein vielleicht Sicherheit schaffen kann, aber keinen Staat stabilisieren oder gar staatliche Strukturen und eine Demokratie aufbauen kann."

Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin geht noch weiter. Aufstandsbekämpfung könne "sogar den Stabilisierungsauftrag unterminieren". Denn Terrorgruppen könnten "immer wieder neu aus einer perspektivlosen Bevölkerung rekrutieren". Ohne politische Perspektive dürfe kein Militäreinsatz begonnen werden. Denn ihr Erfolg "entscheidet sich am Ende immer am Verhandlungstisch und nicht nach Truppenstärke".

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Wer macht die Drecksarbeit?

Eine "realistische politische Zielsetzung" der Mandate hält auch der Politologe Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München für zwingend. "Wir müssen Schluss machen mit Mandaten, die das Schöne, Gute und Wahre bringen sollen, also die Ziele völlig überhöhen."

Doch Verteidigungsexperte Masala spricht auch etwas aus, über das in Deutschland eher ungern diskutiert wird. Weil es unbequem ist, besonders für Bundestagsabgeordnete, die Soldaten in den Einsatz schicken. Und damit Verantwortung tragen.

"Wenn wir in einen Auslandseinsatz reingehen, können wir nicht den Kampf und damit die Drecksarbeit den anderen überlassen", sagt Masala. "Wenn ich Stabilität will, muss ich bereit sein, auch selbst mit Gewalt gegen die Kräfte vorzugehen, die das Land destabilisieren." Deutschland dürfe sich nicht länger "hinter seiner Geschichte und der öffentlichen Meinung" verstecken.

Mehr Robustheit heißt das im verteidigungspolitischen Schönsprech. Was aber eben im Zweifel auch bedeutet: mehr Risiko für die Bundeswehr. Allerdings helfen solche Grundsatzdebatten in der konkreten Situation natürlich nur bedingt weiter.

Was also jetzt tun in Mali? Masala hält einen überstürzten Rückzug für falsch. "Wenn wir uns aus dem Sahel komplett zurückziehen und die Region endgültig kollabiert, wird es dort zu Fluchtbewegungen kommen, die sich auch bei uns auswirken werden."

So sieht es auch die Chefin des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann: "Wenn die Sahelzone kippt, wenn der Terrorismus in diesen Ländern erstarkt, dann besteht die Gefahr, dass der Terrorismus auch nach Europa zurückkommt und wir darüber hinaus mit großen Flüchtlingsbewegungen, auch nach Deutschland, zu tun bekommen werden."

Für Strack-Zimmermann ist klar: "Wenn man Mandate beendet, muss es auch eine Exit-Strategie geben." Die habe in Afghanistan gefehlt. "Was passiert dann mit der Region? Was bedeutet das für unseren Kontinent? Diese Folgen müssen wir abwägen – eigentlich sogar schon, bevor wir in einen Auslandseinsatz gehen und selbstverständlich dann auch, wenn sich die Bundeswehr zurückzieht."

Die Bundestagsmandate der Mission in Mali laufen regulär am 31. Mai aus. Ob sie verlängert werden? Völlig offen. Verteidigungsministerin Lambrecht sagte am Donnerstag, sie sei "sehr skeptisch", ob es mit der Ausbildungsmission EUTM weitergehen werde. Beim Stabilisierungseinsatz Minusma komme es darauf an, ob man die deutschen Soldaten weiter schützen könne – auch nach dem Abzug vieler Partner.

Wie das funktionieren kann – die deutschen Stabilitätsinteressen in der Region mit der Sicherheit der Soldaten zusammenzubringen – darüber wird natürlich längst nachgedacht. Im Verteidigungsministerium gibt es nach Informationen von t-online Überlegungen, die Soldaten in eines der Nachbarländer zu verlegen, zum Beispiel in den Niger. So wäre man die Probleme des instabilen Mali los, ohne die Region komplett aufzugeben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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