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Annalena Baerbock: Erst Putin-Freunde, dann Springer – Schmähkampagne


Wirbel um Äußerung
Der Fußchirurg, der Baerbock trollt


Aktualisiert am 02.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Shitstorm: Hier sehen Sie den ungekürzten Beitrag von Annalena Baerbocks Rede. (Quelle: t-online)

Die Schmähkampagne gegen Annalena Baerbock ist ein Paradebeispiel für gezielte Desinformation. Eine Rekonstruktion.

Der Kreml dürfte die Schmähkampagne gegen Annalena Baerbock als Propagandaerfolg verbuchen, und das völlig zu Recht. Niemand in der Bundesregierung steht so für Solidarität mit der Ukraine und Härte gegen Russland wie die grüne Außenministerin. Schlagzeilen machten nach ihrem Auftritt in Prag am Mittwoch aber nicht Baerbocks tatsächliche Aussagen zur deutschen Sanktionspolitik, sondern ein verkürzter Video-Schnipsel, den ein putinfreundlicher Telegram-Account in die Welt gesetzt hatte.

Auf dem Podium in Prag hatte die Ministerin auf Englisch erklärt, sie habe den Ukrainern versprochen, sie so lange wie nötig zu unterstützen, selbst wenn es im Winter Proteste wegen hoher Energiepreise geben sollte – und unabhängig davon, was ihre deutschen Wähler darüber denken ("no matter what my German voters think"). Hier können Sie die Passage ungeschnitten und mit deutschen Untertiteln sehen, die Originalaufnahmen stammen vom Veranstalter in Prag:

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"RussiaUSA" teilt verkürztes Baerbock-Video

Der Ausschnitt mit Baerbock, der am Mittwochabend um 21.31 Uhr im Telegram-Kanal "RussiaUSA" veröffentlicht wurde, dauert allerdings nur 40 Sekunden und lässt den Kontext ihrer Aussage "no matter what my German voters think" weitgehend aus. Mit dem verkürzten und aus dem Zusammenhang gerissenen Ausschnitt sollte offenbar der Eindruck erzeugt werden, Baerbock seien die sozialen Folgen des Ukraine-Krieges in Deutschland egal, obwohl sie in Wirklichkeit nur sagt, dass die Bundesregierung auch unter politischem Druck an den Russland-Sanktionen festhalten wird. Das verkürzte Video in dem Telegramkanal können Sie hier sehen.

Ein Blick auf die Betreiber des Kanals "RussiaUSA" verstärkt den Verdacht mutwilliger Desinformation. Wie das Investigativportal "Volksverpetzer" recherchiert hat, steckt dahinter eine Organisation mit dem Namen "The American Council for U.S.-Russia Engagement", auf Deutsch etwa "Rat für US-russische Zusammenarbeit". Mitbegründer der Organisation soll Vladimir Zeetser sein, ein promovierter Multimillionär mit russischen Wurzeln, der in Los Angeles lebt und hauptberuflich als Fußchirurg arbeitet. Laut "Volksverpetzer" hat Zeeztser "enorm enge Verbindungen zu russischen Offiziellen". Das FBI habe bereits wegen Spionage in seinem Netzwerk ermittelt.

AfD-Kanäle verbreiten Baerbock-Video auf Twitter

Es liegt also nahe, dass das verkürzte Baerbock-Video nicht ohne Hintergedanken bei "RussiaUSA" hochgeladen wurde. Von dem relativ kleinen Telegramkanal mit 6.419 Abonnenten (Stand: 2. September, 11.19 Uhr) fand das Video seinen Weg zunächst auf Twitter und zwar über den Account des "Querdenker"-Anwalts Markus Haintz, "der den ganzen Tag nichts anderes tut, außer Kremlpropaganda zu teilen", wie "Volksverpetzer" zutreffend schreibt. Beim Blick auf die Liste der fast 20.000 Follower von Markus Haintz verwundert es auch nicht, dass die AfD-Blase auf Twitter auf das Video aufmerksam wurde.

Nachdem die AfD-Politikerin Alice Weidel das Video und den Hashtag #BaerbockRuecktritt am Donnerstagmittag auf Twitter weiter verbreitet hatte, nahm die Kampagne gegen Baerbock Fahrt auf. Andere rechtsextreme Accounts verbreiteten das verkürzte Baerbock-Video auf Twitter weiter und störten sich auch nicht an dem gut sichtbaren Wasserzeichen des Telegramkanals "RussiaUSA". Unter den Hashtags #BaerbockRuecktritt, #Außenministerin und #Hochverrat wurden bis Freitagmittag mehr als 90.000 Tweets abgesetzt. In die klassischen Medien schaffte es die Aufregung schließlich über den Springer-Verlag.

Welt.de zitiert Baerbock entscheidend falsch

"Welt.de" berichtete als erstes größeres Portal am Donnerstagnachmittag über die vermeintlich skandalösen Aussagen Baerbocks – und das mit einer kleinen, aber entscheidenden Zuspitzung. Die Überschrift des Artikels lautete zunächst so: "Regierung stehe an der Seite der Ukraine, egal, was die deutschen Wähler denken', sagt Baerbock". Zur Erinnerung: Baerbock hatte im Englischen von "my german voters" gesprochen – "meinen deutschen Wählen", nicht "den" deutschen Wählern. Erst in einer späteren Version gab "welt.de" Baerbocks Worte korrekt wieder, allerdings ohne einen Hinweis auf die zwischenzeitliche Änderung der Überschrift. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat auf Twitter beide Versionen des Artikels dokumentiert:

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Unter Verweis auf den Artikel von "welt.de" äußerten sich dann selbst seriöse CDU-Politiker wie Norbert Röttgen zu der Scheindebatte: "Liebe Frau Baerbock, das ist unnötiger Schein-Heroismus. Die Mehrheit der Deutschen ist dazu bereit, die #Ukraine weiter zu unterstützen", schrieb Röttgen auf Twitter. Laut "Volksverpetzer" teilten auch berüchtigte Verbreiter von Desinformation wie Eva Hermann und Boris Reitschuster den Springer-Artikel auf ihren Kanälen und Webseiten. "Die Welt liefert erneut eine nützliche Vorlage für viele Extremist:innen, die das Framing der Pro-Kreml-Kampagne dann über die vermeintlich seriöse Zeitung verbreiten", schreibt das Portal.

Das Auswärtige Amt äußerte sich schließlich über den Ministeriumsbeauftragten für strategische Kommunikation, Peter Ptassek. Der schrieb am Donnerstag auf Twitter: "Der Klassiker: Sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange. Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht."

Verwendete Quellen
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