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So lebt es sich mit Hartz IV: "Für Kaffee ist kein Geld da"


So lebt es sich wirklich mit Hartz IV
"Für Kaffee ist kein Geld da"

t-online, Daniel Schreckenberg und Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 15.03.2018Lesedauer: 6 Min.
Hartz IV-Empfängerin Sandra S. muss jede Ausgabe genau planen, um mit ihrem Geld zurecht zu kommen.Vergrößern des BildesHartz-IV-Empfängerin Sandra S. muss jede Ausgabe genau planen, um mit ihrem Geld zurechtzukommen. (Quelle: Kai Remmers/dpa-bilder)
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Alle reden über Hartz IV, doch wie ist es wirklich, damit zu leben?

Wer Hartz IV bezieht, erhält als alleinstehender Erwachsener monatlich 416 Euro als sogenannten Regelsatz. Wer in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft lebt – also beispielsweise mit seinem Lebenspartner – erhält 374 Euro. Hinzu kommen Zahlungen für Unterkunft, Heizung und Sozialleistungen sowie Mehrbedarfszahlungen beispielsweise für Alleinerziehende, Schwangere, chronisch Kranke oder Behinderte. Auch einmalige Zahlungen zum Beispiel für Haushaltsgründungen oder Ähnliches sind möglich.

Reicht Hartz IV zum Leben aus?

Die Regelsätze für den monatlichen Bedarf berechnen sich auf Grundlage eines Preisindexes, der vom Statistischen Bundesamt ermittelt wird. Darin enthalten sind Preise von Gütern und Dienstleistungen, "die wichtig sind, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern", schreibt die Bundesregierung.

Es ist umstritten, ob der Regelsatz, der sich aus der Rechnung ergibt, ausreicht oder zu wenig ist. Kürzlich kritisierte ein Bündnis aus 30 Sozialverbänden und Organisationen die Berechnung. Immer wieder beklagt wird unter anderem, dass viel zu wenig Geld für Stromkosten eingeplant ist – die Betroffenen müssen an anderer Stelle sparen.

Wer wenig Geld hat, muss mitunter auch häufiger Geld ausgeben: Das billige Paar Schuhe hält nicht so lang wie die Edel-Stiefel, die günstige Waschmaschine hält keine zehn, sondern nur ein paar Jahre. Arm zu sein, kann also teuer sein. Das haben die Kollegen von "Krautreporter" anschaulich zusammengetragen.

Der monatliche Regelsatz setzt sich aus elf Bedarfskomplexen zusammen. Zu ihnen gehören Nahrung, Kleidung, Freizeit, Haushalt oder Gesundheit. t-online.de hat sich die Zahlen angeschaut – und mit Sandra S. aus Karlsruhe gesprochen. Sie lebt von Hartz IV, hat einen kleinen Sohn. Zwar bekommt sie etwas mehr als die monatliche Regelleistung, muss damit aber auch sich und ihren Sohn versorgen. Uns erzählt sie, wie sie das Geld tatsächlich einsetzt und wo es jeden Monat knapp wird.

Nahrung und alkoholfreie Getränke: 145,04 Euro

145,04 Euro im Monat, das heißt knapp 5 Euro am Tag für Nahrung und Getränke. Wie schnell die verbraucht sind, zeigt jeder Gang in einen normalen Supermarkt. Eine Packung Butter kostet dort momentan 1,30 Euro, eine Packung Nudeln knapp einen Euro. Eine Flasche Markencola: 1,25 Euro, inklusive Pfand.

"Ohne Planung geht nichts", sagt Sandra S. im Gespräch mit t-online.de. Sonderangebote in den Gratiszeitungen nimmt sie jede Woche genauestens unter die Lupe. Ist etwas sehr günstig, wird es direkt mehrfach gekauft. "Milchprodukte kommen fast immer aus dem Angebotsfach im Kühlregal. Da kosten sie nur noch einen Bruchteil des normalen Preises."

Ab 18 Uhr ist in ihrem Supermarkt in Karlsruhe das Obst meist reduziert. Dann greift sie zu. Um sich von so wenig Geld trotzdem gesund zu ernähren, geht sie oft auf den Wochenmarkt. Regionale Produkte kosten dort meist weniger als im Supermarkt. "Dafür gibt es im Winter für mich allerdings auch nur Äpfel und Birnen."

Anders sieht es aus, sobald das Essen nicht selbst zubereitet wird. Ein belegtes Brötchen beim Bäcker gibt es nicht unter 1,50 Euro, ein Döner auf die Hand kostet mindestens 3 Euro. Danach wäre fasten angesagt. Sandra S. muss lange überlegen, als wir sie fragen, wann sie das letzte Mal etwas in einer Imbissbude gegessen hat. "Ein Cheeseburger bei McDonalds für 1,29 Euro ist natürlich ab und zu drin. Aber dafür entscheide ich mich dann ganz bewusst."

Freizeit, Unterhaltung, Kultur: 39,91 Euro

Von Sozialleistungen zu leben, heißt am Sozialleben nicht mehr teilhaben zu können. So sagt es Sandra S. im Gespräch. Ein Kinoticket kostet mindestens 7 Euro, meist gibt es Rabatte für Sozialleistungsempfänger. Ähnliches gilt fürs Museum oder das Theater. Das Problem: Fehlt am Ende des Monats Geld, wird als erstes hier gespart. Sandra S.: "Hier zwackt man für alle lebenswichtigen Dinge etwas ab. Es ist mein Puffer für alles, was so im Monat kaputtgeht." Und deshalb falle es schwer, sich unbekümmert ein Ticket für das Kino zu kaufen.

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Nachrichtenübermittlung: 37,20 Euro

Für Internet, Telefon und Post stehen fast 40 Euro zur Verfügung. Erreichbarkeit mittels moderner Kommunikationsmittel – ohne das funktioniert kein Zurück ins Arbeitsleben und deshalb ist es auch so wichtig für Sozialleistungsempfänger. DSL gibt es ab 10 Euro im Monat, ähnliches gilt für den Handyvertrag. Sandra S. zahlt rund 50 Euro für Internet, Handy und ihr Telefon. Richtig teuer sind aber vor allem die Endgeräte. Ihr Laptop, mit dem sie Bewerbungen schreibt, ist zehn Jahre alt.

Das Tastenfeld ist längst kaputt, eine USB-Tastatur sorgt dafür, dass er noch zu gebrauchen ist. "Für einen neuen Computer wäre auch kein Geld da. Nicht einmal für einen Gebrauchten", sagt Sandra S. Gerade erst brauchte sie ein neues Handy. Ein japanisches No-Name-Gerät, 80 Euro hat es gekostet. "Wenn teure Dinge kaputtgehen, kann ich nur auf Freunde und meine Familie hoffen", so Sandra S.

Bekleidung und Schuhe: 36,45 Euro

Sandra S. kauft im Sommer Winterschuhe und im Winter Sandalen. "Schuhe und Kleidung im normalen Kaufhaus kann ich mir nur im Schlussverkauf leisten", sagt sie. Spontan ist das nicht. "Ich muss immer einen Plan haben, damit die Kosten nicht überhandnehmen."

Oft gehe sie ins Sozialkaufhaus, kauft fast immer Second-Hand. Besonders schwer ist das auch für ihren zehnjährigen Sohn. "Natürlich sucht er sich im Geschäft die Schuhe für 80 Euro aus. Dann muss ich ihm sagen, dass das nicht geht. Es tut mir in der Seele weh. Aber er versteht es meist."

Wohnen, Energie, Instandhaltung: 36,89 Euro

Miete und Nebenkosten bezahlt das Amt, der Hartz-IV-Empfänger den Strom. Häufig wird kritisiert, dass knapp über 35 Euro für keinen Stromvertrag ausreichen. Die günstigen Stromtarife bei Internetvergleichsportalen kosten für Singlehaushalte knapp unter 40 Euro. Sandra S. bezahlt 10 Euro mehr. Für andere Dinge bleibt also weniger Geld. Größere Nachzahlungen kann sie sich nicht leisten.

Und auch Reparaturen in der Wohnung bleiben auf der Strecke. Nach zehn Jahren müsste ihr Wohnzimmer neu tapeziert werden. Geld für Tapete, Kleister und Farbe hat sie nicht. Anders als bei den Klamotten kann sie hier auch nicht auf Gebrauchtwaren zurückgreifen. Das Zimmer ihres Sohnes hat durch Zufall einen neuen Anstrich verpasst bekommen. Ein befreundeter Maler hatte noch etwas Farbe übrig. Und strich das Zimmer umsonst.

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Innenausstattung, Haushaltsgegenstände: 25,64 Euro

Eine vernünftige Waschmaschine kostet neu rund 400 Euro. Für Sandra S. völlig utopisch. Ihre Waschmaschine rostet bereits, jede Woche rechnet sie damit, dass sie den Geist aufgibt. "Theoretisch müsste ich den Betrag von 25,64 Euro also jeden Monat beiseitelegen." Immerhin: 80 Euro hat sie zusammengespart. "Ich müsste meine Freunde fragen, ob jemand noch eine Maschine bei sich herumstehen hat. Oder bei Kleinanzeigenportalen im Netz gucken." Gebrauchte Waschmaschinen liegen dort bei etwa 150 Euro. Sandra S.: "Nur wie lange die dann halten, weiß niemand."

Andere Waren und Dienstleistungen: 32,99 Euro

Ein "Luxusgut" fällt für Sandra S. flach: "Für Kaffee ist kein Geld da. Den kaufe ich nicht." Manchmal bekommt sie ihn aber von Freunden geschenkt. Von den 32,99 Euro muss sie nämlich auch noch den Friseurbesuch bezahlen: 15 Euro muss sie dafür mindestens einplanen. Damit ist die Hälfte des monatlichen Satzes schon ausgegeben.

Verkehr: 34,66 Euro

In Berlin kostet das Sozialticket 27,50 Euro, im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr kostet es allerdings schon 37,80 Euro, und wäre damit – rein rechnerisch – zu teuer für einen Hartz-IV-Empfänger. Sandra S. lebt in Karlsruhe. Dort gibt es ein Sozialticket für 22 Euro. Es gilt nur für die Stadt. "Was aber mache ich, wenn ich ein Vorstellungsgespräch außerhalb habe?" Sandra S. ist nicht in Baden-Württemberg geboren. Sie kommt von der Ostsee, ihre Familie lebt noch da. "Ein Besuch würde mich 150 Euro mit der Bahn kosten. Das kann ich mir auch nicht leisten, wenn ich ein Jahr lang spare."

Gesundheitspflege: 15,80 Euro

Kosmetik- und Hygieneartikel für einen Monat – die Zahnpasta, das Duschgel, das Deo dürfen zusammen nicht mehr als 15,80 Euro kosten. Wer gern das Fitnessstudio besucht, sollte vielleicht lieber auf Joggen umsteigen. Doch das Geld ist ohnehin schnell anders aufgebraucht: Sandra S. besucht regelmäßig ihren Frauenarzt. Jedes halbe Jahr macht sie dort einen Ultraschall. Kostenpunkt: 70 Euro. Wichtige Medikamente werden von der Krankenkasse übernommen. Aber was ist mit Kopfschmerztabletten oder Hustensaft?

Restaurants, Kneipen und Hotels: 10,35 Euro

Wer eine günstige Kneipe findet, der zahlt für ein Bier 1,80 Euro. Für eine große Portion Pommes mit Ketchup und Majo werden schnell drei Euro fällig. Beides ist also maximal zweimal im Monat drin. Hotelbesuch? Dafür muss schon lange gespart werden. Sandra S. gönnt sich manchmal einen Mittagstisch in einer Studentenkneipe. Schnitzel für fünf Euro. Der einzige Restaurantbesuch, den sie kennt.

Bildung: 1,06 Euro

Für Bildung nur etwas mehr als 1 Euro? Im Monat? Das ist der Regelsatz. Dafür lässt sich eine günstige Tageszeitung kaufen – einmal im Monat. "Bildung wird anscheinend nicht zum Leben gebraucht", sagt Sandra S. Dennoch liest sie, denn sie geht in die Bibliothek. Das ist für sie in Karlsruhe umsonst.

Verwendete Quellen
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