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"Hart aber fair": Sterbehilfe-Talk bietet bewegenden Moment


Sterbehilfe – ja oder nein?
Mächtige Politik, ohnmächtige Bürger

Von Marc L. Merten

Aktualisiert am 03.11.2015Lesedauer: 4 Min.
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Brustkrebs überlebt: Protestantin Anne Schneider.Vergrößern des Bildes
Brustkrebs überlebt: Protestantin Anne Schneider. (Quelle: ARD)

„Du sollst nicht töten.“ Oder doch? Am Donnerstag will der Bundestag ein neues Gesetz zur Sterbehilfe verabschieden. Es sieht danach aus, als ob die Politik anders entscheiden wird als die Bürger es wollen. Woran liegt das? Frank Plasberg ging der Frage nach.

Licht ins Dunkel kam früh, wirklich erhellend wurde es aber erst am Ende, als eine Frau zu Wort kam, die selbst in dem Konflikt steckte: Will ich sterben? Oder lohnt es sich noch, für mein Leben zu kämpfen?

Es ist das fünfte Gebot im Christentum, das sechste Gebot im Judentum: Du sollst nicht töten. Ein Gebot, das uns an die Nächstenliebe erinnert, daran, anderen Menschen zu helfen, anstatt ihnen Böses zu tun, daran, niemanden – weder sich noch andere – in Gefahr zu bringen und stattdessen alles Leben zu schützen. Leben ist ein Geschenk Gottes und nur er bestimmt, wann es endet – das ist der theologische Ausgangspunkt aller Gedanken zum Thema Sterbehilfe.

Diagnose Brustkrebs

Es war der berührende Moment bei „Hart aber Fair“ am Montagabend, als Anne Schneider zu Wort kam: die Frau des ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche. Sie hatte Ende 2014 die Diagnose Brustkrebs erhalten, die Ärzte gaben ihr nicht viel Hoffnung auf eine Genesung. Und das nach einem früheren Schicksalsschlag, dem Tod ihrer Tochter durch Leukämie. Für Anne Schneider und ihren Mann Nikolaus, der bei Frank Plasberg zu Gast war, eine schwere Zeit voller Unwägbarkeiten.

Mittlerweile, so Anne Schneider, lebe sie wieder, denke sie über drei Monate hinaus, mache wieder Pläne. „Ich traue mich sogar wieder mich mit meinem Mann zu streiten“, erklärte sie schmunzelnd. Sie gab einen tiefen Einblick in einen Menschen, dem nicht mehr viel Hoffnung gelassen wurde. Sie, die über Sterbehilfe nachgedacht hatte und das in einer von der Religion geprägten Familie. „Die Frage hat eine theologische Ebene“, so Schneider. „Dass Menschen Angst davor haben, in der Hölle zu landen oder von Gott verstoßen werden. Und sie hat eine rechtliche Ebene: dass Ärzte bestraft werden können.“

Man hätte diese Meinung, diese Einblicke, gerne am Anfang der Sendung gehabt. Anne Schneider hatte genau das zu erzählen, worüber alle anderen Diskutanten zuvor nur indirekt sprechen konnten. „Einzelfall“ war zuvor einer der meistgebrauchten Begriffe gewesen. So wie der Einzelfall Anne Schneider. „Ich hänge am Leben. Und solange es lebenswert ist, bin ich auch bereit zu leiden, wenn es einen absehbaren Erfolg hat“, hatte sie erklärt. Immer schwang in ihren Worten mit: Ich für mich selbst hatte entschieden leben zu wollen, weil ich noch an eine Heilung glaubte – aber was, wenn es andere gibt, die ein solches Glück nicht haben?

Mut für den langen Atem

„Ich würde Menschen immer ermutigen, einen langen Atem zu haben, wenn es ein Licht am Ende Tunnels gibt“, so die Frau des Theologen Nikolaus Schneider. Dann allerdings sprach sie – auch aus eigener Erfahrung – vom Gegenteil. „Aber es gibt auch den Zeitpunkt, dass eine Chemotherapie nur noch dazu dient, den Bestand zu halten, damit es nicht noch schlechter wird. Das haben wir bei unserer Tochter gesehen.“

Mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind Umfragen zufolge für aktive Sterbehilfe. Bislang ist sie verboten, lediglich passive Sterbehilfe, zum Beispiel durch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen oder durch das Besorgen von Hilfsmitteln zum Suizid sind gestattet. Ärzte dürfen solchen Suiziden bislang nicht beiwohnen. Sie sind durch die sogenannte Garantenstellung gesetzlich dazu verpflichtet, erste Hilfe zu leisten, wenn ein Mensch im Begriff ist zu sterben. Egal, ob dieser sich den Tod wünscht oder nicht.

Der Bundestag will diesen Weg weitergehen. Am Donnerstag soll ein Gesetz verabschiedet werden, ausgearbeitet von der SPD-Bundestagsabgeordneten Kerstin Griese. Auch sie war bei Plasberg zu Gast und erklärte, mit diesem Gesetz vor allem zwielichtigen Vereinen das Handwerk legen zu wollen, die am Sterbehilfe-Prozess verdienen wollten. „Ich möchte nicht das Geschäft mit dem Tod legalisieren.“ Sterbehilfe, wie etwa in der Schweiz legal, wolle sie nicht die Tür öffnen. Denn sonst könne es sein, „dass ältere Menschen das Gefühl haben, dass sie jemandem zur Last fallen, und dass sie deshalb sterben wollten“.

Zwiespalt zwischen Qual und Erlösung

Sterbehilfe – vom Bürger gewollt, vom Staat verboten? Es waren wenig neue Argumente, die an diesem Abend auftauchten. Deutlich wurde der Zwiespalt zwischen Helfen und Qualen verlängern, zwischen Tötung und Erlösung, zwischen der Gefahr, psychisch instabilen Menschen die Tür zum Tod nur allzu leicht zu öffnen, ohne ihnen bis zuletzt zu zeigen, dass es immer Hoffnung geben kann. Wer anders hat das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, als der Betroffene selbst?

Nikolaus Schneider, der mit seiner Frau Anne viele Gespräche geführt haben muss in einer Zeit, in der nicht klar war, wie es um ihre Gesundheit wirklich stand, sagte: „Es geht darum: Wie wollen wir die Regeln unserer Gesellschaft festlegen? Ich möchte in einem Staat leben, der Leben schützt und Leben fördert. Und ich will mit Ärzten zu tun haben, die dem Leben verpflichtet sind.“ Sterbehilfe dürfe „keine Behandlungsmöglichkeit des Arztes werden“.

Doch auch er gestand ein, dass seine Frau die entscheidende Frage gestellt hatte: „Wann ist der Punkt erreicht, wenn es nicht mehr um die Quantität des Lebens geht, sondern um die Qualität?“ Dieser Punkt lässt sich gesetzlich nicht definieren. Aber der Gesetzgeber muss einen Weg finden, ohne Geschäftemachern in die Hände zu spielen. Denn Anne Schneider plädierte auch dafür: In Würde leben heißt auch in Würde sterben. Und das kann, wenn es nach den zehn Geboten geht, nur der, der weiß: Selbsttötung ist nicht zwingend Todsünde. Denn sie kann Frieden bringen und dem Lebenden ermöglichen, in Würde zu sterben.

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