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Bundestagswahl 2017: Was entscheidet die Wahl?


Was entscheidet die Bundestagswahl wirklich?

t-online, Prof. Dr. Oskar Niedermayer

Aktualisiert am 18.09.2017Lesedauer: 5 Min.
Die meisten Wahlberechtigten wissen schon, wo sie am Sonntag ihre Kreuze machen.Vergrößern des BildesDie meisten Wahlberechtigten wissen schon, wo sie am Sonntag ihre Kreuze machen. (Quelle: Stefan Sauer/dpa-Zentralbild/dpa-bilder)
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Rund 61,5 Millionen Deutsche sind am Sonntag zur Wahl eines neuen Bundestags aufgerufen. Wo die Wähler am Ende ihr Kreuz machen, hängt dabei von ganz unterschiedlichen Faktoren ab. In einem Gastbeitrag erläutert der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Prof. Dr. Oskar Niedermayer, was die Wahl entscheidet.

Zur Beantwortung der Frage, was die Bundestagswahl entscheidet, muss man von den Faktoren ausgehen, die das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger prägen. Im Wesentlichen sind das zwei kurzfristige Faktoren, die Einstellungen der Wähler gegenüber dem personellen und inhaltlichen Angebot der Parteien, und ein langfristiger Faktor, die sogenannte Parteiidentifikation.

Als Parteiidentifikation bezeichnet man eine feste, langfristige, auch gefühlsmäßige Bindung an eine Partei, eine Art "psychologische Parteimitgliedschaft", ohne dass man ein Parteibuch besitzt. Sie wird in der Regel schon während des Heranwachsens erworben, wobei die Stellung des Einzelnen im sozialen Gefüge einer Gesellschaft und die Einbindung in soziale Gruppen dabei eine große Rolle spielen. Fühlt man sich stark an eine Partei gebunden, dann wählt man die auch.

Allerdings hat nicht jeder eine solche Bindung, und wenn sie fehlt, dann ist das Wahlverhalten nicht mehr vorherbestimmt, sondern potenziell flexibel. Das heißt: Man muss natürlich nicht bei jeder Wahl eine andere Partei wählen, aber man kann es. Die Frage, welche Partei man dann wählt, entscheidet sich aufgrund der beiden kurzfristigen, durch den Wahlkampf daher auch stärker beeinflussbaren Wahlfaktoren.

Kandidaten der kleinen Parteien haben es schwerer

Der erste Kurzfristfaktor wird durch die Einstellungen der Wählerinnen und Wähler gegenüber dem personellen Angebot der Parteien, vor allem gegenüber den jeweiligen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, gebildet. Die Entscheidung, eine Partei wegen ihres Spitzenkandidaten zu wählen, erfolgt in mehreren Stufen: Zunächst einmal muss man das Gefühl haben, die Person genügend zu kennen, um sich ein Urteil über sie bilden zu können. Das ist für die Kandidaten der großen Parteien nicht problematisch, für die kleinen Parteien jedoch hängt viel davon ab, ihr Spitzenpersonal zunächst einmal bekannt zu machen.

Für das Urteil, das man sich dann gegenüber dieser Person bildet, sind in der Regel vier Gesichtspunkte relevant: die Sachkompetenz, die Führungsqualitäten und die Glaubwürdigkeit, die man ihr zuschreibt, und die persönliche Sympathie, die man ihr entgegenbringt. Diese vier Gesichtspunkte werden dann – mit unterschiedlicher Gewichtung – zu einer generellen Beurteilung der Person zusammengefügt.

Fällt diese in Bezug auf eine der Führungspersonen deutlich positiver aus als für die anderen, dann hat man eine Präferenz für diese Person, z.B. in Bezug auf das Amt des Bundeskanzlers. Zum Schluss muss der Wähler noch aufgrund dieser Präferenz die Partei wählen, der die Person angehört.

Denkzettel-Wahl als Mittel des Protests

Diejenigen Wähler, die ihr Wahlverhalten nicht an den Personen, sondern an den Inhalten ausrichten, tun dies auf zwei Arten: Entweder sie informieren sich über das gesamte Angebot in den für sie wichtigen Politikbereichen und wählen dann diejenige Partei, der sie insgesamt die größte Kompetenz zumessen, die Probleme in ihrem Sinne zu lösen. Oder es gibt für sie ein wesentliches, alles andere überstrahlendes Thema, an dem sie ihr Wahlverhalten ausrichten.

Dann wählen sie entweder diejenige Partei, der sie die größte Kompetenz zur Lösung dieses einen Problems zuschreiben. Oder sie sind mit der Politik der bisher von ihnen gewählten Partei in diesem Bereich nicht einverstanden und verpassen ihr einen Denkzettel, indem sie aus Protest eine andere, die Gegenposition vertretende Partei wählen.

Dieses Protestwahlverhalten ist z.B. 2015 und 2016 sehr stark der AfD zugutegekommen. Wähler, die gegen die Flüchtlingspolitik Angela Merkels und der Bundesregierung protestieren wollten, konnten ja nicht – wie sonst üblich – eine der Oppositionsparteien wählen, da die ja auf derselben Seite standen. Also blieb ihnen nur, entweder aus Frust zu Hause zu bleiben – das haben sie nicht getan, wie die bei allen Landtagswahlen deutlich gestiegene Wahlbeteiligung zeigt – oder aus Protest die AfD zu wählen.

Einige Wähler wählen gar nicht die Partei, der sie am stärksten zuneigen, sondern aus strategischen Gründen eine andere. Das ist z.B. der Fall, wenn man eine bestimmte Koalition präferiert und dafür sorgen will, dass der kleine Koalitionspartner auch tatsächlich in den Bundestag kommt. Dieses taktische Wählen ist diesmal nicht in großem Ausmaß zu erwarten, weil die kleineren Parteien in den Umfragen alle deutlich über der 5-%-Hürde liegen.

Union hat die treuesten Wähler

Die langfristigen Parteibindungen sind vor allem für die Union und die SPD entscheidend, weil schon seit vielen Jahrzehnten deutlich mehr Leute langfristig an die Union gebunden sind als an die SPD. Deswegen kann die SPD bei einer Bundestagswahl nur dann zur stärksten Partei werden, wenn die beiden Kurzfristfaktoren optimal zu ihren Gunsten wirken – d.h. wenn sie den Wählern ein optimales personelles und inhaltliches Angebot macht – und die Union in beiden Bereichen schlecht aufgestellt ist.

In der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik war dies bei 18 Bundestagswahlen in fast 70 Jahren nur zweimal der Fall: 1972 und 1998. Bei der kommenden Bundestagswahl ist das nicht der Fall: Alles, was wir über die Einstellungen der Wählerinnen und Wähler gegenüber den beiden Spitzenkandidaten wissen, spricht eindeutig für Angela Merkel, d.h. sie liegt in allen Aspekten deutlich vor Martin Schulz.

Daran hat auch das TV-Duell nichts geändert. Die Beurteilung von Schulz hat sich zwar etwas verbessert, weil die Bevölkerung mehrheitlich der Meinung war, dass er besser abgeschnitten hat als erwartet. Da er aber aus dem Duell nicht als klarer Sieger hervorging, steht Angela Merkel immer noch deutlich besser da als er.

Auch der zweite Kurzfristfaktor, die Wählereinstellungen zu den inhaltlichen Themen, spricht für die Union: Bei fast allen wichtigen Politikbereichen messen die Wähler der Union die größeren Kompetenzen zu, die Probleme in den Griff zu bekommen. Es spricht daher sehr viel dafür, dass die Union stärkste Partei werden wird.

Kleine Parteien können Regierungsbildung entscheiden

Die spannendere Frage ist, wie die kleineren Parteien abschneiden. Da sie in den Umfragen dicht beieinanderliegen, können hier Veränderungen von wenigen Prozentpunkten, die aufgrund der vielen Unentschlossenen durchaus noch möglich sind, darüber entscheiden, wer mit der Union die nächste Regierung bildet. Rein rechnerisch problemlos möglich sein wird neben der Großen Koalition eine „Jamaika“-Koalition aus Union, FDP und Grünen, vielleicht reicht es auch für eine Zweierkoalition aus Union und FDP oder – weniger wahrscheinlich – aus Union und Grünen.

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Alle diese rechnerisch möglichen Koalitionen sind politisch jedoch nicht so einfach durchzusetzen, da die Parteien hohe inhaltliche Hürden aufgestellt haben. Insgesamt wird daher die Regierungsbildung nach der Wahl mindestens so spannend wie die Wahl selbst.

Oskar Niedermayer ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Parteien- und Wahlforschung. Er lehrt seit 1993 an der Freien Universität Berlin.

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