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Flüchtlingsamt überfordert: Lageso Berlin steht am Pranger


Flüchtlingsamt überfordert
Berliner Lageso steht am Pranger

Von dpa, afp, t-online
Aktualisiert am 09.12.2015Lesedauer: 4 Min.
Mit Regencapes in der Schlange: Das Berliner Lageso wird dem Flüchtlingsandrang nicht herr - und Besserung ist auch nicht in Sicht.Vergrößern des BildesMit Regencapes in der Schlange: Das Berliner Lageso wird dem Flüchtlingsandrang nicht herr - und Besserung ist auch nicht in Sicht. (Quelle: ap-bilder)
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Der Flüchtlingszustrom fordert deutsche Städte und Kommunen. Doch nirgendwo scheint es so schlecht zu laufen wie in der Hauptstadt Berlin. Dort steht das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) am Pranger - inzwischen international. Doch der Landesregierung aus SPD und CDU fällt außer Parteiengezänk nur wenig ein.

Die Flüchtlingspolitik war schon immer ein Zankapfel im rot-schwarzen Berliner Senat. Der nahende Wahlkampf entzweit die Koalitionäre noch mehr.

Aber jetzt kennt man das Lageso sogar in New York. Das Amt - zuständig für die Registrierung und Unterbringung der Flüchtlinge - gilt inzwischen über Berlin hinaus als trauriges Synonym für überforderte Verwaltung. Ende November stellte die "New York Times" das Lageso als erschreckendes Beispiel dafür vor, wie die Versorgung Tausender Flüchtlinge seit Monaten im Chaos versinkt.

Lange Schlangen vor dem Lageso

Die Bilder von Warteschlangen frierender Asylbewerber vor dem Lageso, prügelnder Wachleute und verzweifelter Menschen finden sich deutschlandweit in vielen Nachrichtensendungen über das Flüchtlingsthema.

Dutzende Flüchtlinge verbringen die Nächte inzwischen auf der Straße unter Decken vor dem Lageso. Sie haben zwar alle einen Schlafplatz in einer Notunterkunft. Aber sie konnten bisher nicht ihren Asylantrag stellen oder ihre Kostenübernahme verlängern lassen. Die Behörde kommt mit Registrierung und Bearbeitung seit Monaten nicht hinterher. Die "New York Times" wundert sich, wie das in einem Land wie Deutschland möglich ist, das für seine Effizienz bekannt ist.

Politiker in Erklärungsnot

Die Antworten fallen den politisch Verantwortlichen zusehends schwerer. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verweist immer wieder auf den enormen Anstieg der Flüchtlingszahlen, auf die sich kein Land vorbereiten konnte.

71.819 Asylsuchende hat Berlin bis zum 7. Dezember aufgenommen. Erwartet wurden im Januar nur rund 25.000 für dieses Jahr. Bis zu 50 Notunterkünfte wurden aus dem Boden gestampft. Berlin kann die Flüchtlinge nicht wie die großen Flächenländer in viele Landkreise und Städte weitervermitteln.

Doch Tatsache ist, dass der rot-schwarze Senat viel zu spät auf den sich abzeichnenden Andrang reagiert hat. Das räumt auch Müller ein. Zudem rächt sich nun bitterlich, dass Berlin wegen seines hohen Schuldenbergs seit der Einheit drastisch Personal abgebaut hat - von einst rund 200.000 im öffentlichen Dienst auf jetzt rund 105.000. Im Lageso fehlen seit mindestens einem Jahr qualifizierte Sachbearbeiter, um die hohe Zahl der Flüchtlinge zu registrieren.

Mitarbeiter bestätigen Chaos

Wie frustriert die Mitarbeiter des Lageso inzwischen sind, zeigen anonyme Aussagen im RBB-Inforadio. "Das Chaos, das man draußen vermutet, gibt es wirklich", sagt einer. Die Beschäftigten klagen über zu wenig Personal, zu wenig Führungskräfte, zu wenig elektronische Ausstattung und zu wenig Strukturen. "Das Frustrierende an der Arbeit im Lageso ist, man sieht keine Tendenz, keine Richtung, dass es aufwärtsgeht. Es wird immer noch schlimmer", beschreibt ein anderer.

Oft warten die Menschen vergeblich, so wie Umru und Sharik. Die 21 und 25 Jahre alten Pakistaner wurden Anfang November zu einer Notunterkunft geschickt, die war aber schon überfüllt. Der dort ausgestellte Hostelgutschein wurde von keinem angefragten Hostel akzeptiert, weil das Lageso sich den Ruf erworben hat, teilweise erst nach Monaten zu zahlen - das Amt ist mit 25 Millionen Euro im Zahlungsrückstand.

Schließlich landeten sie bei einer Familie, die die jungen Männer Samstagnacht in einem Park nahe dem Lageso aufgelesen hatte, um ihnen ein Bett zu geben. Ohne die freiwilligen Helfer ginge gar nichts mehr.

SPD und CDU auch in Berlin in der Flüchtlingsfrage über Kreuz

Zudem klaffen in der Flüchtlings- und Asylpolitik die größten inhaltlichen Unterschiede zwischen SPD und CDU - wie im Bund. Die CDU und ihr Innensenator Frank Henkel fordern eine Begrenzung des Zuzugs und vermehrte Abschiebungen. Müller und die SPD lehnen vehement eine Obergrenze ab. Abschiebungen allein lösten das Problem nicht, wetterte Müller. Er forderte vom zuständigen Sozialsenator Mario Czaja (CDU) endlich tragfähige Lösungen vor allem im Lageso.

Der heraufziehende Wahlkampf - in Berlin wird im September 2016 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt - verschärft den Ton zwischen den Koalitionspartnern. Czaja und der langjährige Behördenchef Franz Allert stehen in der Dauerkritik. Die Opposition hält Allert, gegen den auch wegen Korruption ermittelt wird, für völlig überfordert. Müller auch.

Versuche der Behördenspitze, das Flüchtlingsmanagement besser zu organisieren, brachten bisher nicht die immer wieder versprochene Verbesserung. Deshalb stellten jetzt mehr als 40 Berliner Anwälte Strafanzeige gegen Czaja und Allert - wegen Körperverletzung und Nötigung im Amt. Am Mittwoch trat Allert zurück.

Warum Czaja den Behördenchef nicht längst ablöste, irritiert auch den Regierungschef. In einer Regierungserklärung legte Müller Verantwortlichen, die nicht handeln, den Rücktritt nahe. "Wer sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlt - das ist in Ordnung. Aber der sollte nicht im Weg stehen, sondern Platz machen", sagte er, ohne Namen zu nennen. Die Opposition wertete die klaren Worte auch als Rücktrittsforderung an Czaja. Eine funktionierende Koalition arbeitet anders.

Bürgermeister Müller wies aber noch Kritik von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth zurück, die in einem Brief die "unmenschliche und unwürdige Situation" für die Menschen am Lageso angeprangert hatte. Der Brief lasse die bisherige Leistung von Berlin außer Acht, sagte Müller in der Sendung "Thadeusz" des RBB.

Neues Flüchtlingsamt lässt noch auf sich warten

Eine neue Flüchtlingsbehörde in Berlin soll nun das Amt entlasten, doch der Eröffnungstermin im kommenden Jahr steht noch nicht fest. Bei den Vorbereitungen für das geplante neue Flüchtlingsamt gehe "Genauigkeit vor Schnelligkeit", sagte ein Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung. Daher könne er noch nicht sagen, wann die Behörde alle Flüchtlingsaufgaben vom Lageso übernehmen werde.

Erste Ergebnisse könnten realistischerweise im Februar oder März vorliegen. Das Lageso bleibe dann aber in einer Übergangsphase noch parallel zum neuen Amt zuständig.

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