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Ist die US-Armee noch stark genug?


Umstrittener Bericht zum US-Militär
Schwache Supermacht?

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

24.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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"Zu schwach"? Besonders die US-Luftwaffe soll schlecht gewappnet sein.Vergrößern des Bildes
"Zu schwach"? Besonders die US-Luftwaffe soll schlecht gewappnet sein. (Quelle: IMAGO/imagesbykenny)

Das amerikanische Militär sei "zu schwach" für einen Krieg, heißt es in einer Analyse. Die Autoren sorgen sich besonders vor einem möglichen Nuklearschlag.

Sehr detailliert und im Ergebnis verheerend: So lässt sich die Studie einer erzkonservativen US-Denkfabrik zum Zustand der amerikanischen Armee zusammenfassen. Seit neun Jahren veröffentlicht die in Washington ansässige "Heritage Foundation" jedes Jahr eine Analyse, wie es um die US-Truppen bestellt ist. In diesem Jahr kommen die Autoren nach rund 600 Seiten zu dem Urteil: Sie seien "zu schwach", um den notwendigen Aufgaben gerecht zu werden.

Der Bericht mit dem Titel "Index of U.S. Military Strength" ist jedoch mit Vorsicht zu lesen. Denn seine Veröffentlichung fällt mit der Endphase des Wahlkampfs für die Zwischenwahlen zusammen. Militärangehörige und Veteranen bilden eine wichtige Wählergruppe. Und was auffällt: Ausschließlich konservative und Trump-nahe US-Medien haben bislang über das vernichtende Ergebnis berichtet, darunter das "Wall Street Journal" sowie die Sender "Fox News" und "Newsmax".

An einer möglichen politischen Stoßrichtung der Studie ließ zudem ausgerechnet der Pressesprecher der "Heritage Foundation" keinen Zweifel. Auf Twitter kommentierte er: "Das Militär ist unter Joe Biden das schwächste aller Zeiten." Dabei bewertet der Bericht das US-Militär auf Basis einer jahrelangen Entwicklung. Die Regierung von Präsident Joe Biden ist erst seit zwei Jahren im Amt.

Schlecht vorbereitet für den Nuklear-Fall

"Die derzeitige US-Armee ist einem erheblichen Risiko ausgesetzt, die Anforderungen eines einzigen großen regionalen Konflikts nicht erfüllen zu können", heißt es in dem Bericht. Die "lebenswichtigen nationalen Interessen Amerikas zu verteidigen" sei demnach derzeit nicht möglich. Das Militär sei "zu schwach", gemessen an der "zur Verteidigung erforderlichen Stärke".

Bei der Bewertung wiegen die Autoren nach eigenen Angaben einerseits die "nationalen Interessen auf der Weltbühne" und andererseits die "tatsächlichen Herausforderungen in der Welt" ab. Die Welt sei aber eben nicht, wie man sie sich wünsche. Die diagnostizierte Schwäche der US-Armee sei unter anderem "die logische Konsequenz jahrelangen intensiven Gebrauchs, Unterfinanzierung, miserabel definierter Prioritäten".

Insbesondere die amerikanische Luftwaffe, die U.S. Air Force, wird als "sehr schwach" eingestuft. Die Marine und die Weltraum-Einheit "Space Force" als "schwach", die US-Armee als "marginal", also auch nur begrenzt einsatzfähig. Zwar werden die Eliteeinheit, das "Marine Corps", und die Nuklearstreitkräfte als "stark" bewertet. Die Marines könnten aber im Ernstfall die Schwäche des übrigen Heeres nicht ausgleichen.

Sorgen machen sich die Autoren vor allem für den Fall, dass die Vereinigten Staaten Nuklearwaffen einsetzen müssten. Denn eine derartige Eskalation würde erst recht "eine voll einsatzbereite Joint Force" erfordern, die mit modernen Waffen ausgestattet sein müsste. Gerade der Krieg in der Ukraine zeige, dass bestimmte Akteure (in diesem Fall Russland) sich "nicht unbedingt von konventionellen Maßnahmen abhalten" ließen, obwohl die USA eine starke Nuklearmacht seien. Auch die Verbündeten seien im Zweifel keine große Hilfe. Zwar erwähnen die Autoren Deutschlands neue Investitionen in die Bundeswehr, kommen aber zu dem Urteil: "Deutschland verfügt derzeit über keine kampfbereite Division."

Die Weltlage ist extrem verschärft

Zwar ist dieses harte Urteil die Meinung eines Washingtoner Thinktanks, der zudem den Republikanern nahesteht. Aber auch schon Berichte aus den Vorjahren gingen kritisch auf fehlende Kapazitäten des US-Militärs ein. Laut der in Stockholm ansässigen Stiftung "Stockholm International Peace Research Institute" (SIPRI) beliefen sich US-Militärausgaben im Jahr 2021 auf 801 Milliarden US-Dollar. Das ist im Vergleich zu 2020 ein Rückgang von 1,4 Prozent. Der Anteil des Militärhaushalts am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank im gleichen Zeitraum leicht von 3,7 Prozent auf 3,5 Prozent.

Damit haben die USA trotzdem noch immer den mit Abstand größten Militärhaushalt der Welt. China gab laut SIPRI im Jahr 2021 293 Milliarden US-Dollar aus, was allerdings einem Wachstum von 4,7 Prozent im Vergleich zu 2020 entspricht. Russland erhöhte seine Militärausgaben im Jahr 2021 um 2,9 Prozent auf 65,9 Milliarden US-Dollar. Das übertraf 2021 mit 4,1 Prozent des BIP den Anteil der USA.

Fakt ist, dass sich die Weltlage in den vergangenen Jahren extrem gewandelt hat. Die USA sehen sich nicht zuletzt wegen des russischen Angriffskrieges mit mindestens zwei großen Herausforderungen konfrontiert. Wenn die beiden größten Rivalen aufrüsten, so die Logik der Autoren, können die USA nicht stagnieren oder gar abrüsten.

Neben Russlands Aggressionen in Europa bindet China große militärische Kräfte der Amerikaner im Pazifik. Staaten wie Iran und Nordkorea erfordern ebenfalls eine potenzielle militärische Bereitschaft. Hinzu kommen Angriffe im Cyberspace, welche die US-Infrastruktur (etwa Öl-Pipelines) regelmäßig bedrohen. Die Autoren nehmen als Maßstab für ihre Beurteilung die Fähigkeit der USA, im Notfall zwei Kriege oder Krisen gleichzeitig erfolgreich bewältigen zu können.

Biden als schwacher Commander in Chief

Die Republikaner greifen das vernichtende Urteil mitten im Wahlkampf für die bevorstehenden Zwischenwahlen dankbar auf. Militärangehörige und Veteranen wählen eher die "Grand Old Party" als die Demokraten. Der Kongressabgeordnete Mike Gallagher nutzte einen Auftritt bei der "Heritage Foundation" Mitte dieser Woche dann auch zur Generalabrechnung in Richtung des Pentagon und des Weißen Hauses: "Uns mangelt es nicht an Optionen, uns fehlt Führung."

Dort verstehe man das "Paradoxon der Abschreckung" nicht. "Um einen Krieg zu vermeiden, muss man seinen Gegner davon überzeugen, dass man sowohl fähig als auch willens ist, Krieg zu führen", sagte Gallagher. Er warnte vor Chinas Präsident Xi Jinping und einem chinesischen Angriff auf Taiwan: "Wenn wir den utopischen Weg der Abrüstung fortsetzen und wir die Angst vor einer Eskalation zulassen (...) dann werden wir Xis Appetit nach Eroberung nicht stillen und ihn zum Krieg selbst einladen."

Die Aussage passt zu dem Bild, das Donald Trump und viele Republikaner regelmäßig von Präsident Joe Biden zeichnen – besonders seit dem desolaten Abzug der Amerikaner aus Afghanistan, den Trump noch nach seiner verlorenen Wahl angeordnet hatte: Als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte sei Biden "unfähig“.

Thinktank-Nähe zur US-Rüstungsindustrie

Wie seriös ist der Bericht der "Heritage Foundation" also? Kritiker wie die in Berlin ansässige Nichtregierungsorganisation "Transparency International" bemängeln die Arbeitsweise des Washingtoner Thinktanks bei militärischen Themen. In einem Transparency-Bericht über die Verstrickungen der US-Rüstungsindustrie in die amerikanische Politik aus dem Jahr 2019 ist von "mindestens 15 Treffen zwischen Führungskräften von Lockheed Martin und leitenden Forschern der 'Heritage Foundation'" die Rede.

Dabei ging es etwa um die Unterstützung der Finanzierung des F-22-Kampfflugzeugs. "Die Veröffentlichungen der 'Heritage Foundation' liefen parallel zur Lobbyarbeit von Lockheed Martin (...)." Im Jahr 2008 habe Lockheed Martin 40.000 US-Dollar an die "Heritage Foundation" gespendet, so Transparency. Immerhin sei die "Heritage Foundation" inzwischen hinsichtlich ihrer Finanzierung transparenter als früher.

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Auch politisch wird der konservative Thinktank seit einiger Zeit viel kritisiert. In einem Meinungsbeitrag in der "Washington Post" wurde kürzlich beschrieben, wie die "konservative Denkfabrik sich von Reagan ab- und Trump zuwendet". Auch als "Newsweek of think tanks" wurde die "Heritage Foundation" schon bezeichnet. Das Magazin "Newsweek" war einst eine Institution, macht nach einem langen Niedergang aber inzwischen vor allem mit Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam.

Aus ihrem Hauptanliegen macht die Heritage Foundation keinen Hehl. Die eigene Mission bestehe darin, "konservative öffentliche Politik zu formulieren und zu fördern". Diese basiere auf "Prinzipien des freien Unternehmertums, des begrenzten Einflusses des Staates, der individuellen Freiheit, der traditionellen amerikanischen Werte und einer starken Landesverteidigung". Der Bericht über die Schwächen des US-Militärs dürfte seine Wirkung bei der konservativen Wählerschaft nicht verfehlen.

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