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Mars, Nestlé und Hershey's: Zucker-Kampf – Karamell-Rebellen aus Montana


Kampf gegen Süßwaren-Giganten
Das Bonbonwunder im Nirgendwo


Aktualisiert am 26.12.2023Lesedauer: 9 Min.
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Bozeman in den Rocky Mountains: Hier im abgelegenen Bundesstaat Montana werden die besten Karamellbonbons der USA produziert. (Quelle: Diane Bentley Raymond/getty-images-bilder)

Im Land der Süßwaren-Giganten regt sich Widerstand gegen die Dominanz von Mars, Nestlé und Hershey's. Versteckt im Herzen von Montana ist eine kleine Karamellmanufaktur dabei, die Gesetze der Zuckerindustrie neu zu schreiben.

Bastian Brauns berichtet aus Bozeman, Montana

Die Revolution riecht nach zerlaufener Butter und geschmolzenem Zucker. Nach Sahne, einem Hauch Vanille und einer Prise Meersalz. Warm strömt dieser Duft wie ein unsichtbares Geheimnis durch die Luft. Zu riechen ist er in jedem Winkel dieser kleinen Manufaktur in der amerikanischen Kleinstadt Bozeman. Draußen klirrende Kälte. Die Temperaturen können hier auch unter minus 40 Grad Celsius fallen. Eiszapfen hängen von den Dächern. Die umliegenden Straßen sind unter der fest verschlossenen Schneedecke nur zu erahnen. Am Caramel Court 55 steigt weißer Dampf aus einem kleinen Kamin.

Hier, im Bundesstaat Montana, im nördlichsten Westen der USA, stießen Pioniere vor 165 Jahren zum ersten Mal auf Gold. Heute ist es diese von außen unscheinbar wirkende Fabrik, die wieder einen Rausch in Amerika auslöst. Dieses Mal in den Supermarktregalen.

Was hier geschieht, gleicht einer Revolte im Süßwarengeschäft der USA. Zwar fertigen die Mitarbeiter von "Béquet Confections" seit mehr als zwanzig Jahren goldbraunes Karamell. Jetzt aber hat es ausgerechnet dieser kleine Betrieb nördlich der Rocky Mountains mit den drei großen Monopolisten Mars, Nestlé und Hershey's aufgenommen. Es ist die Geschichte eines kleinen amerikanischen Weihnachtswunders.

Aus Metallkesseln gießen zwei Mitarbeiter von "Béquet Confections" das flüssig goldene Karamell ab. Auf großen Tischen lassen sie es erkalten, schneiden die weiche Masse in lange, schwere Rollen und schieben sie zur nächsten Station. Sarah Wilson, 45, arbeitet seit 5 Jahren bei Béquet, ist Prokuristin und zuständig für den Einkauf. Wie jeder hier muss auch sie penibel auf die Qualität achten und jetzt, da die Nachfrage explodiert, erst recht.

"Entscheidend ist die Temperatur. Überkochen wir das Karamell, müssen Tausende Kilo weggeworfen werden", sagt sie und zeigt auf einen der Metallkessel. Das Hauptgeheimnis des landesweiten Erfolgs von Béquet Confections ist: Die Karamellen sind keine Plombenzieher. Nicht zu zäh, aber auch nicht matschig. Das Karamell aus Bozeman fühlt sich schmelzend weich auf der Zunge an.

Hilfe aus der ehemaligen DDR

Dabei begann alles mit einer Geschichte des vermeintlichen Scheiterns. Die spätere Gründerin Robin Béquet hatte sich um die Jahrtausendwende entschieden, die Tech-Industrie nach 25 Jahren zu verlassen. Das war nach dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase. Aber was sollte sie jetzt tun? Ihr kam eine Idee, die sie ziemlich amerikanisch umsetzte: Verwandte und Freunde waren schon lange versessen auf ihr geheimes Karamellrezept. Warum daraus kein Geschäft machen? Kurzerhand eröffnete Robin Béquet 2001 an ihrem Heimatort Bozeman "Béquet Confections". Mit nur rund 20 Mitarbeitern produzierte sie fortan die süßen Delikatessen. Noch ohne eine Ahnung von der kommenden Erfolgsgeschichte.

Klack, klack, klack, klack, klack – Karamell um Karamell springt aus der Öffnung einer altertümlich schnaubenden Maschine auf ein schmales, ratterndes Fließband. Die goldbraunen Stücke landen fertig verpackt in farbigem Bonbonpapier. Das mechanische Kunststück gelingt einer alten "Nagema". Angeschafft hat sie der Betrieb erst kürzlich aus überarbeiteten Restbeständen der DDR. Die ostdeutsche "Einschlagmaschine für Weichkaramellen" schuftet jetzt beim einstigen Klassenfeind.

Anders lässt sich der Nachfrageboom aus dem ganzen Land nicht mehr bewältigen. "Wir kochen und verarbeiten mittlerweile fast fünf Tonnen Karamell am Tag", erzählt Sarah Wilson. 2019 kochte man nur zweimal pro Woche je 1,5 Tonnen. Das jährliche Wachstum lag über zwei Jahrzehnte immer zwischen 8 und 10 Prozent. In den vergangenen Jahren aber stieg der Umsatz um mehrere hundert Prozent. "Das hätten wir nicht für möglich gehalten. Natürlich sind wir darauf mächtig stolz", sagt Sarah.

Die Herkunft der rotweißen Weihnachtszuckerstange

Zwischen Plastikwannen voller Bonbons bahnen sich Jon und Andy Nielsen einen Weg durch die Weihnachtsproduktion in Bozeman. Wie alle Mitarbeiter tragen auch die beiden jungen Männer ein Stoffnetz auf dem Kopf. Kein Haar darf je in einem Bonbon auftauchen, auch nicht, wenn sie von den neuen Chefs der Firma stammen. 2019 kauften die Nielsen-Brüder die Manufaktur von Robin Béquet. Für die Dame war es Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Für Jon (40) und Andy (38), die schon ein Vermögen mit der Onlineplattform "Everyhting but the House" verdient haben, war es der Moment, zu investieren und das Unmögliche zu versuchen.

Unter ihrer Dachfirma "Life is Sweet" wollen die Nielsen-Brüder längst vergessene oder noch unbekannte Süßigkeitenmarken wiederbeleben, das Marketing professionalisieren und den großen Marken das Fürchten lehren. Ihr Verkaufsargument: Qualität, Herstellung und die besondere Geschichte kleiner Manufakturen.

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Dazu haben sie auch das alte Unternehmen von Claus Doscher zurückgekauft, einem ihrer Vorfahren, der im 19. Jahrhundert aus Deutschland in die USA auswanderte. Doscher's Candy Co. von 1871 ist der älteste Hersteller jener bekannten, gebogenen, rotweißen Weihnachtszuckerstangen in Amerika. "Die meisten Verbraucher haben noch nie von Doscher's gehört", sagt Jon Nielsen. Aber jeder kenne das Produkt. "Wir wollen erzählen, was unsere Zuckerstangen so anders und besonders macht", sagt er.

Die Geschichte von Béquet in Bozeman ist deutlich jünger als die von Doscher, aber auch sie soll jeden Amerikaner erreichen. Celtic Sea Salt, Butterscotch, Schokolade, Vanille, Apfel oder Espresso – mit insgesamt 12 Geschmacksrichtungen war das Karamell-Gourmet-Produkt lange nur in rund 1.000 gut sortierten Feinkostläden in den USA zu finden. Dass die Karamellen jetzt für immer mehr Amerikaner zur Lieblingssüßigkeit werden, hat einen Grund: Eines Tages wurde ein Vertreter der Großhandelskette Costco bei einer Food-Messe in Kalifornien auf die Karamellen von Béquet aufmerksam und neugierig.

Überlebenskampf im Süßwarenregal

"Der Kampf um physischen Platz in den Läden, ob im Regal und in der Kassenschlange ist ein unglaublich harter Wettbewerb", erklärt Jon Nielsen. Doch seit Costco mit seinem riesigen Palettenwaren-Angebot sich vor einiger Zeit für Béquet Confections entschieden hat, ist der kleine Betrieb zum größten Hersteller einzeln verpackter Karamellen in den USA aufgestiegen. Das gleicht einem Wunder.

Denn das Süßwarengeschäft in den USA ist weitgehend zementiert. Neue Wettbewerber haben kaum eine Chance. Mit ihrer Monopolmacht dominieren die Süßwaren-Giganten Mars, Nestlé und Hershey's. Sie kontrollieren rund 75 Prozent des US-Marktes. In diesem hart umkämpften Umfeld einen Verkaufsplatz zwischen Snickers-Riegeln, Reese’s Peanut Butter Cups oder KitKat, Smarties und Twix zu ergattern, ist in etwa so, als würde man heute noch versuchen, in Bozeman Gold zu finden.

Doch Costco ließ sich überzeugen. Für das einst kleine Familienunternehmen Béquet begann damit eine Herausforderung, die jeden Tag aufs Neue gemeistert werden muss. Es ist ein Kampf um mehr Mitarbeiter, um Logistik und vor allem um bleibende Qualität in einem Massenmarkt.

Die richtigen Leute probieren lassen

Das Costso-Verkaufsprinzip von günstigen und großen Stückmengen ist in etwa mit dem der Metro in Deutschland vergleichbar. Mit seinen rund 700 Filialen weltweit und einem Jahresumsatz von 200 Milliarden Dollar ist Costco allerdings viel größer und derzeit der drittumsatzstärkste Einzelhändler der Welt. Wie aber ist dieser Deal gelungen?

Eigentlich ist es ganz einfach. Jon und sein Bruder Andy erinnern sich noch gut, an den Moment als sie selbst zum ersten Mal das Karamell von Robin Béquet probierten. "Wir hatten Glück, in unserer Heimatstadt Cincinnati, in Ohio, das Karamell von Béquet zu finden", sagt er. In einem ganz kleinen Süßwarenladen kaufte er damals fünf Stück der Sorte "Celtic Sea Salt". "Als wir probieren, wussten wir, dass wir ein Flugzeug nach Bozeman nehmen müssen, um zu erfahren, wie die es schaffen, etwas so Leckeres zubereiten zu können."

Wie schon bei den Freunden der Gründerin Robin Béquet, ist Probieren das Erfolgsgeheimnis geblieben, auch bei einem Großkunden wie Costco. "If you try it, you'll buy it", "Wer es probiert, der kauft es auch", sagt Jon Nielsen. Wenn er lacht, sieht man seine sehr weißen Zähne. Sein Motto gilt auch für die Vertreter der Großhandelsketten. "Wenn wir den Category Manager einer Firma dazu bekommen, unser Karamell zu kosten, ist der Rest einfach", sagt Nielsen.

So war es auch bei Costco. Bei solchen Deals sind das die entscheidenden Personen. Sie wissen Bescheid über die Warengruppen und das Kaufverhalten ihrer Kunden. Costco verkauft Béquet-Karamell inzwischen ganzjährig in allen 50 Bundesstaaten. Obwohl Mars, Hershey's und Nestlé Millionen in ihre Produktentwicklung stecken, macht das Karamell aus Bozeman offenbar einen Unterschied. 12 nationale Auszeichnungen hat Béquet für ihr Gourmetprodukt bereits erhalten. Darunter auch schon mehrfach den Oscar der Branche, den sogenannten Sofi Award.

Eine Zutat, die es nicht zu kaufen gibt

Warum aber schmeckt das süße Zeug so gut? Auch Béquet kocht schließlich nur mit Zucker. Cindy Mulder, Mitte 60, leitet den Betrieb seit 2015. Sie verrät, warum die Konsistenz des Karamells das Geheimnis zu sein scheint. Warum es so angenehm weich und nicht so zäh ist. "Unser Geheimnis ist die fehlende Luftfeuchtigkeit", sagt sie. Bozeman liegt auf 1.500 Metern Höhe, in einer Gegend, die sonst fast ganzjährig unter extremer Trockenheit leidet.

Nur wenige Meilen entfernt von der Fabrik beginnen die dürren Weiten der Prärie. "Wir leben in einer hoch gelegenen Wüste. Diese Außenbedingungen sind Teil unseres Erfolgs. Mit hoher Luftfeuchtigkeit lässt sich das Karamell nicht herstellen, ohne ständig Tausende Dollar in die Feuchtigkeitskontrolle zu stecken", sagt Cindy zufrieden und stapft zurück in die Produktionshalle.

In der kleinen Manufaktur am Caramel Court 55 in Bozeman arbeiten heute fast 90 Menschen. Begonnen hatten sie mit 20. Und noch immer binden sie viele der Verpackungsschleifen mit ihren Händen. Béquet beliefert nach wie vor Privatkunden aus dem eigenen Onlineshop und über Amazon, von Honolulu auf Hawaii bis Florida. Hinzu kommen immer mehr Firmen, die das Karamell als Geschenk mit ihrem eigenen Branding versehen und an ihre Kunden weitergeben wollen.

Und mit einem Mal müssen quasi nebenbei ganze Lastwagen mit Tonnen von Karamell beladen werden, damit die Tüten pünktlich in den Costco-Warenlagern ankommen. Wer die Logistikanforderungen nicht erfüllt, kann schnell wieder ausgelistet werden.

Neue Anforderungen und alte treue Kunden

Ein großer Geschäftspartner hat auch sonst andere Erwartungen. "Wir haben viele Diskussionen um das Verpackungsdesign", sagt Sarah Wilson aus dem Einkauf. Der Stil, mit dem Costco etwa das Béquet-Karamell präsentieren möchte, passt nicht immer zu den eigenen Vorstellungen des Gourmetprodukts. Am Ende bestimmt zwar der Großkunde, aber die eigenen Standards will man nicht aufgeben. Butter und Sahne kommen aus Idaho. Die natürlichen Aromen bleiben ein Geheimnis.

Die treuen Einzelkunden, Grundlage des Erfolgs, müssen zugleich weiter liebevoll umsorgt werden. Laut Betriebsleiterin Cindy kommt auf 20.000 Lieferungen nur eine Kundenbeschwerde. Aber auch um die muss man sich kümmern. Ann Winnett (60) aus der Kundenabteilung erinnert sich an eine besonders einprägsame. "Ein Käufer hatte Béquet neulich über Amazon bestellt und der FedEx-Fahrer stelle das Paket auf der Veranda des Hauses ab", erzählt sie. Der Kunde habe sich sehr wütend bei ihr gemeldet, weil sein Paket leer war. "Auf der Überwachungskamera war ihm zufolge zu sehen, dass Eichhörnchen sich gefräßig über alle Karamellen hergemacht hatten", berichtet Ann.

Sofort habe sie eine neue Packung losgeschickt, sagt Ann. "Das ist unser Versprechen bei Béquet, auch wenn es nicht unser Fehler ist". Sie habe sich aber auch gefragt, warum die Kunden mit Eichhörnchen so fahrlässig sind. "Wir haben hier auf dem Land auch wilde Tiere, sogar Bären. Darum stellen wir verschließbare Holzboxen, vor unsere Häuser, in denen Paketboten die Ware ablegen können", sagt Ann, schüttelt den Kopf und macht die nächste Lieferung fertig.

Die EU als nächste Herausforderung

Es ist die stressigste Zeit des Jahres. Trotzdem sind Jon und Andy Nielsen von Cincinnati nach Bozeman gekommen, um eine kleine Weihnachtsfeier für die Mitarbeiter zu geben. Sie sind bemüht, den Betrieb trotz ihrer großen, weiteren Pläne familiär weiterzuführen. Die beiden Brüder sind katholisch und gönnen ihren Angestellten darum schon an Heiligabend frei. Dazu gibt es als Aufmerksamkeit immerhin noch 100 Dollar für jeden.

Wie es weitergeht? "Jetzt konzentrieren wir uns darauf, mit den Top-Lebensmittelhändlern in den USA zusammenzukommen", sagt Jon. Ob Walmart, Kroger oder Albertsons – der US-Markt ist noch längst nicht erschlossen. Costco soll jedenfalls nur der Anfang gewesen sein. Am Karamell aus Bozeman soll nach Willen der Nielsen-Brüder bald keiner mehr vorbeikommen können, ohne probieren zu wollen.

In Deutschland ist Béquet noch nicht zu bekommen. Das liegt an der überbordenden US-Nachfrage, aber auch an Vorgaben der Europäischen Union. Die Butter und Sahne aus Idaho haben zum Beispiel kein Zertifikat für den europäischen Handelsraum. "Was das internationale Geschäft betrifft: Ja, wir arbeiten daran", sagt Jon Nielsen dazu. Sie seien sehr zuversichtlich, dass ihr Karamell bei anderen Kunden eines Tages überall auf der Welt genauso beliebt sein wird wie in den USA.

Alleine Costco in Bozeman hat in der Woche vor Weihnachten 11 Paletten mit Béquets Karamellen verkauft. Das entspricht rund 1,5 Tonnen. Der süße Goldrausch im alten Wilden Westen der USA ist in vollem Gange.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen vor Ort
  • Interviews mit Jon und Andy Nielsen
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