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Krankenhäuser insolvent: Droht eine Unterversorgung in Deutschland?


Pleitewelle in Krankenhäusern
"Es muss etwas passieren"


17.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Eine Ärztin in einem Krankenhaus (Symbolbild): In diesem Jahr sind bereits 32 Krankenhausstandorte insolvent gegangen.Vergrößern des Bildes
Eine Ärztin in einem Krankenhaus (Symbolbild): In diesem Jahr sind bereits 32 Krankenhausstandorte insolvent gegangen. (Quelle: imago-images-bilder)

In diesem Jahr meldeten bisher fünfmal so viele Krankenhäuser Insolvenz an wie im gesamten vergangenen Jahr. Droht in Deutschland eine Unterversorgung?

Es war eine vorwurfsvolle Schlagzeile, eine, die dem Gesundheitsminister kaum gefallen haben dürfte. "Die von Lauterbach gewollte Insolvenzwelle rollt an", titelte der Branchen-Newsletter "Dienst für Gesellschaftspolitik" Mitte August. Demnach häufen sich die Insolvenzen von Kliniken in diesem Jahr, allein in Rheinland-Pfalz stünden fünf Kliniken vor dem Aus.

Und tatsächlich: Im ersten Halbjahr haben bereits 19 Krankenhäuser Insolvenz angemeldet, davon betroffen sind 32 Krankenhausstandorte, schreibt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) auf t-online-Nachfrage. Das sind doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr und fünfmal so viele wie im Jahr 2021.

"Die Lage der Krankenhäuser ist dramatisch", sagt Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG, t-online. "Fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben mehr aus den laufenden Einnahmen finanzieren, 69 Prozent sehen ihre wirtschaftliche Lage akut gefährdet."

Bereits im Dezember 2022 warnte der Verband vor einer Insolvenzwelle. Nun rollt sie. Bis Ende des Jahres dürften alle Krankenhäuser zusammen einen Verlust von mehr als 10 Milliarden Euro angehäuft haben, rechnet die Krankenhausgesellschaft vor.

Mit einer Insolvenz sparen Arbeitgeber das Gehalt ein

Insolvenz heißt zunächst einmal nicht gleich Pleite oder Schließung. In einem Insolvenzverfahren soll die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens – in diesem Fall eines Krankenhauses – wieder hergestellt werden. Gläubiger sollen aus dem noch vorhandenen Vermögen entschädigt werden. Viele Kliniken werden von der Kommune gerettet, von einem anderen Träger aufgekauft oder sanieren sich. Insolvenzen haben für Arbeitgeber einen großen Vorteil: Die Gehälter der Beschäftigten werden als sogenanntes Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit übernommen.

Damit sparen die Kliniken sehr viel Geld. "Bei einem Krankenhaus mit 1.000 Mitarbeitern lassen sich mit den Mitteln der Insolvenz 12 Millionen Euro generieren", rechnet Robert Buchalik, Rechtsanwalt und Insolvenzberater in Düsseldorf, vor. Geld, das die Kliniken gut gebrauchen können, um sich neu aufzustellen.

(Quelle: BBR Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte)

Robert Buchalik ist seit 1983 als Rechtsanwalt tätig. Er arbeitete bei der Deutschen Bank, 1997 machte er sich selbstständig und berät mit seiner Kanzlei unter anderem bei Insolvenzen.

Ein Vorteil: Durch das Insolvenzrecht sind die Kündigungsfristen kürzer und das Krankenhaus könnte sich einfacher von Ärztinnen und Pflegern trennen, die nach einer Sanierung nicht mehr gebraucht werden. "Am Anfang einer Sanierung steht deshalb die Frage nach der künftigen Ausrichtung des Krankenhauses", sagt Berater Buchalik. "Nur wenn es möglich ist, in Zukunft zumindest die Kosten zu decken, macht eine Sanierung Sinn."

Die aktuellen Pleiten kommen dabei nicht von ungefähr. "Die Insolvenzen, die wir jetzt als Welle wahrnehmen, sind Nachholeffekte aus der Pandemiezeit", sagt Rechtsanwalt Rainer Eckert t-online. Er ist Sachwalter einer der größten Insolvenzverfahren im Gesundheitsbereich, betreut die Insolvenzen der fünf Krankenhäuser des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Rheinland-Pfalz. Im vergangenen Jahr musste die zuständige DRK Trägergesellschaft ein Minus von mehr als einer Million Euro ausweisen.

Die Probleme der Kliniken

In den Pandemiejahren seien Krankenhäuser stärker subventioniert worden. Für die Kliniken gab es Geld, wenn sie Betten für Corona-Patienten frei hielten und Operationen absagten. "Insbesondere schwächere Häuser haben davon profitiert und konnten finanzielle Rücklagen aufbauen", so Eckert. Die aber seien jetzt aufgebraucht.

(Quelle: Eckert Rechtsanwälte)

Rainer Eckert ist Sachwalter im Insolvenzverfahren der fünf DRK-Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz. Er ist seit 1992 als Rechtsanwalt tätig. Er ist Partner einer Kanzlei in Berlin und Hannover.

Erschwerend hinzu kommen für viele Betriebe die hohen Teuerungsraten. "Krankenhäuser dürfen ihre Preise nicht an die Inflation anpassen, haben aber natürlich dieselben erhöhten Kosten wie alle anderen", sagt der Chef der Krankenhausgesellschaft Gaß t-online. Als Chef der Krankenhauslobby fordert er deshalb einen Inflationsausgleich.

Ein weiteres Problem: Jahrelang haben die Länder zu wenig in die Infrastruktur ihrer Kliniken investiert. "Viele Investitionen mussten auch von den Krankenhäusern mit einem Eigenanteil von 20-30 Prozent finanziert werden", sagt Sachwalter Eckert. "Dafür mussten die Kliniken einen Kredit aufnehmen, den sie nicht gestemmt bekommen."

Krankenhausreform soll Kliniken besser finanzieren

Eckert will nun zusammen mit dem DRK die Kliniken in Rheinland-Pfalz sanieren. "Es ist offenkundig, dass etwas passieren muss. Das kann auch bedeuten, dass es zu einer Leistungskonzentration kommen kann."

Leistungskonzentration heißt im Klartext: Eine Klinik bietet nicht mehr das Vollprogramm an, sondern einzelne Kliniken spezialisieren sich. Für größere Operationen, beispielsweise eine Hüft-OP, müssen Patienten dann in Schwerpunktkliniken fahren. Das spart den Krankenhäusern Geld. "Ich gehe davon aus, dass die Kliniken, die zur Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, auch erhalten bleiben. Ich sehe nicht die Gefahr, dass es zu einer Unterversorgung kommt", so Eckert.

Die Krankenhausreform soll die Krankenhausinsolvenzen bremsen. Im Juli einigten sich Bund und Länder auf Eckpunkte. Die Kliniken werden bisher nur über Fallpauschalen erstattet: Pro OP bekommen sie einen bestimmten Betrag, selbst, wenn der Patient länger im Krankenhaus bleiben muss als im Durchschnitt. Dann müssen die Krankenhäuser bisher draufzahlen. Nach der Reform sollen die Kliniken auch über sogenannte Vorhaltepauschalen finanziert werden. Dann bekommen sie auch bei weniger Eingriffen Geld. Das soll für mehr Finanzsicherheit sorgen.

"Krankenhäuser sollten jetzt handeln und nicht auf den Gesetzgeber warten. Bis die Krankenhausreform Auswirkungen zeigt, kann es zu spät sein", warnt Insolvenzberater Buchalik. Schon heute sollen Kliniken umbauen. Vielen der Krankenhäuser könnte vorher schon das Geld ausgehen. Davor warnt auch die Krankenhausgesellschaft. Zwar begrüßt die Gesellschaft Teile der Reform. "Wir sorgen uns aber darum, dass wegen der akuten Finanzierungskrise viele Krankenhäuser diese Reform nicht mehr erleben werden", sagt Gaß.

Verwendete Quellen
  • Video-Gespräch mit Rainer Eckert
  • Telefongespräch mit Robert Buchalik
  • Anfrage bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft
  • bundesgesundheitsministerium.de: "Krankenhausreform"
  • arbeitsagentur.de: Insolvenzgeld – Informationen für Arbeitnehmer"
  • unternehmensregister.de: "DRK gemeinnützige Trägergesellschaft Süd-West mbHMainzJahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2021"
  • dkgev.de: "DKG zum DKI-Krankenhaus-Barometer 2022: Krankenhaus-Insolvenzwelle rollt an"
  • dkgev.de: "DKG zu Milliardenhilfen für die Krankenhäuser: Notweniger Schritt, aber die grundlegenden Probleme bleiben ungelöst"
  • Dienst für Gesellschaftspolitik, Ausgabe 33 vom 17. August 2023
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