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Bodo Ramelow (Die Linke): "Krisenmanagement der Bundesregierung ist mies"


Bodo Ramelow über geplante Proteste
"Als Linker sollte man nicht von Montagsdemos reden"

  • Annika Leister
InterviewVon Miriam Hollstein, Annika Leister

03.09.2022Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Warnt vor der Instrumentalisierung der Montagsdemos: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). (Quelle: via www.imago-images.de)

Ein Linker sollte nicht zu "Montagsdemos" aufrufen, findet Thüringens Ministerpräsident Ramelow. Auch von einer Öffnung von Nord Stream 2 hält er nichts.

Bodo Ramelow wirkt angespannt. Seine Parteigenossin Sahra Wagenknecht hat ihm vorgeworfen, ihren für Montag geplanten Demo-Auftritt in Leipzig verhindert zu haben. Unterdessen erreichen ihn aus seinem eigenen Bundesland erste Meldungen von Unternehmen, die angesichts der Energiepreise kapitulieren. Im Interview mit t-online sagt Thüringens Ministerpräsident, was er von den parteiinternen Vorwürfen hält und was passieren muss, damit die Energiekrise nicht eskaliert.

t-online: Herr Ramelow, die Preise vor allem für Energie steigen rasant. Viele Menschen fürchten, dass sie ihren Lebensunterhalt bald nicht mehr bestreiten können. Müssen wir uns auf einen "heißen Herbst" einstellen?

Bodo Ramelow: Die Sorgen teile ich, aber ich halte nichts von apokalyptischen Szenarien. Doch ich sehe mit Sorge, dass das Krisenmanagement der Bundesregierung mies ist.

Woran machen Sie diese harsche Kritik fest?

Die Regierung führt eine Gasumlage ein und debattiert anschließend tagelang darüber, ob darauf auch die Mehrwertsteuer fällig wird. Aber erst drei Tage später sagt der Kanzler dann, dass die Mehrwertsteuer auf Gas insgesamt abgesenkt wird. Warum wurde das nicht gleichzeitig miteinander verbunden? Das ist doch rein handwerklich ein grottenschlechtes Management! Oder nehmen Sie die Kabinettsklausur in Meseberg: Die Regierung verkündet anschließend groß, dass sie etwas tun wird, sagt aber nicht, was. Gleichzeitig laufen das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt aus. Die Benzinpreise explodieren, Autofahrer stehen verunsichert an den Tankstellen.

Welche Kommunikation hätten Sie sich gewünscht?

Aus Meseberg hätte das Signal kommen müssen: Wir sehen eure Sorgen angesichts des Benzinpreisschocks – und wir handeln. Stattdessen wartet die Regierung und lässt sich treiben. Das ist Wasser auf die Mühlen jener, die diese Sorgen instrumentalisieren, ohne echte Lösungen anbieten zu wollen.

Was müsste die Regierung jetzt tun?

Der Strompreis muss vom Gaspreis entkoppelt werden. Der Spritpreis muss endlich wieder mit dem Rohölpreis verbunden werden. Und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Die Strompreise könnten regional unterschiedlich sein. In den vergangenen zwölf Monaten kamen 70 Prozent des in Thüringen produzierten Stroms aus regenerativen Energiequellen, die in der Herstellung viel günstiger sind. Von diesem Preisvorteil kommt aber bei den Stromkunden nichts an. Das ist doch Wahnsinn. Ich habe in meinem Bundesland große Probleme mit der Akzeptanz von Windkraft. Dabei wäre es ein Leichtes, die Windkraft zum Treiber der Energiewende hier zu machen. Aber dafür müsste das, was man damit einspart, auch direkt im Geldbeutel der Verbraucher spürbar sein. Stattdessen verteidigt faktisch die Bundesregierung die Sonderprofite der Energiekonzerne, während die Kunden alle Risiken abfedern sollen. Übergewinne kann Herr Lindner bei den Energiekonzernen nicht erkennen. Das alles macht mich fassungslos.


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"Apokalyptische Bilder helfen nicht weiter."


Bodo Ramelow über Warnungen vor "sozialen Unruhen"


Ostdeutschland ist besonders von der Energiekrise betroffen, sowohl mit Blick auf Jobs als auch die Energiesicherheit. Was wünschen Sie sich konkret aus Berlin an Entlastungen für den Osten?

Die gesamte Energiearchitektur muss verändert werden. Dass der Osten besonders belastet ist, liegt nicht nur daran, dass die russischen Gas- und Ölleitungen hier ankommen. Es liegt auch an Regelwerken, die bei der Modernisierung der Stromanlagen nach der Wende zu einer Erhöhung des Strompreises geführt haben. Die innerdeutsche Grenze ist immer noch sichtbar – anhand der Strom- und Benzinpreise. Das ist inakzeptabel. Es gibt keinen Grund, warum die Spritpreise in Sachsen-Anhalt und Thüringen höher sind als im Rest der Republik.

Außenministerin Annalena Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser haben bereits vor Monaten vor "Volksaufständen" und Unruhen gewarnt. War das klug?

Apokalyptische Bilder helfen nicht weiter, egal ob sie Frau Baerbock, Frau Faeser oder unser Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer formulieren. So kann man auch das Problem herbeireden. Stattdessen sollte man lieber seine Hausaufgaben machen. Wir müssen darauf reagieren, dass die hohen Kosten fürs Tanken und für Energie bei den Menschen bald katastrophale Sorgen auslösen werden. Wir können nicht einfach so weitermachen.

Die Linke ruft für Montag zu einer Großdemo gegen die Energiepolitik der Bundesregierung in Leipzig auf. Auch die AfD und die rechtsextremen "Freien Sachsen" mobilisieren für den Tag zu Demos in Leipzig. Machen ganz links und ganz rechts jetzt gemeinsame Sache?

Nein, machen sie nicht!

Es wirkt allerdings so.

Nein, und nochmals nein. In aller Deutlichkeit: Die "Freien Sachsen" okkupieren die Proteste. Aber das ist durchschaubar, diese Form der Vereinnahmung ist nicht neu. Die Linke hat eine eigene Demo angemeldet. Es ist auch Aufgabe der Leipziger Polizei, beide Demonstrationen getrennt zu halten.

Es ist Ihr Parteifreund, der Leipziger Linken-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, der für die Linke zur Teilnahme an der "Montagsdemo" aufruft.

Deshalb habe ich Sören Pellmann auch gebeten, einen anderen Begriff zu verwenden. Rein historisch sollte man nicht – gerade in Leipzig – von "Montagsdemos" reden. Schon gar nicht als Linker.

Sie spielen darauf an, dass Leipzig zum Symbol für die Montagsdemonstrationen gegen das SED-Regime 1989 wurde. Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft hat den Linken-Aufruf deshalb scharf kritisiert. Dieser sei "beschämend" und zeuge von mangelndem geschichtlichem Bewusstsein. Pfeift Ihre Partei auf die DDR-Geschichte?

Noch mal: Die Montagsdemo in Leipzig ist ein fester historischer Begriff. Deshalb ist mein Appell an meine Partei, dass sich die Linke bei der Wortwahl sehr zurückhalten sollte. Sie muss sich auch deshalb abgrenzen, weil der Begriff von Rechten für jede Form von Protest instrumentalisiert wird: gegen Flüchtlinge, gegen Windkraft, gegen Corona und jetzt pro Russland. Bei dieser Mischung wird mir himmelangst! Mit diesen Menschen gibt es keinen Schulterschluss.

Ist es falsch, als Partei in dieser Situation überhaupt zu Protesten aufzurufen?

Nein. Ich unterscheide zwischen berechtigter Sorge und Stimmungsmache. Wer Angst hat, hat jedes Recht, dies auf der Straße zum Ausdruck zu bringen. Und die Politik muss sich dem stellen. Bei uns in Thüringen wurde diese Woche beispielsweise bekannt, dass ein Keramikhersteller seinen Betrieb schließen wird, weil er nicht mehr weiß, wie er die Energiekosten stemmen soll. Da kann doch die Politik nicht sagen: Das sehe ich nicht.

In einem Aufruf der "Freien Sachsen" wird für die Demo in Leipzig unter anderem auch mit Gregor Gysi und Sören Pellmann geworben, neben rechten Aktivisten wie Jürgen Elsässer. Schämt man sich als Linker dafür?

Die "Freien Sachsen" sind Nazis der schlimmsten Sorte. In Thüringen attackieren sie mich regelmäßig. Aber ihre Aufrufe haben nichts mit meiner Partei zu tun, warum sollte ich mich also schämen?

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Aber gerade Gregor Gysi, der im November 1989 auf der Großdemonstration auf dem Alexanderplatz auftrat …

Was kann denn Herr Gysi dafür, dass die "Freien Sachsen" seinen Namen benutzen? Warum soll er sich rechtfertigen für eine Vereinnahmung durch Nazis?

Weil die Linke mit ihrem Demo-Aufruf genau diese Möglichkeit zur Instrumentalisierung selbst geschaffen hat.

Mir steht es nicht zu, das Demonstrationsgeschehen anderer Landesverbände zu kommentieren, aber wir achten darauf, dass die Linke in Thüringen so demonstriert, wie wir es für richtig halten: Wir rufen in engem Austausch mit den sozialen Verbänden für einen Protest am 11. September auf – einem Sonntag. Und ich werde mich an die vereinbarten Spielregeln halten, wovon eine ist: Politprominenz soll nicht in der ersten Reihe stehen.

Eines der umstrittensten, aber auch populärsten Mitglieder der Linken ist Sahra Wagenknecht. Wagenknecht hat Ihnen nun vorgeworfen, Sie hätten einen geplanten Auftritt von ihr am Montag in Leipzig verhindert. Stimmt das?

Seit Tagen platzt mein Facebook-Postfach vor lauter Vorwürfen in diese Richtung. Das ist aber absurd. Ich habe nun wirklich mit dieser Veranstaltung nichts zu tun, habe nie mit Sören Pellmann darüber gesprochen. Wie mächtig muss ich eigentlich sein, dass ich schon durch Nichtstun zum alleinigen Buhmann gemacht werde?

Steht Sahra Wagenknecht denn überhaupt noch in irgendeiner Weise für linke Politik – oder sollte sie aus der Partei austreten?

Das muss Sahra Wagenknecht für sich bewerten. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und auch gegen schamlos überhöhte Gewinne der Energieunternehmen kämpfen würden. Aber zur Preisreduzierung braucht es keine Nord-Stream-2-Pipeline.

Die Stimmung im Osten ist derzeit bei vielen Themen anders gelagert als im Westen. 60 Prozent der Ostdeutschen wollen einer aktuellen Umfrage zufolge, dass die Pipeline Nord Stream 2 geöffnet wird. Können Sie solche Erhebungen als Ministerpräsident einfach ignorieren?

Das war schon vor 17 Jahren so, als auf einmal der Fremdarbeiterbegriff auftauchte. Das hat zu ziemlichen Verwerfungen geführt, denn es bediente fremdenfeindliche Ressentiments. Dazu brauchte es sprachliche Klarheit, dass Politik von Links niemals Menschen kategorisiert oder nach Nützlichkeit aufteilt. Aber bei der Debatte über Pipelines und russisches Erdgas verstehe ich gar nicht, was man eigentlich mit Nord Stream 2 will. Allein über die Transgas-Pipeline, die unter anderem durch die Ukraine führt, könnte genügend Gas transportiert werden, da hätte es Nord Stream 2 nie gebraucht. Aber ich merke auch in Thüringen: Es geht um die Erinnerung an eine vermeintlich bessere Zeit, die weit in der Vergangenheit liegt. Diese prorussische Gefühlslage, die mit Nord Stream 2 verbunden ist, ist vollkommen faktenfrei. Auch hier muss man als Linker klar kommunizieren und deutlich machen, es geht nicht gegen die Menschen in Russland, sondern gegen aggressive Kriegspolitik der russischen Regierung.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat mehr diplomatische Bemühungen um Wladimir Putin gefordert. Das sei die Stimmung im Osten. Hat er Recht?

Er hat seine Forderung so erklärt: Ein eingefrorener Konflikt sei besser als ein Sprechen der Waffen. Das kann ich so nicht teilen. Ein eingefrorener Konflikt kann keine Lösung sein. Erwähnt sei Transnistrien in der Republik Moldau. Wenn die russische Generalität von einem Landkorridor bis nach Transnistrien als Kriegsziel spricht, dann fällt Odessa und jede regionale russische Minderheit in den Nachbarstaaten wird zu einem dauerhaften Objekt der Begierde. Ich war gerade in Rumänien. Rund um Rumänien gibt es sechs solcher eingefrorenen Konflikte, die Putin im Handumdrehen in einen Krieg verwandeln könnte. Aber auch das Gerede von Victor Orbán über Transkarpatien, was wieder ungarisch werden soll, bereitet überall große Sorgen, wo es in Nachbarländern ungarische Minderheiten gibt. Das blendet mein Kollege Kretschmer leider alles aus, denn eigentlich braucht es eine europäische Friedensordnung, wo Minderheiten auch tatsächlich ein Recht auf Sprache oder Glauben garantiert bekommen.

Die Linke steht in Thüringen in Umfragen zurzeit bei 22 Prozent Zustimmung, die AfD ist mit 25 Prozent stärkste Kraft. Bei der Wahl 2019 kam die Linke noch auf 31 Prozent.

Ja, da ist einiges in Bewegung. AfD 25 und Linke mit CDU bei jeweils 22 gleichauf. Fast 70 Prozent für diese drei Parteien und daraus keine regierungstragende Mehrheit. Thüringen ist da wohl ein Demokratielabor, denn aktuell stehe ich ja einer Minderheitsregierung vor. Über den Thüringen-Monitor wissen wir, dass es in Thüringen seit Jahren mit 25 Prozent einen Bevölkerungsanteil gibt, der affin ist für bestimmte Klischeebilder, für Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit. Mit 22 Prozent für die Linke fahren wir deutschlandweit aber immer noch die mit Abstand höchste Zustimmung aller Landesverbände ein. Diejenigen, die mich so kritisieren, die zum Teil behaupten, dass ich gar nicht mehr zur Linken gehöre, die kommen hingegen nicht mal mehr über fünf Prozent.

Schwächer abschneiden als die AfD will die Linke aber ja sicher nicht. Wie wollen Sie das Ruder rumreißen?

Mein persönlicher Beliebtheitswert liegt bei 53 Prozent. Wenn der Wahlkampf losgeht und ich mich entscheiden sollte, in diesen Wahlkampf einzutreten, dann würden sich die Verhältnisse umkehren. Die Thüringer Paradoxie ist nämlich auch: Viele von denen, die AfD wählen, wollen nicht Björn Höcke in einer Regierung.

Was ist aus Ihrer Sicht mit Höcke zu erwarten?

Dann werden wir eine fatale 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur haben, aber keine EU-, keine Integrations- und keine Zuwanderungspolitik. Dann werden Feindbilder wieder zu unserer Normalität. Und dann würde das Land großen Schaden nehmen. Wir haben 60 Weltmarktführer in Thüringen. Wer gegen Europa redet, der redet gegen Thüringer Interessen. Und: bis 2035 werden in Thüringen 300.000 Menschen in Rente gehen, aber nur 150.000 kommen in den Arbeitsmarkt nach. Da darf mir gern mal jemand erklären, wie das ohne Zuwanderung gestaltet werden soll.

Sie sagen: "Wenn" Sie in den Wahlkampf eintreten. Wollen Sie überhaupt noch mal kandidieren?

Ich habe mich noch nicht entschieden und bin gerade in intensiven Gesprächen mit der Landespartei. Das Ergebnis gebe ich erst nach dem 31. Oktober bekannt, wenn meine Zeit als Bundesratspräsident vorbei ist.

Gehen Sie davon aus, dass Sie mit Ihrer Minderheitsregierung bis zum Ende der Legislatur weitermachen?

Es ist die verfassungsmäßige Lage, dass der Landtag bis 2024 gewählt ist. Ich sehe im Moment auch niemanden außer der AfD und der ungewählten Kleinstpartei Bürger für Thüringen, der über eine Auflösung des Landtages diskutiert. Die Auflösung des Landtages mit einer Zweidrittelmehrheit ist aber die Voraussetzung für eine Neuwahl. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow und die ganze Landesregierung werden daher selbstverständlich auch weiterhin engagiert ihre Arbeit machen.

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Bodo Ramelow
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