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Antrittsbesuch in Peking: Olaf Scholz sitzt in der China-Falle


Antrittsbesuch des Kanzlers in Peking
Die Parallelen sind erschreckend

Von Miriam Hollstein, Patrick Diekmann

03.11.2022Lesedauer: 6 Min.
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Xi Jinping und Olaf Scholz (2017 in Hamburg): Wie halten wir es mit China?Vergrößern des Bildes
Der chinesische Präsident Xi Jinping und Olaf Scholz 2017 in Hamburg: Wie halten wir es mit China? (Quelle: Xie Huanchi)

Was ist der richtige Umgang mit China? Die Antwort darauf ist alles andere als leicht. Deshalb steht Olaf Scholz vor seiner bislang schwierigsten Reise.

Es ist ein Blitzbesuch: Gerade einmal 34 Stunden dauert der diplomatische "China-Quickie", zu dem Olaf Scholz am Donnerstagnachmittag aufbricht. Und da sind der Hin- und Rückflug schon mit dabei. Doch manchmal reichen auch ein paar Stunden, um einen Kanzler in große Schwierigkeiten zu bringen.

Offiziell ist die Reise ein "Antrittsbesuch". Zum ersten Mal wird Scholz in seiner neuen Funktion als deutscher Regierungschef China besuchen. Auch seine Vorgängerin, Angela Merkel, reiste regelmäßig nach Peking. So weit, so normal.

Doch tatsächlich ist dieser Besuch alles andere als eine diplomatische Gepflogenheit. Scholz ist der erste Regierungschef der G7, der Präsident Xi Jinping seine Aufwartung macht, nachdem sich dieser vom Volkskongress für eine dritte Amtszeit wählen ließ und der ganzen Welt demonstrierte, dass sein Land mehr denn je eine Diktatur ist.

Und als wäre das nicht schon problematisch genug, ist da auch noch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, bei dem das ständige Mitglied im UN-Sicherheitsrat eine ambivalente Haltung einnimmt. Einerseits hat sich China bislang dem Wunsch Russlands nach Waffenlieferungen verweigert. Andererseits hat es den Krieg nie verurteilt und Russland mehrfach Solidarität zugesichert.

Deutsche Bevölkerung skeptisch gegenüber China

In Deutschland herrscht aber noch eine ganz andere Sorge: China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Wie gefährlich es ist, von autokratischen Systemen abhängig zu sein, zeigt sich gerade im Falle Russlands. Eigentlich herrscht in Berlin Konsens darüber, dass sich Deutschland nicht in weitere gefährliche Abhängigkeiten begeben sollte.

Denn es gibt beunruhigende Parallelen zwischen China und Russland (und Deutschlands Verhältnis zu diesen Ländern): In beiden Systemen stehen Männer an der Spitze, die die Verfassung ändern ließen, um potenziell auf Lebenszeit regieren zu können. Sowohl Putin als auch Xi sind schon lange im Amt, haben sich einen Machtapparat aufgebaut, den sie immer strenger führen. Auch droht Xi immer unverhohlener mit einem militärischen Angriff auf Taiwan. In beiden Ländern hat sich die Menschenrechtslage zudem dramatisch verschlechtert.

Diese beunruhigenden Entwicklungen haben Deutschland aber nicht daran gehindert, immer engere wirtschaftliche Beziehungen zu knüpfen. Mit Russland, aber eben auch mit China. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft investierten deutsche Firmen im ersten Halbjahr 2022 zehn Milliarden Euro in China – und damit so viel wie nie seit dem Jahr 2000. Im vergangenen Jahr war China zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner (vor den Niederlanden und den USA).

In der deutschen Bevölkerung nimmt die Skepsis gegenüber China zu. 58 Prozent der Deutschen befürworten einen härteren Kurs, selbst wenn dieser wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen sollte. Das ergab eine Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag der Zeitschrift "Internationale Politik". Der Teilverkauf des Hamburger Hafenterminals Tollerort an ein chinesisches Staatsunternehmen, vom Kanzler gegen den Willen seiner Koalitionspartner durchgesetzt, sorgte für massive Kritik. Und manch einer stellte sich die Frage: Ist der Kanzler womöglich naiv?

Die Union hält Scholz' Vorgehen für gefährlich. Scholz nehme die offenkundige chinesische Strategie, durch den Aufkauf westlicher Unternehmen und Infrastruktur systematisch die eigene Dominanz zu erhöhen, nicht ernst genug, kritisiert der Vizefraktionschef der Union im Bundestag, Jens Spahn. "Stattdessen führt er Deutschland tiefer in die einseitige Abhängigkeit. Gegenüber China zu kuschen und dabei Frankreich und die USA zu düpieren, das schadet deutschen und europäischen Interessen", sagte Spahn t-online. Und weiter: "Die Debatte um eine neue Chinapolitik muss jetzt geführt werden. Und wir erwarten, dass sich der Kanzler nach seiner Reise dazu nächste Woche im Bundestag erklärt."

Baerbock will wertebasierte Außenpolitik verteidigen

Druck kommt weiterhin auch aus der Koalition. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erinnerte Scholz vor seiner Peking-Reise vielsagend: "Bekanntermaßen haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgehalten, dass China für uns Partner bei globalen Fragen ist. Dass wir uns nicht entkoppeln können in einer globalisierten Welt, dass China aber auch Wettbewerber und in zunehmendem Maße systemischer Rivale ist", sagte sie. "Und dass wir auf diesem strategischen Verständnis unsere Chinapolitik ausrichten und eben auch die Zusammenarbeit mit anderen Regionen in der Welt ausrichten werden."

Im Kanzleramt ist man genervt

Im Kanzleramt zeigt man sich ob solcher Ermahnungen inzwischen genervt. Die Koalitionsvereinbarung sei selbstverständlich Grundlage der Chinastrategie des Kanzlers, heißt es dort. Die Reise will man auch als Versuch verstanden wissen, auszuloten, wie weit die chinesische Führung noch als Partner ansprechbar ist. Im Umfeld des Kanzlers wird auch darauf verwiesen, dass viele drängende Probleme wie der Klimawandel oder die Reform des Welthandelssystems ohne China nicht gelöst werden könnten. Auch die Menschenrechte würden natürlich beim Kurzbesuch angesprochen. Dies sei keine "Einmischung in innere Angelegenheiten", sondern eine Erinnerung an die internationalen Verpflichtungen, die China als Mitglied der Vereinten Nationen eingegangen sei.

Kritik am Zeitpunkt der Reise weist man zurück. Die Situation sei auch in drei Wochen keine andere. Außerdem sei es wichtig, vor dem G20-Gipfeltreffen auf Bali Mitte November einen direkten Austausch mit Xi zu suchen. Dass sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron darüber beschwerte, dass Scholz ihn nicht mitnehmen wollte, wird im Kanzleramt mit dem Hinweis kommentiert, man habe die Reise früh mit den Partnern abgesprochen. Außerdem heißt es süffisant, es sei in der EU nicht üblich, Dienstreiseanträge einzureichen.

Doch ganz so wie es seine Vertrauten streuen, perlt der öffentliche Druck an Scholz dann offenbar doch nicht ab. So rechtfertigte der Kanzler sich in einem Gastbeitrag ("Darum geht es bei meiner Reise nach China") in der "FAZ" für den Besuch in Peking. Ein eher unübliches Vorgehen. "China bleibt auch unter veränderten Vorzeichen ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für Deutschland und Europa", schreibt Scholz, verspricht aber auch: "Wir werden daher einseitige Abhängigkeiten abbauen, im Sinne einer klugen Diversifizierung. Dabei braucht es Augenmaß und Pragmatismus."

Das Ringen um die globale Dominanz

Angesichts des Ukraine-Kriegs sitzt der Kanzler noch mehr in der China-Falle als seine Vorgänger. Einerseits muss er den deutschen Wohlstand schützen, wofür gute Beziehungen mit China zuträglich, wenn nicht sogar unerlässlich sind. Andererseits muss er im globalen Kampf der Systeme die westlichen Werte von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. Die lehnt China allerdings mehr denn je ab. Dass das Land gleichzeitig selbst zur wichtigsten Weltmacht werden will und das Ringen mit den USA um die globale Dominanz wichtiger findet als die Folgen des Ukraine-Kriegs in Europa, macht die Sache zusätzlich kompliziert.

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Was also ist angesichts einer wertebasierten deutschen Außenpolitik die richtige Chinastrategie? Die Antwort darauf ist alles andere als einfach. Und schon gar nicht gibt es die eine, alle Probleme lösende Reaktion.

Ein Ansatzpunkt von Scholz ist der Gedanke, dass Xi zur Stabilisierung seines Regimes eine wachsende Wirtschaft braucht. "Lieferkettengesetz" ist deshalb eines der Zauberwörter, die Scholz auf seiner Reise einsetzen will. Es tritt zum 1. Januar in Kraft und verpflichtet deutsche Unternehmen, für ihre gesamten Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren. So kann der Kanzler deutlich machen, dass Produkte aus Zwangsarbeit, etwa aus Lagern für die verfolgten Uiguren, künftig nicht mehr nach Deutschland exportiert werden können. Zumal es schon bald ein Lieferkettengesetz für die gesamte EU geben dürfte.

Auch Deutschland ist gegenüber China befangen

Ob das die chinesische Führung beeindruckt, ist unklar. Denn zur chinesischen Strategie gehört es, andere Länder von sich abhängig zu machen. Investitionen in ausländische Infrastruktur, vor allem im Rahmen der "Neuen Seidenstraße", sind für Xi ein zentrales Machtinstrument.

Denn China verschenkt dabei nichts: Es verteilt keine Subventionen, sondern kauft Infrastruktur und vergibt Kredite. Auch in der EU. So müssen Länder wie Griechenland oder Portugal bei ihren politischen Entscheidungen längst chinesische Interessen berücksichtigen. Auch Deutschland ist gegenüber China durchaus politisch befangen, denn es ist ebenfalls abhängig.


Quotation Mark

"Wir ändern nichts, wenn wir versuchen, China zu isolieren."


China-Experte Eberhard Sandschneider


Auch angesichts der vertrackten Situation hält der China-Experte Eberhard Sandschneider die Kanzler-Reise für richtig. "Es ist unendlich wichtig, dass die Europäer wieder direkt mit der chinesischen Führung ins Gespräch kommen", sagt Sandschneider, der für die Beratungsfirma Berlin Global Advisors arbeitet. Beide Seiten hätten in der Pandemie das Gespür füreinander verloren, das sei gefährlich. Und "China-Bashing" helfe nicht weiter: "Wenn Scholz nicht mit China redet, suchen die sich andere Partner." Der direkte Kontakt sei der einzige Weg für Deutschland, um Einfluss zu nehmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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