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UN: Olaf Scholz in New York – das ist sein Kalkül


Auftritt vor der Uno
Scholz erfindet sich neu

  • Johannes Bebermeier
  • Bastian Brauns
Von Johannes Bebermeier, Bastian Brauns, New York

Aktualisiert am 21.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz vor der Uno: "Das ist blanker Imperialismus!" (Quelle: Reuters)

Die Uno bietet die größtmögliche Bühne der Welt. Olaf Scholz nutzt die Gelegenheit für einen selbstbewussten Auftritt – und spricht über eine deutsche Führungsrolle.

Sein großer Auftritt beginnt so, wie seine Auftritte eben zu beginnen pflegen: eher unspektakulär. Die überschwängliche Geste ist nichts, was sich Olaf Scholz für gewöhnlich vorwerfen lassen müsste. Also tritt der Kanzler am Dienstagabend ans Rednerpult im Plenum der Vereinten Nationen und legt einfach mal los.

Dabei ist es eine Bühne, wie sie größer nicht wird in der internationalen Politik. 193 Staaten schauen auf dieses Rednerpult vor der berühmten Wand aus grünem Marmor. Die Weltgemeinschaft ist in New York City versammelt. Und dann ist es auch noch das erste Mal seit 15 Jahren, dass ein Bundeskanzler zur UN-Generalversammlung spricht. Man muss das natürlich als Zeichen verstehen, wie auch sonst.

Nur, als Zeichen wofür eigentlich? Wer Olaf Scholz in diesen Tagen beobachtet, ihm auf der großen Bühne der UN und im kleinen Hinterzimmer zuhört, dem fallen zwei Dinge auf. Da ist so etwas wie ein neues Selbstbewusstsein und die Einsicht, dass inzwischen mehr erwartet wird von Deutschland. Mehr Führung.

Und zugleich ist da die Einsicht, dass es mit der Ordnung in der neuen Welt, die nicht nur von einem Krieg in Europa, sondern auch von vielen aufstrebenden Staaten geprägt wird, nur gemeinsam funktionieren kann. Gemeinschaft aus Kalkül, wenn man so will. Oder etwas wohlwollender: Zusammen ist man weniger allein. Und das könnte dann auch die Antwort auf die Frage sein, wie diese neue deutsche Führung eigentlich aussehen könnte.

In luftiger Höhe

Das alles ist streng genommen schon mindestens einen Tag früher zu spüren, am Montagabend nämlich im Regierungsflieger auf dem Weg von Berlin zum John F. Kennedy International Airport, New York. Denn dort wird es – mitten über dem Atlantik, bei 10.600 Meter Flughöhe und minus 54 Grad Außentemperatur – auf einmal interessant.

Olaf Scholz kommt aus seiner Kabine zu den mitgereisten Journalisten zum Hintergrundgespräch. Politiker nutzen diese Gespräche, um bei der Presse ihre Sicht der Dinge zu platzieren, ob die das nun alles glaubt oder nicht. Sie sprechen dort im Idealfall etwas offener, weil sie nicht fürchten müssen, zitiert zu werden. Das ist verboten, so ist der Deal.

Doch man darf wahrscheinlich so viel verraten, dass dort ein Kanzler spricht, der den Eindruck macht, als sei er sich seiner selbst und seiner Wirkung bewusst. Der weiß, dass sein Wort durchaus Gewicht hat. Ebenso wie Deutschland in der Welt Gewicht hat. Und der auch deshalb genau überlegt, was er tut und sagt.

Das neue Selbstbewusstsein

Als Scholz dann am Dienstagabend am Ufer des East River in New York City vor die Weltgemeinschaft tritt, buchstabiert er diesen Eindruck gleich auf mehreren Ebenen aus. Das neue deutsche Selbstbewusstsein wird etwa deutlich, als er Deutschland und damit auch sich selbst ganz unverblümt lobt.

"Mein Land ist zweitgrößter Geber des UN-Systems, zweitgrößter Geber auch für humanitäre Hilfe", sagt Scholz. Man habe in den vergangenen Jahren Millionen Geflüchtete aufgenommen. "Darauf sind wir stolz."

Es wird deutlich, wenn er fordert, die internationalen Institutionen "an die Realität des 21. Jahrhunderts" anzupassen und dann als Beispiel Deutschlands Wunsch anführt, künftig ständiges Mitglied eines erweiterten UN-Sicherheitsrats zu sein. Kein neues Anliegen, aber eben doch mal wieder selbstbewusst auf großer Bühne vorgetragen.

Seit Jahren setze sich Deutschland für eine Reform und Erweiterung des wichtigen Gremiums ein, sagt Scholz. "Auch Deutschland ist bereit, größere Verantwortung zu übernehmen." Perspektivisch als ständiges Mitglied, aber erst einmal auch als nichtständiges Mitglied. "Ich bitte Sie, unsere Kandidatur zu unterstützen."

"Das ist blanker Imperialismus!"

Und so wird das neue Selbstbewusstsein Deutschlands auch in der Art und Weise deutlich, wie der Kanzler den russischen Krieg verurteilt. "Russlands Eroberungskrieg gegen die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen", sagt er an einer Stelle. "Präsident Putin führt ihn mit einem einzigen Ziel: sich der Ukraine zu bemächtigen." Dafür gebe es nur ein Wort: "Das ist blanker Imperialismus!"

Es könne der Welt deshalb nicht egal sein, wie der Krieg ende. "Putin wird seinen Krieg und seine imperialen Ambitionen nur aufgeben, wenn er erkennt: Er kann diesen Krieg nicht gewinnen", sagt Scholz. "Deshalb werden wir keinen russischen Diktatfrieden akzeptieren – und auch keine Scheinreferenden." Und deshalb müsse "die Ukraine Russlands Überfall abwehren können". Dabei unterstütze man die Ukraine "mit aller Kraft".

Das ist durchaus deutlich für Scholz, auch wenn er die Worte "Die Ukraine muss gewinnen" nach wie vor nicht aussprechen will.

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Gemeinsam weniger einsam

Doch Scholz weiß eben auch, dass längst nicht alle im Publikum das so sehen. Dass es viele Staaten auf der Welt gibt, die sagen: Na gut, nicht super, was der Putin da macht, aber was geht uns das eigentlich an? Und vor allem: Warum sollen wir darunter leiden?

Diese Staaten versucht Scholz zu überzeugen, indem er ihnen vor Augen führt, was ihnen aus seiner Sicht blüht, wenn man nichts tut und die internationale Ordnung einfach vor die Hunde gehen lässt. Dann werde es nämlich kein "regelloses Chaos" geben, sagt Scholz. "Sondern eine Welt, in der die Regeln von denen gemacht werden, die sie uns dank ihrer militärischen, ökonomischen oder politischen Macht diktieren können."

Also: "Die Herrschaft der Starken über die Schwächeren!" Und die ist für die Schwächeren meistens nicht so angenehm.

Scholz will aber noch mehr. Er will "eine neue Art der Zusammenarbeit mit den Ländern des Globalen Südens" etablieren. Und zwar: "Eine Zusammenarbeit, die Augenhöhe nicht nur behauptet, sondern herstellt." Die Augenhöhe bestehe faktisch ohnehin schon, weil das politische, ökonomische und demografische Gewicht Asiens, Afrikas und des südlichen Amerikas eben wachse.

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Insofern ist das alles natürlich kein selbstloses Projekt. Denn die Bald-Mächtigen, so offensichtlich das Kalkül, macht man sich besser zu Freunden. Oder andere Staaten tun das. Denn diese Länder sind die Arena, in der Großmächte wie China ihre Interessen verfolgen und Einflusssphären schaffen.

Dass die Suche nach neuen Freunden nicht unbedingt eine leichte Aufgabe ist, weil die Beziehungen historisch oft ziemlich verkorkst sind, weiß Scholz auch. "Wir alle müssen uns an den Verpflichtungen messen lassen, die wir gemeinsam eingegangen sind", sagt er deshalb.

Um kontinuierlich Vertrauen wieder aufzubauen in einer Welt, in der es aus Sicht des Kanzlers eben viele Machtzentren geben wird, und keine zwei großen Blöcke mehr. Und in der es etwas anderes bedeuten wird, eine Führungsrolle einzunehmen. Weniger überreden, mehr überzeugen, zum Beispiel.

Führung, wie die USA sie verstehen

Aus Sicht der USA ist die Welt allerdings längst keine multipolare mehr, also eine mit vielen Machtzentren. Das könnte künftig zu Reibereien zwischen Berlin und Washington führen. Denn die Amerikaner teilen zwar die Ansicht, dass der Globale Süden mitgenommen werden muss. Der Fokus der USA liegt aber in erster Linie auf: China.

Die Augen der US-Administration sind auf den Pazifik und die Rivalität mit den Chinesen gerichtet. Der russische Krieg mag den Blick darauf derzeit verstellen. Aber die Richtung der amerikanischen Außenpolitik ist seit Langem klar zu erkennen.

Auch deshalb wünschen sich viele Amerikaner eine stärkere Führungsrolle Deutschlands in Europa. Der alte Kontinent soll Laufen lernen. Die eigenen Kräfte werden im Zweifel woanders benötigt. In Taiwan zum Beispiel. Erst vor wenigen Tagen sagte US-Präsident Joe Biden, man werde den Inselstaat im Falle einer chinesischen Invasion verteidigen. Er sagte es nicht zum ersten Mal.

Laufen lernen und sich eben nicht mehr hinter den USA verstecken. So ist wohl auch die US-Haltung in der Panzerdebatte zu verstehen. Die USA fordern nicht, dass Deutschland Kampfpanzer an die Ukraine liefert, sie wollen ihre Wortmeldungen auch nicht als Druck verstehen.

Doch Washington will auch nicht, dass sich das Berliner Kanzleramt hinter dem Weißen Haus versteckt. Sollte Deutschland Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 liefern wollen, so die Lesart, könnte es das jederzeit tun. Auch in Absprache mit anderen Partnern. Das wäre ja durchaus auch: Führung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen in New York
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