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Linke & Islamismus: Warum Kevin Kühnert und Sascha Lobo in die Irre laufen


Linke und Islamismus
Warum Kevin Kühnert und Sascha Lobo in die Irre laufen

  • Lamya Kaddor
MeinungEin Gastbeitrag von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 23.10.2020Lesedauer: 5 Min.
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Tatort in Dresden: Ein islamistischer Gefährder attackierte am 4. Oktober zwei Touristen in der Innenstadt, von denen einer starb.Vergrößern des Bildes
Tatort in Dresden: Ein islamistischer Gefährder attackierte am 4. Oktober zwei Touristen in der Innenstadt, von denen einer starb. (Quelle: Roland Halkasch/dpa)

Ausgerechnet die Linken Kevin Kühnert und Sascha Lobo werfen der politischen Linken unisono vor, beim Thema Islamismus zu still zu sein, während sie beim Thema Rechtsextremismus immer in lautstarke Empörung verfallen würden. Eine Replik.

Kevin Kühnert, Juso-Chef und SPD-Vize, hat viel Lob von konservativer Seite bekommen für seinen Appell, die politische Linke möge ihr Schweigen in Bezug auf den Islamismus beenden. In einem Gastbeitrag für den "Spiegel" schrieb er vom "unangenehm auffälligen Schweigen" und zitierte den bekannten Rechtsaußen-Vorwurf, das links-liberale Lager würde insgeheim mit Islamisten kuscheln. Was auch immer Kevin Kühnert zu seinem Text bewogen haben mag, er läuft damit in die Irre.

Denn es ist doch vielmehr so, dass Linksliberale zu den größten Feinden der Islamisten gehören: Sie sind für Feminismus und treten für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein, sie fordern gleiche Rechte für LGBTIQ, sie sind vielfach religionskritisch eingestellt und hinterfragen Traditionen, sie forcieren die Selbstbestimmung und singen Loblieder auf das freie Denken – kurz: Sie vertreten all das, was Islamisten abgrundtief hassen.

Die meisten Islamisten sind Fundamentalisten, und Fundamentalisten haben keine fließenden Übergänge zu Linken, sondern zu Konservativen, weswegen man sie auch eher in konservativen und nicht in linken Kreisen wiederfindet. Manche Islamisten kooperieren gar mit Rechtsextremisten, mit denen sie nicht nur Judenfeindschaft und faschistische Grundideen teilen.

In einem Punkt liegen Kühnert und Lobo richtig

Aber ohne nun in ein Proseminar über politischen Extremismus abzudriften: Kevin Kühnert und übrigens auch der "Spiegel"-Kolumnist Sascha Lobo haben eine in der Sache richtige Teil-Beobachtung gemacht. "Auf einen rechtsextremen Mord", schreibt auch Sascha Lobo, "folgt linke Empörung, auf einen islamistischen Mord folgt eine stille, linke Zerknirschtheit".

Im Vergleich zum Islamismus sind Linke zumindest beim Rechtsextremismus lauter und deutlicher vernehmbar. Das stimmt. Die Erklärung dafür ist jedoch ganz einfach, naheliegend und plausibel und hat nichts mit "Desinteresse" und "moralischer Faulheit" zu tun. Dass Linke beim Thema Rechtsradikalismus lauter aufschreien, liegt schlicht und ergreifend daran, dass Rechtsradikalismus über Jahrzehnte fast schon kriminell verharmlost wurde.

Lange Zeit auf dem rechten Auge blind

Erst seit extrem kurzer Zeit (genauer gesagt seit der Ermordung Walter Lübckes, der Anschläge von Christchurch, Halle oder Hanau) diskutieren wir laut, breit und offen in der Gesellschaft über Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus. Das Oktoberfest-Attentat von München 1981 wurde erst im Juli 2020 offiziell als rechtsextremer Terrorakt gewertet. 1993 weigerte sich Bundeskanzler Helmut Kohl noch, an der Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Brandanschlags in Solingen teilzunehmen; Helmut Kohl habe "weiß Gott andere wichtige Termine", ließ Regierungssprecher Dieter Vogel damals wissen.

In den 2000 Jahren konnte der NSU Jahre lang morden, während die Behörden ihre Ermittlungen auf dessen "ausländische" Opfer und deren Angehörige fokussierten. Selbst der Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum in München 2016 wurde erst drei Jahre später aufgrund der rechtsradikalen und rassistischen Ansichten des Täters als politisch motiviert eingestuft.

Der Staat sah die Gefahr immer links

Die meiste Zeit wurde Deutschland seit 1945 von konservativen Regierungen geführt. Das Bild von der Blindheit der Behörden auf dem rechten Auge wurde überwiegend in der Zeit ihrer politischen Verantwortung gemalt; wobei ich die sozialliberale Phase unter Führung der SPD vor allem unter Helmut Schmidt explizit nicht ausnehmen will. Der Staat wähnte sich nicht im Fokus von Rechtsextremen – dort standen ja bloß Minderheiten wie Juden oder Ausländer –, sondern von Linksextremen, die somit kurzerhand zur größeren Gefahr erklärt wurden.

Ein Mann wie Thilo Sarrazin erzielte mit seinen Ansichten einen Mega-Giga-Bucherfolg in diesem Land. Die AfD zog in alle Landtage und den Bundestag ein. Auf deutschen Straßen sammelte sich Pegida. Bis 2018 war ein Mann wie Hans-Georg Maaßen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Gegen solch geballte Rechts-Mitte-Macht hatten Forderungen von "Linken", den Rechtsextremismus ernst zu nehmen, nie eine Chance.

Linke Empörung war dringend notwendig

Und da wundert man sich wirklich über "linke Empörung" bei rechtsextremer Gewalt? Ohne diese "linke Empörung" hätte sich vermutlich in diesem Land nichts oder wesentlich weniger in der Sache bewegt. Sie trug vermutlich mit dazu bei, dass sich immerhin 40 Jahre nach dem Oktoberfest-Attentat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Ministerpräsident Markus Söder in der Lage sahen, politische Fehler ihrer CSU-Ikone Franz Josef Strauß öffentlich einzugestehen, weil er die Verantwortung der rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" 1980 und in den Jahren danach "völlig unterschätzt" habe.

Jetzt reden wir seit vergleichsweise kurzer Zeit intensiv über Rechtsextremismus (Islamismus steht seit 2001 oben auf der Agenda, Linksextremismus seit den 60er Jahren), und prompt werden überall Stimmen laut, wonach das Thema doch langsam mal bitte wieder auf kleinerer Flamme gekocht werden möge – in diesen Chor stimmen Kevin Kühnert und Sascha Lobo wohl oder übel ein.

Hat die Linke wirklich einen blinden Fleck?

Bis hierher habe ich aus argumentativen Gründen den Verdacht im Raum stehen lassen, dass es tatsächlich ein so lautes Schweigen der politischen Linken im Hinblick auf den Islamismus geben würde, wie unterstellt wird. Den Beweis, ob das tatsächlich so ist, treten weder Kevin Kühnert noch Sascha Lobo an. Sie erleben es aber offenbar so. Das ist in Ordnung und muss zur Kenntnis genommen werden. Was aber ist tatsächlich dran an der rechten Erzählung: Linke ließen lieber vom Islamismus ab, aus Angst vor dem Vorwurf der Islamophobie?

Zum einen ist Islamfeindlichkeit nicht nur ein Phänomen der Rechten, sondern er findet sich ebenso bei linken Säkularisten und in der Mitte. Zum anderen vernehme ich persönlich sehr viele Linke, die sich gegen Islamismus stellen, von der Linkspartei über die Grünen bis zur SPD. Die bei Rechten verhasste Amadeu-Antonio-Stiftung ist auf diesem Feld aktiv, ebenso die Friedrich-Ebert-Stiftung, Vereine wie Ufuq oder der von mir mitbegründete Liberal-Islamische Bund (LIB e.V). Expertinnen wie Claudia Dantschke sind eine wichtige Stimme im Kampf gegen Islamismus.

Wenn Kritik am Islamismus in Islamfeindlichkeit kippt

Vielleicht ist der Aufschrei und die Propaganda der Rechtsaußen und ihrer Stichwortgeber im Fall des islamistischen Terrors ja so überwältigend, dass man die Linken bloß nicht richtig wahrnimmt. Vielleicht liegt ihre womöglich niedrigere Phonzahl auch daran, dass sie eben wegen der impliziten Gefahr der Diskriminierung von Menschen differenzierter und überlegter ihre Worte wählen?

Zu oft nimmt das per se richtige und wichtige Verurteilen des Islamismus auf konservativer Seite rechtspopulistische Züge an. Zu oft verstecken Ankläger*innen hinter ihren berechtigen Anklagen der islamistischen Gewalt Botschaften der Islamfeindlichkeit, des völkischen Denkens und der Ablehnung von Einwanderung.

Das zu dekonstruieren überlässt man jedoch ruhigen Gewissens den Linken. Und so könnte man mit Kevin Kühnert und Sascha Lobo umgekehrt fragen, warum die Konservativen so unangenehm auffällig schweigen, wenn die Islamismusgefahr benutzt wird, um Ausgrenzung von angeblich "Fremden" zu betreiben. Aus "Desinteresse"? Aus moralischer Faulheit?

Den Islamismus stärker ins Visier nehmen

Die staatlichen Strukturen für den Kampf gegen Islamismus wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten vollkommen zu recht ausgebaut, und sie müssen weiter ausgebaut werden. Die tödliche Messerattacke von Dresden und der bestialische Mord an dem französischen Geschichtslehrer Samuel Paty haben auf schockierende Weise gezeigt, dass der Islamismus nicht tot ist.

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Gegen Islamismus gibt es heute endlich diverse De-Radikalisierungs-Programme, Konferenzen, Forschungsstellen, behördliche Fachstellen, ministeriumsübergreifende Kooperationen, derweil wir beim Thema Rassismus und Rechtsextremismus Horst Seehofer erst monatelang beknien, bitten und anbetteln müssen, damit er in etwas Selbstverständliches wie eine objektive Studie einwilligt.

Den Islamismus nicht den Rechten zu überlassen, ist eine vollkommen richtige Forderung von Kevin Kühnert und Sascha Lobo. Dafür werbe ich selbst seit Jahren. Das angebliche linke Appeasement gegenüber Islamisten jedoch bleibt bei näherer Betrachtung primär ein Narrativ der Rechten, und deshalb sollte man sich gut überlegen, ob man das weiter nähren möchte.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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