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Staatsanwältin Anne Brorhilker: Diese Frau jagt Olaf Scholz – "Cum-Ex-Skandal"


Milliardenschwerer Steuerskandal
Diese Frau hat Scholz im Visier

Von Liesa Wölm

Aktualisiert am 20.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Anne Brorhilker und Olaf Scholz: Die Oberstaatsanwältin hat den Kanzler im Visier.Vergrößern des Bildes
Anne Brorhilker und Olaf Scholz: Die Oberstaatsanwältin hat den Kanzler im Visier. (Quelle: Reuters/U. Frey/t-online/imago images)

Niemand kommt im Cum-Ex-Skandal um sie herum, auch nicht der Bundeskanzler. Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker gilt als mutig – und hartnäckig.

Es ist der 10. September 2013, als Anne Brorhilker einen Fall auf den Schreibtisch bekommt, der von da an ihr berufliches Leben bestimmen wird. Damals ahnt die Kölner Oberstaatsanwältin nicht, dass es um den bislang größten Steuerraub der deutschen Geschichte geht: Cum-Ex-Banker, -Anwälte und -Aktienhändler sollen immense Summen aus der Staatskasse gestohlen haben.

In den folgenden Jahren wird Brorhilker Massen an Dokumenten durcharbeiten, weltweit Razzien durchführen und gegen mehr als 1.000 Beschuldigte ermitteln. Verantwortliche in Großbanken, mächtige Manager und Juristen renommierter Kanzleien werden im Fokus der Untersuchungen stehen.

Brorhilker gehört 2021 zu "Bloomberg 50"

Neun Jahre später ist Brorhilker längst nicht am Ziel angekommen, es wird sie noch Jahrzehnte kosten, um die Ermittlungen abzuschließen – aber sie hat bereits wichtige Etappen erreicht. 2021 zählt das US-Medienhaus Bloomberg sie zu den Top 50 der Personen und Institutionen, deren Aktivitäten nach Ansicht der Bloomberg-Redaktionen für die Weltwirtschaft von besonderer Bedeutung waren.

Anne Brorhilker ist die einzige Deutsche auf der Liste, weil sie maßgeblich die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals vorantreibt, heißt es in der Begründung. 2021 sei in diesem Zusammenhang das Jahr des Durchbruchs für die Oberstaatsanwältin gewesen.

Cum-Ex

Bei Cum-Ex-Geschäften nutzten Investoren eine Lücke im Gesetz, um den deutschen Staat über Jahre hinweg um Geld zu prellen. Rund um den Dividendenstichtag schoben mehrere Beteiligte Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsansprüche hin und her. In der Folge erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand so ein Milliardenschaden. 2012 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen. Mehr dazu lesen Sie hier. Unter anderem die Hamburger Bank M.M.Warburg ist in den Skandal verwickelt.

Damals hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass die milliardenschweren Cum-Ex-Geschäfte kriminell waren. Zudem erwirkte Brorhilker eine dritte Verurteilung im Rahmen der Ermittlungen und ließ einen Verdächtigen aus dem Vereinigten Königreich ausliefern. Zuvor hatte die Staatsanwältin bereits erreicht, dass zwei Londoner Aktienhändler verurteilt worden waren.

Sie wurde lange unterschätzt

Auch deshalb wird die 48-Jährige in ihrem Umfeld als hartnäckig, mutig, fleißig und zuverlässig beschrieben, berichtet Bloomberg. Das war aber nicht immer so, sagt Brorhilker in einem Interview mit der ARD-Sendung "Panorama". Eine Weile habe sie es ausgenutzt, als klein und harmlos angesehen zu werden, so die Juristin. "Das finde ich meistens eher lustig, wenn mich jemand versucht anzuschreien", antwortet Brorhilker auf die Frage, ob es eine Rolle spiele, dass sie als Frau die Ermittlungen leite.

Die Staatsanwältin hat in den Cum-Ex-Ermittlungen mit einer anscheinend gängigen Praxis gebrochen: In der ARD-Dokumentation "Der Milliardenraub: Eine Staatsanwältin jagt die Steuer-Mafia" macht sie einmal mehr deutlich, dass sie nicht auf Deals oder Vergleichszahlungen von Banken aus ist. Sie will jeden einzelnen Beschuldigten juristisch zur Verantwortung ziehen.

Ein gefundenes Fressen für ihre Kritiker, die meinen, Brorhilker gehe zu weit, heißt es in einem Bloomberg-Bericht. Es sei schon rein praktisch unmöglich, Tausende Menschen anzuklagen, lautet das Argument. Zudem dauerten die Verfahren zu lange. Die Staatsanwältin solle sich demzufolge mit den Banken auf hohe Vergleichszahlungen einigen – zu unsicher sei der Ermittlungserfolg bei den Cum-Ex-Geschäften.

Eine Oberstaatsanwältin, die nicht lockerlässt

Aber Brorhilker lässt nicht locker – und das zahlt sich aus. Inzwischen leitet sie eine Abteilung mit 30 Staatsanwältinnen und -anwälten, die in der Affäre ermitteln. Das Land Nordrhein-Westfalen richtete neue polizeiliche Ermittlungsgruppen ein.

Obwohl die Staatsanwältin bereits seit fast zehn Jahren im Cum-Ex-Skandal ermittelt, blieb sie den Medien lange fern. Die ARD-Doku aus dem vergangenen Jahr verschaffte ihr erstmals große Präsenz.

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Die 48-Jährige ist in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und hat Rechtswissenschaften an der Universität Bochum studiert. Nach ihrem Abschluss ging sie zur Staatsanwaltschaft. Sie soll engagiert und extrem ehrgeizig sein, berichtet ihr Umfeld: Sie arbeite oft abends, am Wochenende – und im Urlaub.

"Situationen, die man eigentlich nicht erleben möchte"

Das scheint sich auszuzahlen: Im Oktober 2014 kommt es im Cum-Ex-Skandal erstmals zu einer riesigen weltweiten Razzia. Strafverfolgungsbehörden in 14 Ländern sind beteiligt. Ein Jahr haben Brorhilker und das Ermittlerteam darauf hingearbeitet. In der ARD-Doku erzählt sie, wie sie die Szenen damals erlebte. "Ich hatte schon auch andere große Verfahren vorher, aber der Aufschlag jetzt war schon enorm."

Brorhilker hat im Laufe der Jahre mehrere Hausdurchsuchungen im Rahmen des Cum-Ex-Skandals begleitet. Der "Tagesschau" erzählte sie von einer Razzia, die regelrecht eskaliert sei: "Wir saßen in einem Raum mit einer Glasfassade und draußen standen aufs Äußerste empörte Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter und haben sich furchtbar aufgeregt. Weil die Stimmung hochschoss, kam es dann zu Szenen, dass mich jemand am Arm festgehalten oder versucht hat, mich in eine Ecke zu drängen", so die Juristin. "Das sind Situationen, die man eigentlich nicht erleben möchte", sagte die sonst so furchtlos wirkende Frau damals.

Brorhilker hat auch mit Widerständen zu kämpfen

Doch unter anderem die Razzien sind es, die Brorhilker helfen, Kronzeugen zu finden. Insider aus der Cum-Ex-Szene, die gegen Beschuldigte aussagen. Es sind wichtige Erfolge, die die Juristin bei den Ermittlungen weiterbringen. Vor dem Landgericht Bonn sind inzwischen bereits mehrere Cum-Ex-Prozesse geführt worden, darunter auch gegen ehemalige Mitarbeiter des Hamburger Bankhauses M.M. Warburg. Im Juli erhob Brorhilker Anklage gegen den langjährigen Warburg-Chef und Miteigentümer Christian Olearius. Hier lesen Sie mehr dazu.

Aber auch mit Widerständen hat die Staatsanwältin immer wieder zu kämpfen: 2020 etwa will Brorhilker die Hamburger Finanzbehörden in der Causa Warburg durchsuchen – im Raum steht der Verdacht einer politischen Einflussnahme auf das Finanzamt. Ihre Vorgesetzten in Köln jedoch winken ab, es gebe nicht genug Hinweise. Erst ein Jahr später verschafft sie den Ermittlern dann doch Zutritt.

Anne Brorhilker – ihren Namen wird wohl auch Olaf Scholz nicht mehr vergessen. Der Kanzler muss an diesem Freitag erneut im Untersuchungsausschuss aussagen. Als Zeuge soll er bei der Klärung der Frage helfen, ob er oder andere führende SPD-Politiker Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg-Bank genommen haben.

Scholz bestreitet dies. Aber Brorhilker wird das wohl nicht zufriedenstellen. Die Juristin wird vermutlich so lange weiterermitteln, bis die Wahrheit ans Licht kommt.

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